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1936
ist für alle europäischen Länder ein entscheidendes Jahr – in Deutschland
finden sowohl die olympischen Winter- wie auch Sommerspiele statt und werden
propagandistisch von Hitler und seiner Partei ausgeschlachtet. Im Laufe des
Jahres werden die Kriegsvorbereitungen immer konsequenter vorangetrieben und
die deutsche Wehrmacht marschiert auf Hitlers Geheiß hin in das
entmilitarisierte Rheinland ein, ein Affront, dem weder die Franzosen noch die
Engländer etwas entgegensetzen.
England
hat zu dieser Zeit mit großen innenpolitischen Schwierigkeiten zu kämpfen.
Zunächst gibt es da die vielen Menschen, die noch immer unter den
katastrophalen Auswirkungen des ersten Weltkriegs leiden. Vor allem der Norden
Englands ist von der verheerenden Armut geprägt. Die höhere Gesellschaft
Englands bekommt davon leidlich wenig mit bzw. verschließt davor willig die
Augen. Die Politik müsste sich damit befassen, doch nach dem plötzlichen Tod
des geliebten Königs Georgs
V. ist die Monarchie wie gelähmt. Der Thronfolger Albert, ein
moderner Mann mit einer Leidenschaft für schnelle Autos und andere Technik,
wird ebenso vom Volk geliebt, gerade weil er die Nöte des kleinen Mannes
(an)erkennt und alles erwartet seine baldige Krönung,. Zu dieser aber wird es
nicht kommen.
May
Thomas reist mit ihrem Bruder Sam von Barbados, wo die beiden jungen Leute auf der
elterlichen Zuckerrohrplantage aufwuchsen, Anfang des Jahres 1936 nach England.
Dort wollen sie sich eine eigene Zukunft aufbauen. Sam ist Anwärter auf einen
Marineposten und May möchte am liebsten ihre Leidenschaft für Automobile zum
Beruf machen. Die meisten Fahrer englischer Krankenwägen an der Front während
des ersten Weltkriegs waren Frauen und somit hat sie gute Karten, tatsächlich
eine Stellung als Chauffeuse antreten zu können. Tatsächlich bekommt sie eine
solche Anstellung im Haus von Sir Philip Blunt und erhält damit Zugang zu den
brisanten Geheimnissen und zu einer Gesellschaftsschicht, zu der sie aufgrund
ihrer Abstammung sonst keinen Zutritt hätte. Doch die Bediensteten des Jahres
1936 in England wissen genau um ihre Grenzen und so erscheint May auch eine
wirkliche Beziehung zu einem Mann aus dieser Schicht schier unmöglich.
Kurz nachdem May ihre Stellung im Hause Blunt angetreten
hat, trifft dort die Patentochter von Joan Blunt aus Amerika ein – Evangeline
Nettlefold. Sie ist eine alte Schulfreundin von Wallis Simpson – der Frau, die
den Thronfolger und zukünftigen König Englands so sehr in ihren Bann zieht,
dass er Ende des Jahres 1936 abdanken wird. May wird durch ihre Aufgabe,
Evangeline zu ihrer Freundin Wallis zu chauffieren die bestgehütete Affäre des
Königreichs offenbar …
Als Mrs.Simpson den König stahl heißt Juliet Nicholsons erster Roman – nach
zwei historischen Sachbüchern über England vor dem zweiten Weltkrieg – auf
deutsch und ist viel treffender, als der englische Originaltitel Abdication. Äußerst
kenntnisreich schildert Nicholson die englischen Verhältnisse des Jahres 1936.
Dass sie selbst eine Enkelin von Vita Sackville-West ist und somit wohl
auch Zugang zu Künstlerkreisen und höheren Gesellschaftsschichten hat, ist
ihrem Roman in den vielen Anspielungen – May kennt zum Beispiel Virginia Woolf
persönlich – ebenfalls anzumerken. Die Gleichgültigkeit der höheren Jugend gegenüber
den lebensbedrohlichen Missständen der ärmeren Bevölkerung zeigt sie sehr
deutlich in ein paar Szenen und den etwas stereotypen Figuren der Kinder von
Sir und Lady Blunt.
Und hier ist wohl auch der Sinn des Romans zu suchen:
Juliet Nicholson wollte eine für das Volk von England schwierige Zeit in einem
Roman von allen Seiten beleuchten. Leider hat sie versucht, das von zu vielen
Seiten zu tun und ist an manchen Stellen etwas zu sehr auf der Oberfläche – bei
aller Detailgenauigkeit – verblieben. Hier wäre etwas weniger mehr gewesen und
hätte das Lesevergnügen durchaus steigern können. Dennoch ist ihr ein schöner,
ruhiger, fast typisch britischer Roman gelungen, der zwar ein paar Längen
besitzt, sich aber dennoch gut lesen lässt.
Die slapstickartigen Auftritte der Amerikanerin Evangeline
Nettlefold jedoch hätte man sich schenken können – ist diese Figur noch
zudem nicht gerade sympathisch und zeigt, wie sehr Innen- und Außensicht eines
Menschen zuweilen differieren können.
Möchte man sich die Hintergründe von „The Kings speech“
in literarischer Form zu Gemüte führen, garniert mit einigen Nebensträngen, die
die Lebenswelt der Durchschnittsengländer ohne große Spannungsbögen zeigen,
dann jedoch greife man getrost zu dem äußerst geschmackvoll gestalteten Buch
mit dem wunderbaren Titel Als Mrs. Simpson den König stahl.
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Als Mrs. Simpson den König Stahl von Juliet Nicolson
Ich persönlich fand hier schade, dass das Buch nicht ganz hält, was der Titel verspricht. Ich hätte mir doch ein bisschen mehr von der Simpson-stiehlt-König-Geschichte versprochen und gewünscht. Dennoch ein tolles Buch, insbesondere ohne die falschen Erwartungen betrachtet.
Alles Liebe, Chimiko