Anna im blutroten Kleid (# 1)" von Kendare Blake, Jugendbuch
Copyright: Heyne

Nachdem die letzten Buchbesprechungen aus meiner Feder eher negativ ausgefallen sind, darf ich euch heute eine erfreuliche Lobeshymne singen. Der aktuellen Pflichtlektüre und dem Hype um Neuerscheinungen überdrüssig, griff ich die Tage zu einem Buch, das in den Untiefen meines SuBs vergraben lag: Anna im blutroten Kleid, eine Geistergeschichte mit einem männlichen Ich-Erzähler und jeder Menge Gänsehaut, welche sowohl durch das Horror-Ambiente als auch durch ungewöhnliche und dezente Lovestory hervorgerufen wird. Wer sich dem unentschlossenen Frühsommerwetter entziehen will, sollte sich von diesem Roman in die USA entführen lassen und dort intensive Momente der Geisterjagd genießen. Einmal eingetaucht, klappt man das Buch erst wieder zu, wenn die letzte Zeile gelesen ist.

Und darum geht es: Der siebzehnjährige Cas Lowood hat nach dem Tod seines Vaters die familiäre Bestimmung übernommen und zieht nun mit seiner Mutter, einer Wicca, quer durch die USA um mordende Geister zu vernichten. Eines Tages möchte er sich dem Geist, der seinen Vater auf dem Gewissen hat, stellen, doch dazu braucht es noch einige Übung. Eine gute Vorbereitung scheint da die Geisterdame Anna Korlov zu sein, eine lokale Berühmtheit in einer Kleinstast in Ontario, deren Geist seit ihrer Ermordung in den 50er Jahren in einem viktorianischen Anwesen gefangen ist und jeden zerfleischt, der einen Fuß über die Schwelle setzt. Doch Anna scheint mächtiger zu sein, als alles, was Cas jemals gesehen hat. Bei seinen Nachforschungen sieht sich der Einzelgänger nicht nur gezwungen, neue Freundschaften zu schließen, er trifft außerdem auf eine dunkle Macht, die noch sehr viel stärker ist als Anna – und die Cas nur allzu gut kennt…

Kendare Blake ist gelungen, woran viele andere Autoren scheitern: eine glaubhafte, actionreiche und fantastische Young Adult Fantasy-Geschichte mit Liebesbezug zu schreiben ohne dass man sich als Leser wie eine sechsjährige Prinzessin vorkommt. Das liegt zum einen an den unglaublich gut gelungenen Figuren, die allesamt – ob sympathisch oder nicht – glaubhaft und interessant erscheinen und die jeweils mit einem individuellen Charakter versehen wurden. Die Erzählperspektive des jungen Cas liest sich hervorragend, denn er bietet viel Identifikationsspielraum und ist ein tiefgründiger, ironischer, distanzierter, kluger und vor allem reflexionsfähiger (!) Charakterkopf. Zum anderen versteht es die Autorin eine gruselige, atmosphärisch düstere Atmosphäre zu erschaffen, die das Geistergeschehen erst richtig lebendig (haha, Wortwitz!) macht.

Wie so oft, sind die ersten Zeilen eines Buches am wichtigsten. Cas schildert nicht nur von Anfang an eine extrem spannende Welt, er tut dies obendrein in einer geschliffenen, abwechslungsreichen Sprache, die das Geschehen umso unterhaltsamer erscheinen lässt. Die Autorin schreckt nicht vor Leichen, Tod und Verwesung zurück, womit der Leser auch zeitnah nach Lesebeginn konfrontiert wird, was bei mir dazu führte, dass ich mich unter einem: „Was geht denn jetzt ab?“ aufsetzte. Natürlich erfindet diese Geisterjägergeschichte das Rad nicht neu – aber Altbekanntes kommt in einem erfrischend-individuellen Gewand daher und es hat mich positiv überrascht, wie gut man eine klassische Grusel-Story literarisch präsentieren kann ohne jegliche Langeweile aufkommen zu lassen. Zu recht wurde diese Grusel-Action in Buchform mit der viel geliebten Serie „Supernatural“ verglichen und obwohl mir persönlich langsam die Fantasy-Wesen in der Jugendliteratur zum Hals heraus hängen, war ich fast enttäuscht als ich von Cas, einer Art jungem „Dean Winchester“, hörte, es gäbe keine „Wendigos“. Oooooh. Was hätte das für eine Fortsetzung gegeben!

Mit dieser hat dann nun auch der einzige kleine Kritikpunkt zu tun, den ich anbringen möchte: Die Liebesgeschichte dieses Romans – und ich darf hier auf keinen Fall zu viel verraten – hätte durchaus noch etwas subtiler ausfallen können, obwohl sie im Vergleich zu anderen dieses Genres wirklich eher dezent ist. Ich befürchte allerdings, dass sie in der Fortsetzung ausgebaut werden wird und das könnte dem Ganzen seinen Reiz nehmen. Dann doch lieber ein Stelldichein mit einem Wendigo, oder?

