"Das Leben fällt, wohin es will" von Petra Hülsmann, Roman
Copyright: Bastei Lübbe

Nachdem Petra Hülsmann mir im letzten Sommer mit „Glück ist, wenn man trotzdem liebt“ großartige Lesestunden beschert hat, konnte ich bei ihrem neuen Buch nicht widerstehen. Zumal sich „Das Leben fällt, wohin es will“ allein schon optisch perfekt in die Linie der Autorin einreiht – aber auch inhaltlich wurde ich nicht enttäuscht. Zwar habe ich einige Kapitel gebraucht, um meine Vorbehalte gegen Protagonistin Marie abzubauen, aber dann hatte mich die Geschichte verschluckt, mit Haut und Haaren.

Petra Hülsmanns viertes Werk ist erneut eine Liebeserklärung an die Stadt Hamburg. Sicher entspricht das Bild dabei einigen Klischees, oder besser gesagt, bestimmten Charakteristika, die man mit dem „Tor zur Welt“ verbindet. Andererseits gibt es diese nun einmal wirklich – der Hafen mit seinen großen Werften, das szenige Schanzenviertel, der Kiez, die vielen abgerockten Spelunken. Die Beschreibungen sind bezaubernd, teilweise kauzig und sehr stimmungsvoll. Man bekommt sofort Lust aufzubrechen und die Stadt selbst zu erkunden. Zudem hat Petra Hülsmann eine bestimmte Art zu schreiben, die einen vollkommen in ihre Bücher abdriften lässt. Ihr Schreibstil ist so fließend, so plastisch und ihre Geschichten sind voller gegensätzlicher Nuancen – Humor/Ernst, Drama/Normalität, Liebe/Konflikt. Die Übergänge nimmt man dabei kaum wahr, weil nichts zu überzogen ist, sondern harmonisch-abgestimmt, so dass zwar das Genre bedient wird, alles aber ähnlich irgendwo irgendwie passiert sein könnte.

An Protagonistin Marie Ahrens habe ich mir anfangs allerdings die Zähne ausgebissen. Die Endzwanzigerin ist Tochter eines wohlhabenden Werftbesitzers, möchte jedoch mit dem Familienunternehmen nichts zu tun haben. Marie ist die totale Chaotin, lebt in den Tag hinein, jobbt in Kneipen, hält nichts von ernsten Beziehungen und tritt mit ihrer rotzigen Art in jedes herumstehende Fettnäpfchen. Als Maries ältere Schwester Christine an Brustkrebs erkrankt, wird Maries Leben von einem Tag auf den anderen auf den Kopf gestellt. Verantwortung ist genau das, was Marie eigentlich nicht will. Trotzdem zieht sie zu Christine, um sich um deren Kinder Toni und Max zu kümmern und übernimmt Christines Platz in der Firma. Klar, dass das nicht reibungslos vonstatten geht. Noch dazu gibt es da diesen Daniel Behnecke, den aalglatten Geschäftsführertypen mit den warmen, blauen Augen.

Vieles ist vorhersehbar, klar. Das ist auch gut so, denn man erwartet es von der Geschichte. Und doch habe ich mich ganz oft in vielen kleinen Dingen dabei ertappt verblüfft zu sein, weil irgendetwas anders passierte als gedacht. Die größte Entdeckung war für mich Marie! Sie hat mir anfangs wirklich Kopfschmerzen bereitet, kam mir zu überzogen flapsig, fast slapstickartig rüber. Aber Marie ist im Grunde eine tolle Protagonistin, die sich weiterentwickelt und an Schwierigkeiten wächst. Der Leser darf gemeinsam mit ihr ganz viele warme, starke Seiten entdecken. Und ab diesem Zeitpunkt habe ich Marie und ihre direkte Art wahrhaft geliebt.

