"Wiedersehen mit Babylon" von F. Scott Fitzgerald, Erzählungen
Bildquelle: Diogenes

Vorab:
Einen Fitzgerald zu rezensieren ist für mich persönlich das Höchste, was mir
passieren kann, das Schwerste was ich mir vorgenommen habe und fast schon
blasphemisch. Wagen will ich es trotzdem.

Die Erzählungen meines literarischen All-time-heroe, versammelt in einem Band
unter dem vielsagenden Titel Wiedersehen mit Babylon erreichten mich schon im Jahr 2013 – alleine die
Lektüre zog sich hin. Und das aus einem einzigen Grund: diesen Band mit den wunderbaren Erzählungen F. Scott
Fitzgeralds
aus den Jahren 1930 bis 1934 wollte ich genießen, nicht mehr so schnell aus der
Hand legen.
Wie kein anderer schafft es Fitzgerald mit der ihm
eigenen Leichtigkeit
und Eleganz, menschliche Höhenflüge und Abgründe auf eindrücklichste
Art und Weise darzustellen. Er schuf Sätze, die in ihrer treffsicheren
Knappheit Menschen in ihrer ganz eigenen Komplexität, eine Situation in Gänze
greifbar, ja lebendig werden ließen. Sätze, die mich in die Knie zwingen, die
mir Bilder von Gefühlen in den Kopf setzen, die ich nicht mehr vergesse.


…  Sie waren alle wieder da, die Kellner mit ihren geschäftsmäßigen
Mienen, die wachsamen Französinnen mit ihren hohen Absätzen und ihren
neugierigen Augen, Phil Hoffmann, der ihr gegenüber saß und sein Herz auf einer
Gabelspitze balancierte … „
Das Seelenleben eines Menschen liegt ausgebreitet da, in
einem kurzem Nebensatz hingeworfen, ohne große Beschreibung der inneren
Vorgänge skizziert und genau deshalb so beeindruckend klar.
Konzeptionell gleichen Fitzgeralds Erzählungen
Miniatur-Romanen – für eine weitere Ausarbeitung als eigene Romane fehlte wohl
die Zeit, waren die Ideen zu vielfältig, das Geld zu knapp und die
Möglichkeiten, diese kurzen Geschichten als Spielwiese für neue Ideen, Techniken
und Dialoge zu nutzen, zu verlockend. Noch dazu gibt es keine Not, aus etwas Perfektem etwas
Aufgebauschtes zu machen.
In Wiedersehen mit Babylon kommt Fitzgeralds große Stärke der treffgenauen, stilistisch unglaublich sicheren Sprache,
gepaart mit seiner unnachahmlichen
Meisterschaft im Erschaffen einer bestimmten Atmosphäre
, eines
bestimmten Gefühls,
wieder einmal grandios zum tragen.
Die hier versammelten Erzählungen handeln alle von einem
Themenkomplex: Überwindung, Verlust, Konfrontation mit Ängsten und alten
Dämonen, aber auch von Gewinn und persönlicher Entwicklung.
Entstanden in unsicheren Zeiten finden die Geschichten
ihre Substanz in persönlichen Erlebnissen Fitzgeralds. Geld, Reichtum und was
dieser aus den Menschen macht, aber auch das doch bewundernswerte amerikanische
Credo, sich nicht unterkriegen zu lassen und ein „Yes we can“ auf den Lippen zu tragen, prägen die
Erzählungen. Doch schon liest man Sätze, die ahnen lassen, dass die Lage sich
ändern könnte, dass der Fall zu befürchten ist.
Fitzgeralds bekannte Verve, die mich immer und plötzlich
zum Lachen reizt fehlt auch hier nicht:
“ …
Die Schweiz ist ein Land, wo sehr wenige Dinge ihren Anfang nehmen, aber viele
ihr Ende … „
Ein Satz, der aus einer strukturell erstaunlichen und
absolut nachhallenden Erzählung mit dem Titel „Eine Reise ins Ausland“ stammt, in der
Fitzgerald virtuos
mit Eigenwahrnehmung,
Täuschung und
Erkenntnis
spielt.
Aber nachhaltig sind F. Scott Fitzgeralds Geschichten immer. Dicht gewebte
Lebensgeschichten von jungen Menschen, die aufgrund der zeitlich rastlosen
Umstände, in denen sie sich befinden, älter wirken als sie sind.
Kurz gesagt:
Phantastischer, süchtig
machender Buchstoff
.
Wiedersehen mit Babylon ist kein Buch, das man einfach so durchliest und ins
Regal stellt. Es ist ein Buch, das immer in Reichweite sein muss, immer bereit,
aufgeschlagen zu werden, damit man eintauchen kann in die Zeit der Lost Generation, Tag für Tag
ein Stückchen, das man in sich aufnimmt, das einen selbst aufnimmt und nicht
mehr verlässt.

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Wiedersehen mit Babylon von F. Scott Fitzgerald
Broschiert: 663 Seiten 
Verlag: Diogenes
Erscheinungsdatum: 26. Juni 2012 
ISBN-13: 978-3257241839

2 Replies to “[Rezension] „Wiedersehen mit Babylon“ von F. Scott Fitzgerald

  1. Eine aussagekräftige Rezi, die neugierig macht. Ich hätte dieses Buch sicherlich NIE beachtet, da ich mir einfach zu wenig darunter vorstellen konnte. Danke für die Vorstellung – wieder ein Buch mehr auf meiner Merkliste … ;-). LG –
    Herzlichen Glückwunsch übrigens zum 2. Blog-Geburtstag und weiterhin viel Spaß !

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