"Milchmädchen" von G. R. Gemin, Jugendbuch
Copyright: Königskinder Verlag

Sehr selten kommt es vor, dass Bücher auf diesem Blog doppelt rezensiert werden. Und wenn es passiert, sind es immer die besonderen Geschichten, die wir damit honorieren. Zu „Milchmädchen“ von G.R. Gemin hat Katrin ihre Gedanken schon einmal wunderbar in Worte gefasst und dank ihr ist dieses Kleinod an meinem Geburtstag auch bei mir eingezogen. Da ich jetzt schon einige Bücher aus dem Königskinder Verlag gelesen habe,
weiß ich, dass die Geschichten stets ungewöhnlich sind. Oft nimmt man aus ihnen ein besonderes Lebensgefühl oder eine Botschaft mit. Auch in diesem Buch verbirgt sich wieder mehr, als es auf den ersten Blick scheint.

In Gemmas heruntergekommener Siedlung ist so einiges nicht in Ordnung. Früher konnte man die Türen offen stehen lassen und es war Leben im Viertel. Jetzt bleiben die Häuser verschlossen. Mit dem Gemeinschaftssinn ist es nicht mehr weit her. Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Umweltverschmutzung – die Bryn Mawr Siedlung ist ein trostloser Ort. Zumindest bis zu dem Tag, an dem die 13-jährige Gemma mit ihrem Fahrrad in eine kleine Herde Kühe hineinprescht und damit der großen, stillen Bauerstochter Kate – die von allen nur Cowgirl genannt wird – genau vor die Füße fällt.

Oberflächlich betrachtet gelingt G.R. Gemin mit „Milchmädchen“ ein modernes Märchen von zwei Mädchen, die ein Dutzend Kühe vor der Schlachtbank retten wollen. Doch mit fast schon spielerischer Leichtigkeit schafft der Autor es, Themen wie Mobbing, Vorurteile, Ausländerhass, Kriminalität, soziale Armut und die Schere zwischen Stadtleben und Natur einzuflechten, ohne dass die Geschichte jemals überladen wirken würde. Vermutlich, weil man nur einen Schritt auf die Straße hinausgehen muss, um sie vor der eigenen Haustür zu finden. In „Milchmädchen“ wachsen sie erfrischend unstereotyp, manchmal anrührend und oft humorvoll, zu einer Einheit zusammen.

„Jungs sind Idioten.“
„Ja, Bullen sind nicht halb so nett wie Kühe, oder so nützlich“, sagte Kate. „Ochsen sind doof und Bullen sind gefährlich und unberechenbar.“ (S. 147)

In kurzen, klaren Sätzen erzählt G.R. Gemin auf nur 267 Seiten wie in einem verlotterten Ortsteil an allen Ecken und Enden zwischenmenschliche Brücken entstehen. Unaufdringlich klingt der Ruf nach mehr Offenheit und Eigenverantwortung durch. Denn, wie die Welt um uns herum auch immer aussehen mag, es liegt an uns Menschen sie zu ändern. Hin und wieder braucht es dazu allerdings einen kleinen Anstoß von außen. In „Milchmädchen“ sind es 12 stoisch kauende Kühe und
ein paar mutige Herzen, die den Stein ins Rollen bringen. Gemmas selbstbewusste Oma, die stille Kate und Gemma lösen eine Kette von Ereignissen aus, in deren Folge fast jeder auf die ein oder andere Weise über sich hinauswächst. Gemmas von der Arbeit erschöpfte Mutter, ihr im Knast sitzender Vater, der anstrengende Bruder, dessen vorlaute Freunde, der nörglerische Nachbar und die gemeine Sian – aber vor allem ist es Gemma selbst, die sich immer mehr verändert und vieles mit anderen Augen betrachtet. Ob die Grundidee dabei realistisch ist, sei einmal dahingestellt. Das, was diese skurrile Kuhrettungsmission auslöst, ist es auf jeden Fall. Es sind scheinbare Kleinigkeiten, die zusammen genommen große Wirkung haben.

Fazit: Anrührend, aber nie pathetisch, süß, aber nicht kitschig, witzig, aber nicht überdreht, komplex und doch ganz einfach. Ich habe dieses Buch unheimlich gerne gelesen.

 

 
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Originaltitel: Cowgirl
Übersetzung: Gabriele Haefs
Hardcover: 272 Seiten
Verlag: Königskinder/Carlsen
Erscheinungsdatum: 18. März 2016
ISBN: 978-3551560261
Altersempfehlung: Ab 12 Jahren

5 Replies to “[Rezension] „Milchmädchen“ von G. R. Gemin

  1. Hey!

    Ich habe gerade gesehen, dass du meine Rezi in deiner verlinkt hast. Vielen lieben Dank, dass ich total lieb von dir! 😀
    Deine werde ich dann auch noch sehr gerne in meiner verlinken. 🙂

    Liebe Grüße
    Corinna

  2. Hi Corinna,

    vielen, lieben Dank. Ich bin mit dir völlig einer Meinung, ein wirklich superschönes Königskind. Ich bin schon gespannt auf "Café Morelli" von G.R. Gemin und hoffe, es begeistert mich ebenso. Was ich bei dir darüber lesen kann, klingt ja sehr vielversprechend. 😀 Wenn ich eine Leseflaute habe (und zuletzt waren ein paar sehr durchwachsene Bücher dabei), dann sind die Königskinder immer meine Rettungsleine, um mich wieder rauszuziehen.

    Hab einen schönen Tag
    Alex

  3. Hallo Lex,

    ich bin auch begeisterte Leserin der Königskinder-Bücher und dieses steht ganz oben auf meiner Wunschliste. 🙂
    Eine tolle Rezension, die mich nun sehr neugierig auf das Buch gemacht hat.

    Liebe Grüße
    Nicole

  4. Hi Nicole,

    das freut mich! 🙂 Ich habe auch noch eine lange Liste von Wunschbüchern aus dem Köki-Verlag. Sehr schade, dass nun das letzte Programm erscheint. Die Geschichten und die liebevolle Aufmachung waren schon sehr besonders.

    Liebe Grüße und danke für deinen Besuch
    Alex

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