Was ich nicht wusste, worüber ich mich aber sehr gefreut habe: Petra Hülsmann beschert ihren Lesern kleine Wiedersehen mit Protagonisten ihrer anderen Bücher. So tauchen zwischendurch Knut und Irina auf und man erfährt auch von anderen „alten Bekannten“. Da es sich um literarische Figuren handelt, die man allesamt bereits lieb gewonnen hat, hätte ich mir glatt noch mehr Begegnungen dieser Art gewünscht. Aber die Szenen bleiben letztendlich kleine, nette Gimmecks, denn die Charaktere sollen den „neuen Stars“ nicht die Show stehlen.

Eine einzige Sache hat mich etwas beschäftigt und das ist die Darstellung der Krebsthematik. Ich hätte mir mehr Optimismus und Positivität gewünscht. Natürlich kann die Therapie genau SO einen Verlauf nehmen. Es gibt ganz bestimmt diese Phasen, in denen sich der/die Erkrankte vollkommen gelähmt und überwältigt von der Krankheit fühlt. Die Ängste, die Wut und die Verzweiflung, die damit einhergehen, fängt Petra Hülsmann auf eine Weise ein, die einem das Herz schwer werden lässt. Und trotzdem muss es nicht immer so sein, schon gar nicht durchgehend, wie ich aus Erfahrungen im Bekanntenkreis weiß. Hier wären einige Zwischentöne einfach schön gewesen. Trotzdem liest sich das Buch natürlich eher optimistisch als negativ. Und so muss niemand befürchten in einer tieftraurigen Stimmung zu versinken. Petra Hülsmanns Geschichten sind letzten Endes eine Ode an das Leben, machen Mut in kleinen und großen Belangen.
 
In meinem Fazit stelle ich mich mal ganz frech hinten in der Schlange der vielen positiven Bewertungen an. „Das Leben fällt, wohin es will“ ist eine Geschichte zum Abtauchen, in der Leid und Glück so nah beieinander liegen, dass man ständig zwischen Ergriffenheit und innerem Seufzen schwankt, nicht zu seicht, wunderbar geschrieben und mit viel Humor und Bodenständigkeit. Obwohl ich mir mehr Positivität in Sachen Krebserkrankung gewünscht hätte, verströmt das Buch jede Menge good vibrations. Ein Wiedersehen mit Christine könnte ich mir übrigens ziemlich gut vorstellen – ihre Geschichte scheint mir noch nicht zuende erzählt.

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Das Leben fällt, wohin es will von von Petra Hülsmann
Taschenbuch: 512 Seiten
Verlag: Bastei Lübbe
Erscheinungstermin: 26. Mai 2017
ISBN-13: 978-3404175222
Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 16 Jahren 

4 Replies to “[Rezension] „Das Leben fällt, wohin es will“ von Petra Hülsmann

  1. Hallo Lex!

    Von diesem Buch bzw. der Autorin hat eine Freundin von mir schon so geschwärmt und deine Rezension macht wirklich Lust auf die Geschichte. Vor allem der "Zwiespalt" zwischen Ergriffenheit und Seufzen klingt für mich sehr reizvoll. Es freut mich, dass dir das buch gut gefallen hat (abgesehen von dem kleinen Wunsch hinsichtlich der Krebserkrankung 🙂 ).

    Liebe Grüße
    Laura

  2. Hi Laura,

    persönlich würde ich dir "Glück ist, wenn man trotzdem liebt" empfehlen. Ich finde, das Buch ist noch etwas stärker. Irgendwie kantiger, kauziger, ideenreicher.
    Aber auch die aktuelle Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Ich habe nur nicht ganz nachvollziehen können, warum Christines Therapie und auch deren Einstellung so krass dargestellt werden. Ich möchte keineswegs behaupten, dass es grundsätzlich überzogen ist, im Rahmen der Handlung wirkt es aber teilweise so. Es ist so wenig Mut machend, so einseitig. Und der Charakter von Christine geht in der Negativität unter, wird zu sehr der Thematik unterworfen…. da fehlte mir einfach was.
    Ich habe übrigens gerade im Urlaub "Wenn Schmetterlinge Loopings fliegen" von der Autorin gelesen…. auch wieder eine nette Geschichte, aber im Vergleich das bisher schwächste Buch meiner Meinung nach.

    Liebe Grüße aus Frankreich
    Alex

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