"Green River Killer" von Jeff Jensen und Jonathan Case
Copyright: Carlsen

Wer von euch hat schon einmal den Namen Gary Ridgway gehört? Sagt euch nichts? Das ist nicht verwunderlich, denn im Gegensatz zu Ted Bundy oder Jeffry Dahmer ist dieser berühmt-berüchtigte Serienkiller, der vermutlich mehr als 90 Frauen ums Lebens gebracht hat, nicht unter seinem bürgerlichen Namen, sondern unter dem Titel, der ihm von der Presse verliehen wurde, in die Geschichte eingegangen: Der Green River Killer wütete in den 80er Jahren bis zum Jahre 2001 in Seattle und hatte es vor allem auf Prostituierte und Ausreißerinnen abgesehen – Menschen, die vermeintlich niemand vermisste. Diese Vorgehensweise machte es Polizei und Behörden schwer, dem Täter auf die Spur zu kommen. Doch ein kleines Einsatzkommando, darunter Detective Tom Jensen, verlor nie den Glauben daran, den Mörder fassen zu können, sodass nach über 30 Jahren Ermittlung durch eine DNA-Probe schließlich der Gerechtigkeit genüge getan wurde. Nun hat der Sohn des inzwischen pensionierten Jensen die Geschichte seines Vater in einer biographischen Graphic Novel mit Unterstützung von Zeichner Jonathan Case verarbeitet – und liefert ein ebenso berührendes wie bedrückendes Portrait einer Lebensaufgabe.

Im Zentrum der Geschichte steht nicht die Figur des Serienmörders, sondern der Detektiv Tom Jensen. 30 Jahre seines Lebens hat dieser der Ergreifung eines Täters gewidmet und für dieses Lebensziel Familie und Privatleben vernachlässigt. Als Leser erscheint seine Wahl eher fragwürdig und fanatisch als heroisch und diszipliniert. Wie sinnvoll ist es tatsächlich, sein eigenes Leben und das all seiner Lieben von einem psychopathisches Sadisten abhängig zu machen? Da es nicht maßgeblich Tom Jensens Mitarbeit zu verdanken ist, dass der Gary Ridgway schließlich doch noch gefasst wurde, bleibt der Jubelschrei am Ende aus – und eine merkwürdige Leere zurück: Der Täter kann sich an die meisten Morde nicht mehr erinnern, die Suche nach seinen Opfern bleibt oft vergeblich, das 30 Jahre lang verpasste Familienleben kann von Tom Jensen nicht aufgeholt werden. Für eine derart unbefriedigende Wahrheit und letztlich erschreckend geringe Konsequenz erscheint der gezahlte Preis der Selbstaufopferung als zu hoch. 
Obwohl Jeff Jensen mit allen Mitteln versucht, eine liebevolle Biographie seines Vaters zu entwerfen, wirken die angedeuteten Erklärungsversuche für das wenig familienfreundliche Verhalten entschuldigend, rechtfertigend.

Der Zeichenstil Jonathan Cases trägt leider nicht zur Lesbarkeit bei. So unentschlossen die Aussage der Geschichte ist, so überladen wirken die Comic-Strips aus kräftigen Strichen in schwarz-weiß. Zwar werden die Gesichtszüge der realen Vorlagen durchaus getroffen, doch das Karikatureske lässt Gesichter ähnlich wirken und erschwert hierdurch eine Unterscheidung der verschiedenen Zeitebenen, welche durch Vorausdeutungen und Rückschauen vermischt werden. Trotz der stilistisch ansprechenden Konzeption wäre beispielsweise eine Farbunterlegung des „neuzeitlichen“ Zeitstranges wünschenswert gewesen. Das atmosphärische Dichte Setting, die Idylle der Wälder Seattles, bildet einen starken Kontrast zum schauerlichen Flair – wird also leider durch einen erschwerten Lesefluss getrübt.

Jensen gelingt – wenn auch unbeabsichtigt – das Augenmerk in einem vermeintlich reißerischen Killer-Szenario auf ein viel weniger offensichtliches Element zu legen und auf diese Weise den Leser zum Nachdenken anzuregen. Der Killer, der seine eigenen Taten fast schon vergessen hat; die Opfer, die längst nicht mehr gefunden werden; die Angehörigen, die sich mit dem Tod ihrer Lieben seit langer Zeit abgefunden haben; der Kriminalarbeiter, dessen tödliche Krankheit ihn das Ende des Falles nicht mehr erleben lässt; der Detektiv, der nach 30 Jahren mit dem Rauchen aufhören kann – all diese Elemente bilden zusammen ein Konglomerat aus merkwürdig einsam-freudloser Fügungen, das grausame Willkür des Schicksals unterstreicht.

Green River Killer – ein Name, den man nach der Lektüre nicht mehr vergisst. Die Geschichte des Detektivs Tom Jensen verdeutlicht, wie sinnlos das menschliche Streben – sei es die Ermordung zahlreicher Opfer oder die Jagd nach Gerechtigkeit – sein kann. Am Ende wird der Leser mit mehr zurückgelassen als mit dem Wissen um ein historisches Ereignis – es ist vielmehr der Gedanke an die eigene Lebensaufgabe, die einem Schauer über den Rücken jagen wird.

Green River Killer von Jeff Jensen und Jonathan Case
Verlag: Carlsen Comics
Erscheinungsdatum: 25. Februar 2014
Hardcover: 240 Seiten
ISBN: 978-3-551-73644-4

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert