Heinz Gödel begeht den Fehler seines Lebens, als er mit
Mitte 30 entscheidet, in seinen eigentlichen Beruf als Lehrer zurückzukehren. Der
sanfte, übergewichtige Heinz führt bis dahin ein bescheidenes, zurückgezogenes
Leben mit seinem Hund Franz sowie seiner Liebe zu Büchern und dem Schachspiel. Mit
der schönen Vorstellung, irgendwann eine sichere Festanstellung zu bekommen und
junge Menschen für Literatur begeistern zu können übernimmt er nun die 9a. Zwei
Ziffern, die Heinz schon bald in Angst und Schrecken versetzen. Denn das
Aufeinandertreffen von Profilierungssucht, Minderwertigkeitskomplexen,
Ausgrenzung, Schulfrust und schlichter pubertärer Rebellion macht die Klasse zu
einem brodelnden Vulkan, der schon lange vor dem Ausbruch steht.

Für Heinz Gödel ist der Start in der Klasse daher von
entscheidender Bedeutung – es gilt die Rädelsführer Olaf, Axel und Jörg unter
Kontrolle zu halten und eine Brücke zu den Außenseitern Maleen und Patrick zu
schlagen. Und eigentlich hätte dies sogar gelingen können, hätte Heinz einfach
nur nett sein dürfen. Doch in seinem Wunsch es allen Recht zu machen, lässt
sich Heinz von Vorgesetzten seinen Unterricht diktieren. Auf Rückgratlosigkeit
steht in der Klassengemeinschaft jedoch die Höchststrafe: offene Meuterei! Und
so beginnt recht zügig die Demontage der Person Heinz Gödel. Bald sitzt er
zwischen allen Stühlen. Er muss dem Druck der Schüler, der Schulleitung und dem
der unzufriedenen Eltern standhalten.

Arne Ulbricht – selbst Lehrer – hat für sein Romandebüt „Nicht von dieser Welt“ Themen gewählt, die grundsätzlich zum Alltag in seinem Beruf
gehören – Social Media, Mobbing, Notendruck, den Umgang mit schwierigen
Schülern und Kollegen. Anschließend hat er diese Themen auf eine fiktive Figur
losgelassen, die äußerem Druck in keiner Weise gewachsen ist. Dabei
herausgekommen ist ein Buch, das alles andere als Spaß macht, jedoch mit seiner
klaren Sprache und der frühen Ansage einer Katastrophe einen perfiden Sog
entwickelt. Denn Heinz tut genau eines nicht: das Richtige. Er zieht keine
Konsequenzen aus seinem Scheitern. Er vertraut sich niemandem an, er frisst
alle Nöte in sich hinein – einzig den festen Vertrag vor Augen und die Angst,
als Verlierer abgestempelt zu werden. Heinz ist keine Figur, die es mir persönlich
leicht machte, die mich im Gegenteil immer ein bisschen auf Abstand hielt. Ich
war hin- und hergerissen zwischen Mitleid und Abneigung. Die Passivität, mit
der Heinz die meisten Tage entgegennimmt, machte mich schier wahnsinnig. Er ist
froh, wenn die Schüler nett sind, und steht kurz vor dem Zusammenbruch an
schlechten Tagen. Stärke, die Dinge selbst zu gestalten und zu lenken,
entwickelt er allenfalls punktuell.

Das Buch kündigt die Behandlung von Themen wie Selfie und
Whatsapp an, die aber – das sollte man wissen – hier eher unterschwellig
behandelt werden. Ulbricht lässt seinen Protagonisten aus der Ich-Perspektive
berichten, und da Heinz keinerlei Bezug zu social media hat, hat er auch keine
Ahnung, welche Dinge über ihn im Netz kursieren und der Leser eben auch nicht.

Facebook & co schienen mir auch nur ein kleiner Teil des
Problems zu sein; sie wirkten vor allem als Beschleuniger in der Abwärtsspirale
der Hauptfigur, in der Leidensdruck auf die Unfähigkeit sich abzugrenzen und
loszulassen trifft. Heinz hat kein Ventil. Und so nimmt die leidende Seele den
nicht sehr robusten Körper mit auf einen Horrortrip. Heinz entwickelt
Panikattacken und lässt sich Schlaf- und Beruhigungstabletten verschreiben.
Unter dem Einfluss von Schlafstörungen und Medikamenten steigert er sich in Allmachtsfantasien
hinein und beginnt Gefallen an Gewaltdarstellungen zu finden.

Dass es kein Happy End gibt, ist mit einem Blick auf den Klappentext
schnell klar. Angekündigt wird ein Buch über einen Lehrer, „(…)der aus seinem
Scheitern verhängnisvolle Konsequenzen zieht.“ Wer glaubt, recht früh das Ende
vorausahnen zu können, der wird von dem Autor jedoch noch einmal überrascht.
Die Geschichte endet auf eine verstörende Weise, die auch jetzt noch, Tage nach
der Lektüre bei mir nachhallt.

Ich habe mich gefragt, ob ich die Geschichte letztlich
überzogen fand, muss aber sagen: Nein, das tue ich nicht! Denn ich musste beim
Lesen immer wieder zurückdenken an meine eigene Schulzeit. Damals gab es einen
Lehrer, der manchmal weinend im Treppenhaus gesessen hat. Ich habe viel
vergessen, diesen Lehrer aber nie. Und es gab auch die anderen: die Olafs und
Axels, die Mitläufer, die Zicken und die Außenseiter. Arne Ulbrichts Worten zufolge
zeichnet es einen guten Lehrer aus, wenn er vor einer Klasse besteht – wer es
nicht schafft, einen Draht zu den jungen Menschen zu finden und sich Respekt
erarbeitet, der hat in diesem Beruf verloren und mit ihm die Schüler. Das ist
es, was „Nicht von dieser Welt“ auf drastische Weise anmahnt!

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Nicht von dieser Welt von Arne Ulbricht 
Broschiert: 290 Seiten 
Verlag: KLAK Verlag
Erscheinungsdatum: 26. Februar 2016 
ISBN: 978-3943767582

3 Replies to “[Rezension] „Nicht von dieser Welt“ von Arne Ulbricht

  1. Ein Lehrer sollte sich tatsächlich von Anfang an den nötigen Respekt bei den Schülern verschaffen, was aber nicht immer mit Strenge zu erreichen ist, sondern mit einem gesunden Mittelmaß. Da ich für ein behindertes Mädchen als Inklusionshelferin täglich dem Unterrichtsgeschehen beiwohne, wird für mich deutlich, was einen guten Lehrer auszeichnet, der einen "Draht" zu seinen Schülern hat.

  2. Hallo Beatrix, ich hoffe, bei dir an der Schule gibt es ganz viele gute Lehrer. Du hast recht… Strenge allein ist nicht der Weg. Auch darauf weist das Buch übrigens hin. Liebe Grüße

    @Tintenhain… es ist ein wirklich interessantes Buch mit einem wichtigen Thema. Und ja, es ist ohne Frage deprimierend und stellenweise auch sonderbar. Trotzdem: Man kann in einem Lesekreis bestimmt wunderbar darüber diskutieren. Auch dir liebe Grüße und einen schönen Tag

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