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Griechenland hat viele gute Schriftsteller. Petros Markaris ist einer von ihnen. Das Besondere an ihm: Sein internationales Renommee, das der 1937 in Istanbul geborene Autor genießt, verdankt er nicht zuletzt einem Genre, das in der Rangliste hoher Literatur doch eher eine bescheidene Rolle einnimmt, dem Kriminalroman. Nun ist ein neuer Fall für den Athener Kommissar Kostas Charitos erschienen.
Wie immer webt Markaris die stattliche Anzahl von Morden, für die eine dubiose Gemeinschaft „Griechen der fünfziger Jahre“ verantwortlich zeichnet, in ein Netz aktueller gesellschaftskritischer Thematiken ein. Die angespannte Finanzlage des Landes, das Dauerthema des Sommers, wirkt sich indessen nur auf das muntere Familienleben der Charitos‘ aus. Zum abendlichen Dinner muss sich der grantelnde Kommissar schon mal mit öffentlichen Verkehrsmitteln bemühen, da die holde Gattin das Benzingeld für den klapperigen Seat gekürzt hat. Überhaupt erweist sich die pragmatische Adriani angesichts des knappen Budgets als wahre Zauberin. Ihre Kochkunst erinnert zuweilen an die hohe Fantasieleistung, die Frauen zu Kriegszeiten an den Tag legen mussten, und sorgt für heiteren Respekt.
Die fröhlichen Runden am gastfreundlichen Tisch der Charitos‘ zeigen eine Lebenslust der Griechen, die sich von der deprimierenden Finanzdauerkrise nur unwesentlich beeindrucken lässt. Sie bildet im Roman allerdings das Kontrastiv zu jenen brisanten Krisenherden des Landes, für die zumindest deutsche Medien zurzeit wenig Interesse aufbringen. Gerade aber diese scharf beobachteten Konflikte sind es, die zu faszinierenden Einblicken in die, so scheint es zumindest, wirklichen Probleme Griechenlands einladen.
Dazu gehört die (nationalsozialistische) rechtsextreme Gruppierung „Goldene Morgenröte“, die ihre Mitglieder durchaus auch in Polizeikreisen findet. Costas Charitos wird sich dessen schmerzlich bewusst, als vermummte Schläger seine Tochter niederprügeln, die sich als Juristin für die Rechte afrikanischer Einwanderer stark macht. Dazu gehört ebenfalls der unglaubliche Filz im Staatsapparat, der Menschen, die entweder zu unkundig oder nicht willens sind, das gnadenlose Schmiergeldsystem zu bedienen, hoffnungslos scheitern lässt. Dazu gehört weiter die Erinnerung an Folter und Unrecht unter der Militärdiktatur, die sich aus der Gegenwart nicht vertreiben lässt. Und schließlich hat Griechenland mit einer Generation von inzwischen erwachsenen Kindern ehemaliger albanischer Migranten zu kämpfen, die sich zwar als wahre Griechen fühlen – von den „Alteingessenen“ aber nicht als solche behandelt werden.
Das sind die Probleme Griechenlands, die deutschen Lesern jede Neigung zur Selbstgerechtigkeit austreiben müssten. Markaris macht en passent deutlich, dass es für beide Länder ganz ähnliche dringliche Aufgaben zu lösen gibt. Atemlos wird der Leser Zeuge, wie es dem Autor eine unverhohlene Kritik an den Missständen seines Landes mit einer ungebrochenen Liebe zu den Griechen amalgiert. Nicht nur darin, sondern auch im sprühenden Witz und in der frechen Selbstironie erinnert Markaris deshalb manchmal an Heinrich Heine.
Zuweilen vergisst der Leser, der in den Bann von Markaris‘ Erzählkunst gerät, dass er eigentlich an der Seite von Kostas Charitos dem Verbrechen auf der Spur ist. Doch seinem Ruf als exzellenter Kriminalautor wird Markaris auch in „Zurück auf Start“ gerecht. Der aufmerksame Leser kann – selten genug in diesem Genre – eine dezente Spur verfolgen, die zur Aufklärung der Morde führt, noch ehe der Kommissar sie entdeckt. Ein seltener Glücksfall, dass Krimi und Gesellschaftsroman bei Petros Markaris eine derart fruchtbare Symbiose eingehen!
Zurück auf Start. Ein Fall für Kostas Charitos von Petros Markaris
Originaltitel: Titloi telous
Übersetzer: Michaela Prinzinger
Gebundene Ausgabe: 368 Seiten
Verlag: Diogenes
Erscheinungsdatum: 25. März 2015
ISBN: 978-3257069259
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