"Sakura. Die Vollkommenen" von Kim Kestner
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Die Jugenddystopie „Sakura. Die Vollkommenen“ durfte ich innerhalb einer Leserunde auf lovelybooks kennenlernen und war positiv überrascht, weil hier einiges radikaler und ungeschönter umgesetzt wurde, als dies in anderen Büchern des Genres der Fall ist. Autorin Kim Kestner hat eine düstere, schmutzige und in vielerlei Hinsicht kranke Welt erschaffen, die mich von der ersten Seite an fesseln konnte. Gefallen hat mir vor allem, dass nicht dem weitverbreiteten Klischee des schüchternen, gutaussehenden Mädchens gefolgt wird, das plötzlich über sich hinauswächst und nebenbei das Herz des arroganten Bad Boys gewinnt, sondern die Autorin Mut zur Unperfektion hat und damit einer unterhaltsamen Handlung jede Menge Authentizität verleiht.

Das Setting ist klaustrophisch und anfangs geheimnisvoll, da man die Hintergründe als Leser nicht sofort begreift, sondern diese erst nach und nach entschlüsselt. Juri lebt in einem riesigen Bunker, in der untersten einer Reihe von Ebenen, in der Menschen unter ärmlichsten Bedingungen um ihr Überleben kämpfen. Eines Tages ergibt sich für Juri die Chance, endlich in das oberste Stockwerk zu gelangen. Der Kaiser – angeblich direkter Nachfahre der Göttin Amaterasu – möchte den Stärksten und Klügsten Einlass in sein Reich gewähren. Juri gelingt es, sich mit einer List unter die Auserwählten zu mogeln, unwissend, dass die Besten in einem knallharten Test erst noch herausgesiebt werden sollen.

Dystopietypisch schwingt Sozialkritik in der Geschichte mit. Der Umgang mit Homosexualität kommt zur Sprache, mit Behinderungen, Krankheit und jeder Form von Anderssein, Unterdrückung und Ausbeutung, blinder Aberglaube. Themen, die Kim Kestner in der realen Welt findet und auf rund 400 Seiten komprimiert zu einer erschreckenden und bedrückenden Zukunft verflicht. Die Stimmung ist dunkel und traurig. Und sie springt sofort über, weil man einen bildhaften Einblick in das harte und einsame Leben von Ich-Erzählerin Juri gewinnt, die sich ihre tägliche Reisration mit schwerer Arbeit in der Leichenhalle verdient und sich ein tristes Zuhause in dem gewaltigen Rohrsystem der Ebene geschaffen hat.

Es klingt womöglich recht trostlos (und ist es auch), aber gleichzeitig ist alles so facettenreich und
dynamisch gemacht, dass ich mich keine Minute gelangweilt habe. Vor allem der leichte und lebendige Schreibstil lässt nur so durch die Seiten fliegen. Schnell leitet Kim Kestner außerdem zu einer
spannenden Rahmenhandlung über, die an Bücher wie „Die Auslese“ oder
„Die Tribute von Panem“ erinnert, die sich aber doch anders entwickelt und
immer die Hintergründe, den negativ überzeichneten Gesellschaftsentwurf,
im Auge behält. Auf fantasievolle Weise fließen Elemente der japanischen Kultur ein, jedoch nicht so üppig, wie ich angesichts des Titels (Sakura = Japanische Kirschblüte) angenommen hatte. Sie verleihen der Geschichte punktuell jedoch ein besonderes Flair.

Juri mochte ich. Sie erscheint manchmal etwas naiv, was aber gewollt ist und echt wirkt, da Juri bisher sehr abgeschottet gelebt hat. Sie entwickelt sich von einer verschlossenen Einzelkämpferin zu einer verantwortungsvollen Teamplayerin, findet Freunde und lernt, Hilfe anzunehmen. Die Liebesgeschichte, die sich anbahnt, wäre für mich nicht unbedingt nötig gewesen, ist aber innerhalb des Genres wohl nicht wegzudenken. Sie nimmt jedoch verhältnismäßig wenig Raum ein und ich empfand sie als angenehm und nicht zu übertrieben – obwohl sich die Dinge hier etwas unglaubwürdig rasant entwickeln.

Auch insgesamt passierten mir einige Ereignisse, vor allem mit Blick auf die Prüfungen und das Ende, etwas zu schnell und unübersichtlich und die Nebencharaktere waren für mich nicht immer greifbar. Teilweise hatte ich den Eindruck, dass zuviel Handlung auf zu wenigen Seiten untergebracht wird, was bei dieser themenreichen Geschichte zu Lasten der Tiefe geht. 50 Seiten mehr hätten sicher nicht geschadet. An einigen Stellen schien mir das Glück Juri auch ungewöhnlich hold zu sein. Vor allem in einer Szene, gleich anfangs in einer Dusche, habe ich mich doch sehr gewundert. Da hätte man – mit mehr Erzählspielraum – einiges vielleicht noch glaubwürdiger rüberbringen können.

Was bleibt ist ein ausgesprochen guter Eindruck von einer Dystopie made in Germany. Die Welt von „Sakura. Die Vollkommenen“ wirkte in ihrer Ungeschöntheit authentisch und Heldin Juri habe ich sehr gemocht. Da die Geschichte teilweise bedrückend ist, sollte sie aber wohl tatsächlich erst ab frühestens 14 Jahren gelesen werden. Einige Themen können in diesem Alter einfach besser eingeordnet und verarbeitet werden. Nichtsdestotrotz ist „Sakura“ vor allem ein unterhaltsamer Jugendroman, der in einem mühelos wirkenden Schreibstil verfasst ist und der ein paar Schwächen hinter dem großen und guten Ganzen für mich zurücktreten lässt.

Sakura. Die Vollkommenen von Kim Kestner
Verlag: Arena/digi:tales
e-book: 408 Seiten
Erscheinungsdatum: 23. Märt 2017
ISBN: 978-3-401-84001-7
Altersempfehlung: ab 14 Jahren

3 Replies to “[Rezension] „Sakura. Die Vollkommenen“ von Kim Kestner

  1. Obwohl die Idee mit den Prüfungen vielleicht nicht unbedingt neu ist, gab's für mich hier spannende Sachen zu entdecken. Ich fand es vor allem klasse, dass die Protagonistin so anders war. Teilweise dachte ich nur, vielleicht hätte man (wie ursprünglich mal überlegt) doch eine Dilogie draus machen sollen. Einige Szenen hätte man noch soviel mehr ausreizen können. Aber gut, ein Einzelband ist natürlich auch schön. 🙂
    Ebooks kann man ja leider nicht verleihen, sonst würde ich es dir sofort schicken.
    Liebe Grüße zurück

  2. Hi Tina, ich fand sowieso, das Buch war teilweise recht humorvoll, trotz der düsteren Stimmung. Lies sich echt flott lesen.
    Liebe Grüße 🙂

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