"Die Gerechte" von Peter Swanson, Hörbuch
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Alfred Hitchcock hätte sich bei diesem Krimi vermutlich die Hände gerieben und sich schneller die Rechte daran
gesichert, als manch anderem das Wort „Drehbuch“ über die Lippen gekommen wäre … wenn er ein ähnliches Buch nicht rein zufällig bereits verfilmt hätte. Denn „Die Gerechte“
von Peter Swanson ist gewissermaßen eine lockere Variante von „Strangers on a train“ von
Patricia Highsmith (1950) und hat mir – nach einer kleinen Leseflaute – sehr unterhaltsame Stunden beschert. 

Kammerspielartig, erzählt aus wechselnden
Perspektiven und auf diversen Zeitebenen stehen vier Personen im
Mittelpunkt dieser Geschichte: zwei schöne Frauen, ein betrogener
Ehemann und der Liebhaber. Als Ted am Flughafen von der verführerischen
Lily angesprochen wird, fühlt er sich sofort zu ihr hingezogen und
schüttet der mysteriösen Fremden sein Herz über seine untreue Ehefrau
Miranda aus. Lily reizt Ted zu unerhörten Gedankenspielen. Hätte Miranda
nicht den Tod verdient? Wie würde man es anstellen? Und was, wenn es
nicht bei der bloßen Vorstellung bliebe? Als Lily Ted dann auch noch
ihre Unterstützung bei der Beseitigung von Miranda anbietet, wird aus
der Theorie blutiger Ernst.

Viele würden „Die Gerechte“
vermutlich als sterbenslangweilig bezeichnen. Und wem Bücher im Stile
von „Girl on the Train“ oder „Gone Girl“ nicht gefallen,
der darf sich die Geschichte wohl getrost schenken. Ich selbst liebe Plots, die von Beginn an einen trägen
aber stetigen Sog entwickeln und genau das ist hier der Fall. Ted und Lily lernen sich kennen und schnell bekommt die Story eine unheimliche, fesselnde Note, da Ted offenherzig über den Fehltritt seiner Frau spricht und Lily, die schöne Fremde, ein verdächtiges Interesse zeigt. Dazwischen gibt es Rückblicke in Lilys Vergangenheit, die so ungewöhnlich sind, dass ich die ersten Stunden non-stop durchgehört habe. Und wen es jetzt bei dem Wort Zeitsprung gruselt – ich empfinde den Wechsel diverser Zeitebenen selbst häufig als störend in Büchern, hier aber absolut nicht, denn Lilys Erlebnisse vor ihrem Zusammentreffen mit Ted sind enorm aufregend und in gewisser Weise fast spannender als die Gegenwart, zumal sie ab einem bestimmten Punkt den Bogen zur Haupthandlung schlagen.  
 
Dem Autor gelingt ein wirklich interessanter Kniff: Man entwickelt Sympathien für eine Mörderin und – zumindest ich – war mir bis zum Ende
hin nicht sicher, ob ich mir wünschte, sie möge ungeschoren davonkommen
oder nicht. Einen nicht unerheblichen Anteil daran hatte sicher auch Sprecherin Christiane Marx, deren Stimme ich als sehr sehr angenehm empfunden habe und die Lily in meinen Augen schon fast mit mehr Persönlichkeit ausstattet, als der Autor ihr zugedacht hat. Aber auch alle anderen beteiligten Sprecher machen einen tollen Job und es hat wirklich Spaß gemacht, ihnen durch die Geschichte zu folgen.

Nach einer starken, packenden ersten Hälfte, steuert die Handlung zur Mitte hin auf einen originellen Höhepunkt zu, den ich zwar habe kommen sehen, der aber trotzdem nochmal Schwung in die Story bringt und in dessen Folge sich mehrfach die Kräfteverhältnisse verkehren. Die Täterin wird zur Gejagten und umgekehrt, was die
Spannungsspirale – das muss ich leider sagen – allerdings nicht so weit in die Höhe treibt, wie es
angesichts des ausgeklügelten Plots machbar gewesen wäre. Peter Swanson
steht sich hier bis zu einem gewissen Grade selbst im Wege, denn es entwickeln sich Längen durch Ausschweifungen und unnötige Wiederholungen, so dass ich bisweilen den starken Drang
verspürte, viele penibelst beschriebene Nichtigkeiten, wie etwa die
Zubereitung von Milchcafé, mit einem dicken Rotstift aus dem Text zu
streichen, ebenso wie etliche der immer wieder aus anderer Perspektive erzählten Ereignisse.

