Das Wichtigste steht in Klammern: Der erste Fall des deutsch-polnischen Ermittler-Duos spielt in Frankfurt (Oder). Genauer, in der polnischen Hälfte der Stadt, also rechts der Oder, in Słubice. Dort wird ein bekannter Baulöwe und Stadtrat aus Frankfurt, links der Oder, tot aufgefunden. Die beiden „halben“ Städte leben seit über sechzig Jahren ein gepflegtes Miteinander. Problematische Grenzbeziehungen aus der Nachkriegszeit sind überwunden, Erfordernisse des Arbeitsmarkts und der Liebe haben nachhaltige Annäherung bewirkt. Den Fluss, der den deutschen vom polnischen Stadtteil trennt, überquert man zu Fuß über die Stadtbrücke, flaniert mal hier mal dort, spaziert zur Erholung den Deich entlang – und kauft in Słubice auf dem „Polenmarkt“ das, was das Portemonnaie entlastet.

Die deutsch-polnische Zusammenarbeit bei der Aufklärung des Mordes sollte also gelingen, so meint man. Zwar könnten die beteiligten Kommissare verschiedener nicht sein. Der eine, Bernd Matuszek, ist ergraut, eigenbrötlerisch, geschieden, chaotisch, allen leiblichen Freuden zugetan und – sagen wir – im sozialen Umgang defizitär. Der andere, Wojciech Miłosz, ein junger Familienvater, ist zuverlässig, verantwortungsbewusst – und als Ermittler ziemlich unerfahren. Da sind Missverständnisse vorprogrammiert. Doch die beiden Kollegen können diese erstaunlich schnell beheben und sollten Erfolg haben, wenn, ja, wenn da nicht jene deutsch-polnischen Vorurteile wären…

„Gemeinsame Ermittlungen der Frankfurter und der Słubicer Polizei“, so wird ein polnischer Beamter in der Zeitung zitiert, „das ist so, als müsste ich mit meinem fünfjährigen Enkel ein Wildschwein erlegen.“ Zudem mischen die Innenministerien beider Länder mit. „Wenn eine deutsche Leiche“, so macht Miłosz seinem Kollegen klar, „die nicht auf natürliche Weise in diesen Zustand gelangt ist, auf dem Gebiet der Republik Polen gefunden wird, dann ist das ein Politikum. Und die Aufklärung des Falls ist ein Staatsakt.“ Beide Polizisten sind sich einig: Ginge es nach Presse und Regierung, dann wäre die Welt voll von klugen Menschen. Die einzigen Deppen säßen in der Polizei. Leider seien das aber gerade die, die den Fall zu lösen hätten. Nach und nach stellt sich heraus, dass der ermordete Frankfurter Gutmensch mit der weißen Weste in Wirklichkeit ein mieses Schwein war, dass in Frankfurt, links der Oder, genau wie in Słubice, rechts der Oder, hinter den provinziellen Fassaden finstere Machenschaften lauern und der griesgrämige Matuszek und der windelwechselnde Miłosz ein gutes Team werden.

Sören Bollmann erzählt locker – mit Schwächen. Die Dialoge sind zuweilen hölzern, Nebenhandlungen versanden und „der geneigte Leser“ wird eigentlich seit zweihundert Jahren nicht mehr angesprochen. Schlimmer noch, ein Krimi, der mit Vorurteilen aufräumen will, sollte keine Klischees verwenden: die Prostituierte mit dem guten Herzen ist als Motiv ebenso obsolet wie die allgegenwärtige Stasi-Vergangenheit. Gleichwohl ist Bollmanns erster Roman aus der deutsch-polnischen Krimireihe ein ganz passables Lesevergnügen, eben weil er in einer Grenzstadt spielt, über die es viel zu erfahren gibt. Abseits des Verbrechens zeigt der Krimi Lokalkolorit vom Feinsten, das macht neugierig. Ein Besuch links und rechts der Oder steht nach der Lektüre sicherlich bei vielen Lesern auf der Agenda. Die aufgeblasenen Vorgesetzten, die im Interesse der eigenen Reputation dem jeweiligen Kommissar auf der anderen Seite der Oder am Zeuge flicken wollen, lassen an Brunettis albernen Vorgesetzten Vice-Questore Patta denken. Kurzum: Man muss in Krimilaune nicht immer in Venedig herumgondeln. Ein Gang über die Oderbrücke tut’s auch.

„Mord in der halben Stadt“ von Sören Bollmann
Klappenbroschur: 290 Seiten
Verlag: Klak
Erscheinungsdatum: Dezember 2013
ISBN: 978-3-943767-26-1

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert