Copyright: KiWi |
Stick to your guns
Lass nicht locker, bleib dran …
Kämpfen oder nicht, diese Frage wird sich jeder Mensch im Laufe seines
Lebens mindestens einmal stellen müssen. Wofür wir ins Feld ziehen, das
ist ebenso individuell wie wir selbst es sind. Sinn muss es machen, die
Aussicht auf Erfolg ist nicht ausschlaggebend, genau so wenig wie für
wen oder was wir uns stark machen oder ob der Gegner uns überlegen ist.
„Tu, was Du tun musst und bleib locker“
Aber bis man begreift, was einem wichtig ist, wofür es sich lohnt, in den Kampf zu ziehen, ist es manchmal ein langer Weg.
Archy
Stallings und Nat Jaffe sind mehr als Geschäftspartner. Seit Jahren
betreiben sie gemeinsam einen dieser Plattenläden, die wir alle lieben,
weil es hier nicht darum geht, Geschäfte zu machen, sondern die Sonne
der musikalischen Kultur hochzuhalten, damit nicht auch Zwerge große
Schatten werfen, in einem Bereich, der ebenso wie viele andere immer
kommerzialisiertere Züge trägt. Brokeland Records ist einer dieser
Treffpunkte, der die Gemeinschaft in der Telegraph Avenue zusammenführt.
Egal welcher Hautfarbe, egal welches Alter, hier sitzt man zusammen und
lauscht den Klängen von R&B , Soul, Funk, Jazz, Blues auf Vinyl und
tauscht sich aus.
In der Telegraph Avenue ticken die Uhren noch
anders, hier geht es nicht darum, das große Geld zu machen. Doch das
wird sich für Borkeland Records bald ändern, soll doch in nächster Nähe
zu dieser wunderbaren Oase für die nach wahrhafter Musik Dürstenden ein
Tempel der Massenware eröffnet werden …
Michael Chabon ist seit
seinem Debütroman Die Geheimnisse von Pittsburgh (1988) einer der
verlässlichsten und gleichzeitig überraschendsten Erzähler äußerst
unterhaltsamer und klug aufgebauter Geschichten, die die großen Fragen
des Lebens – Liebe, Freundschaft, Verlust, Vergebung – mit einem ganz
eigenen erfrischenden Witz beleuchten.
Auch wenn es Chabon dem
Leser anfägnlich nicht ganz leicht macht, wirft er ihn doch mitten
hinein in die Geschichte und zwischen das zahlreiche Personal, das er
aus vergessenen Musikergrößen und Blaxploitation – Stars der 70er,
offensichtlich nicht ganz gesetzestreuen Beerdigungsunternehmern, dem
King of Bling und so manch anderen Individualisten rekrutiert. Ein wenig
muss man schon dranbleiben, darf nicht locker lassen, will man die
Verbindungen erfolgreich entwirren. Doch es lohnt sich in jedem Moment,
dieser fulminant und witzig erzählten Geschichte zu folgen.
Chabon
erweist sich aufs Neue als Meister der Querverweise und Situationen,
die uns die breite Palette der Freude von einem warmen Lächeln auf den
Lippen bis hin zu einem aus tiefstem Herzen kommenden Lachen entlockt,
ohne das Quäntchen an Coolness zu entbehren, das uns beim Fallen des
Vorhanges nach 585 Seiten Kopfkino ein ehrfürchitges WOW entfahren
lässt, wenn wir erkennen, wie weit und vollendet Chabon auch dieses Mal
wieder den Bogen gespannt hat.
Die Figuren, die die Telegraph
Avenue bevölkern, sind ausgefeilt, authentisch und einige Male
exzentrisch schillernd, zumindest was ihr äußeres Auftreten angeht. Die
Bilder, die Chabon für ihre Beschreibung findet, sind ungewöhnlich
ideenreich und niemals abgegriffen.
Wer es schafft, ein Kapitel
über 15 Seiten aus der Sicht eines Vogels mit großer Erfahrung in einem
einzigen, sinnergebenden Satz zu schreiben, vor dem kann man sich als
Literaturbesessener nur demütig und dankbar verneigen.
Mehr ist zu
diesem außergewöhnlichen Buch und seinem brillanten Autor nicht nicht
zu sagen. Oder vielleicht doch: Wer amerikanische Literatur mag und
Michael Chabon noch nicht kennt, der hat einiges nachzuholen – und damit
meine ich nicht alleine einen Besuch in der Telegraph Avenue, Berkeley,
Kalifornien.
Telegraph Avenue von Michael Chabon
Gebundene Ausgabe: 592 Seiten
Verlag: Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum: 10. April 2014
ISBN: 978-3462046175