Anna im blutroten Kleid von Kendare Blake
Verlag: Heyne
Taschenbuch: 384 Seiten
Erscheinungsdatum: 12. November 2012
ISBN:  978-3-453-31419-1

19 Replies to “[Rezension] „Anna im blutroten Kleid (# 1)“ von Kendare Blake

  1. Das hört sich richtig gut an und du hast mich wirklich neugierig gemacht. Der Hype um dieses Buch ist irgendwie an mir vorbei gezogen 🙂 Und sag mal ist das nicht die Reihe, die nicht fortgesetzt wird? Oder verwechsele ich da etwas.
    LG

    1. Also der zweite Teil (Girl of Nightmares) ist auf englisch auf jeden Fall schon erschienen! 🙂
      Ob das ganze auch auf deutsch übersetzt wird, weiß ich allerdings nicht..
      LG,
      Hannah

    2. Oje – damit ängstigst du mich jetzt natürlich. Aber zum Glück bin ich des Englischen mächtig und würde mir dann einfach das Original reinziehen! 🙂
      Den Hype habe ich auch nicht recht mitbekommen – ich glaube, "Anna" ist ein typisches SuB-Buch, jedenfalls steht es bei vielen im Regal, aber Rezis lese ich nicht sehr oft. Und dabei ist es wirklich gelungen! Und im Prinzip würde es auch als Einzelband durchgehen.
      LG

    3. Ich habe nochmal nachgelesen und im März kam die Info, dass Heyne den zweiten Teil in den nächsten Programmen nicht plant.
      Ich traue mich nicht so recht an englische Bücher heran. Habe Angst etwas zu verpassen, weil mein Englisch mal gut war…
      Wenn Teil zwei übersetzt wird, lege ich es mir zu.

    4. Hm, das wär wirklich schade wenn es gar nicht mehr übersetzt wird… Ich kann zwar auch recht gut Englisch, aber da ich den ersten Band auf Deutsch gelesen habe würde ich eher ungern zwischen den Sprachen springen :/

      Sonst leg dir doch erstmal ein einfaches englisches Buch für den Anfang zu! Contemporary eignet sich da meist ganz gut, wenn du sowas auch lesen magst 🙂

    5. @kat: Ach wie schade! Aber wie gesagt: Auch als Einzelband ist es cool – die Fortsetzung ist eher ein Schmankerl als ein Muss. 🙂
      Vielleicht besorge ich das Englische und erzähl dir dann, wie sich's liest.

      @Hannah: Ich habe bei Harry Potter damals zwischen den Sprachen gewechselt und es war eine Steigerung – das Original liest sich viel besser als die Übersetzung. Manchmal kann es also auch ein Segen sein. 🙂

  2. Anna dressed in Blood war lange eines meiner Lieblingsbücher und eins der wenigen Jugendbücher die tatsächlich mal wirklich gruselig fand! Nicht immer wie diese Pseudo Jugend"thriller" 😀
    Liebe Grüße,
    Hannah

    1. Genau! Eine richtig gute Mischung aus Grauen, Action und Freundschaft mit toller Atmosphäre! In den "Pseudo Jugendthrillern", wie du sie nennst, passiert oft ja irgendwie gar nichts. Das Ambiente stimmt dann, aber insgesamt sind Mytery-Thriller eher nervenaufreibend, weil man als Leser hingehalten wird. XD
      Anna ist cool. Am besten schreibt Blake noch einen Band mit Halloween-Setting. Das wäre awesome!
      LG

    2. Ja genau das ist auch immer mein Problem! 😀
      Man wartet und wartet, weil der Beititel "Thriller" ja eigentlich impliziert, dass es gruselig oder zumindest spannend sein soll und dann passiert so gut wie gar nichts 😀

      Das wäre natürlich genial! Allgemein würde ich gerne noch mehr von Blake lesen, ihr Schreibstil ist echt der Hammer! 🙂

  3. Ich mochte das Buch auch sehr gerne und finde es total schade, dass Heyne die Fortsetzung nicht mehr rausbringen will. Irgendwann werde ich die Fortsetzung dann vielleicht auf Englich lesen, denn ich möchte schon wissen, wie die Geschichte endet.

    1. Schön, dass es dir auch gefallen hat! Einen richtigen Cliffhanger gibt es ja eigentlich nicht – nur der letzte Satz von Cas lässt ja erst eine Fortsetzung erwarten. Ein toller letzter Satz im Übrigen! Falls du es liest, dann berichte unbedingt, wie es dir gefallen hat, ja?
      LG

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