Das alleine wäre gar nicht einmal so schlimm gewesen. Wirklich schade fand ich hingegen eine gewisse Stagnation in puncto Raffinesse. Mit der Zeit erschienen mir die Protagonisten zunehmend eindimensional und ich konnte ihr Verhalten immer weniger verstehen. Der Autor legt sein Augenmerk auf die schachspielartigen Züge der Figuren, weniger auf ihre Motivationen, was bedauerlicherweise zur Folge hat, dass die Charaktere gewissen Klischees entsprechen (die Femme fatale, der verbissene Detective, der manipulierbare Einfaltspinsel). Man sollte also bloß nicht anfangen kritisch zu hinterfragen, warum fast alle literarischen Gestalten hier Mord offenbar für die einzige Lösung ihrer Probleme halten – denn dann schmilzt die Faszination zwangsläufig etwas dahin. Kann man sich damit arrangieren, dass logische Verhaltensmuster nicht Sinn und Zweck des Buches sind, bekommt man hier jedoch klassisch gute Krimikost serviert.

Fazit: „Die Gerechte“
von Peter Swanson ist zwar ein sehr ruhiges, aber auch
spannendes, teilweise überraschendes und akustisch durchweg überzeugendes
Hörbuch. Stellenweise zu detailreich und vor allem in der zweiten Hälfte zu stereotyp durchgestylt, aber mit dem erstaunlichen Effekt, mit einer Mörderin mitfiebern zu können. Freunden leiser Spannung kann ich das (Hör-)Buch trotz kleiner Schwächen empfehlen, denn gelangweilt habe ich mich hier wirklich nicht.

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Die Gerechte von Peter Swanson
Original: The Kind Worth Killing
Übersetzung: Fred Kinzel
Erscheinungsdatum: 16. Januar 2017
Spieldauer: 11 Std. 06 Min.
Verlag: Random House Audio
ISBN: 978-3-8371-3721-7

9 Replies to “[Rezension] „Die Gerechte“ von Peter Swanson

  1. Ich habe das Buch gelesen und kann es nur empfehlen. Total spannend und gut geschrieben. Ich finde es sticht richtig raus, zwischen den ganzen Romanen die im Moment aktuell sind

    Liebe Grüße
    Anja

  2. Ja, total! Ich lese im Moment ja extrem viele Thriller und merke, wie schwer es ist, in der Sparte wirklich etwas Besonderes zu finden. "Die Gerechte" war klasse – vor allem die erste Hälfte fand ich sauspannend. :-)))

    Liebe Grüße
    Alex

  3. Kann dir grundlegend nur zustimmen! Es ist ein Buch dessen Erzählstil (wie bei deinen genannten Buchbeispielen) mögen muss, um es gerne zu lesen! Was die Protagonistin und ihre Stagnation versteh ich absolut was du meinst und kann dem ebenfalls nur zustimmen – hier hätte etwas mehr herausgeholt werden können. Ich hab das Buch gerne gelesen, doch war es mit stellenweise zu langatmig, zu wenig überraschend – hätte ich es besprochen wären es 4 Sterne gewesen.

    Jaa, heut bin ich ein wenig faul mich durch deinen Blog zu klicken, liest du viel solcher Bücher?

    Liebe Grüße
    Janna

  4. Hi Janna,

    ach, ich bin eigentlich in allen Genres zuhause – vorwiegend Jugendliteratur, weil sie so enorm vielseitig ist! Aber in regelmäßigen Abständen habe ich eine kleine Thrillerphase, in der ich aus dem Bereich so ziemlich alles verschlinge, sofern nicht das Wort „Kind“ auf dem Klappentext steht, da fällt dann schon mal eine Menge raus. 😉 Ja, „Die Gerechte“ wäre für mich auch eine solide „4-Sterne-Bewertung“, wobei ich der ersten Hälfte 5 und der zweiten nur noch 3 Sterne geben würde. Die Figur des Polizisten fand ich überflüssig und das Ende ist in dieser Form nicht ganz neu. Wer genau hinhört, kann es sich auch denken. Aber insgesamt ist es meiner Meinung nach so ein klassischer Hitchcock-Krimi, der trotz seiner Längen wirklich gut gemacht ist. Eure Seite besuche ich übrigens öfter …. denn „ab und zu“ lest ihr ja auch gerne mal einen Thriller! :-))))

    Liebe Grüße
    Alex

  5. Hach das freut mich doch sehr das du ab und wann auch bei uns vorbeischaust (= Mit Kommi? Bislang aber nur schauen und weniger kommentieren oder? – Falls doch stelle ich mich schnell schämend in die Ecke!!

    Ich liebe ja Bücher mit solchen Switchs, es hätte aber noch intensiver ausgebaut werden dürfen in diesem Buch und nicht so sehr den Fokus auf die Vergangenheit gelegt. Grundlegend aber ein guter Thriller! "Gone Girls" fand ich auch super (den Film jedoch nicht) und bei "Girl on the train" hadere ich noch, ob ich es lesen will …

    Deine Rezi hier gibt jedoch gut wieder was den Leser erwartet – ich stalk dich mal auf Twitter & Co. und folge dir mal auf einem deiner social Kanälen (=

    Einen feinen Tag dir!

  6. Doch, ein paar Kommentare habe ich euch schon hinterlassen. Oft bin ich aber klammheimlich unterwegs, das stimmt – und eine Weile auch ohne Googleaccount. Demnächst winke ich häufiger mal mit der Kommiflagge, wenn ich bei euch vorbeischaue. Schön, dass du uns stalken willst. Genau wir ihr, sind wir hier ja zu mehreren und mit ganz unterschiedlichen literarischen Vorlieben aktiv. Dass du uns auf Twitter und Co findest ist der lieben Katrin zu verdanken, die den Blog vor Jahren ins Leben gerufen hat (lange vor meiner Zeit bei kathrineverdeen). 🙂

    Genieß das verlängerte Wochenende! See you… oder read you 😉

  7. Huhu!

    Ich liebe "Gone Girl" und "Girl on the Train", und "Die Gerechte" war für mich ein echtes Highlight! Wir hatten in unsere Krimi-Lesekreis aber auch Teilnehmer, die "Girl on the Train" sterbenslangweilig fanden, aber dennoch sehr begeistert von "Die Gerechte" waren. 🙂

    Ich muss zugeben, ich habe die Wende in der Mitte nicht kommen sehen, ich hatte mir eine andere Entwicklung vorgestellt – aber ich fand es grandios. 😀 Mir gefiel auch die zweite Hälfte des Buches sehr gut.

    Ich habe deinen Beitrag HIER für meine Kreuzfahrt durchs Meer der Buchblogs verlinkt!

    LG,
    Mikka

  8. Hi Mikka,

    danke für's Verlinken. Die Wahrnehmung ist natürlich immer etwas unterschiedlich. Insgesamt scheinen wir uns ja einig zu sein … ein gutes Buch. Die Beispiele sollten mir zum Verdeutlichen dienen, dass es sich nicht um ein actionlastiges, vor Blut triefendes Buch handelt, sondern um eine ruhige, auf Psycho-Ebene fesselnde Geschichte. Ähnlich wie die beiden Girl-Thriller, die ich beide mochte. Ich denke für viele fällt "Die Gerechte" dann tatsächlich raus, individuell betrachtet hast du natürlich recht, da kann man das eine durchaus 'nicht' und das andere wiederum 'sehr' mögen. Oder umgekehrt.

    Alles Liebe, schön dass du auf deiner Kreuzfahrt vorbei geschippert bist 🙂
    Alex

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