"NACHTWILD" von Gin Phillips, Thriller
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Kurz vor Schließung des Zoos fallen Schüssen. Attentäter machen Jagd auf die letzten Besucher, unter ihnen auch Joan und ihr fünfjähriger Sohn Lincoln. 

Das ist kurz gefasst die Ausgangslage und meine Assoziation dazu war absolute Hochspannung. Bei diesem Buch muss ich aber ganz klar zu einer Leseprobe raten. „NACHTWILD“ von Gin Phillips wird als Thriller beworben. Dieser wird jedoch in einem fast elegischen Stil erzählt, in dem die Flüchtenden zwischen Angst und willkürlich eingewebten Alltagsgedanken schwanken, der meinem Empfinden nach weder die Charaktere noch die Handlung eine feste Kontur annehmen lässt und sich für mich enttäuschend langatmig und spannungsarm las.

Der Zeitraum der Handlung umfasst etwa drei Stunden, in denen es im Zoo dunkel wird und sich die Personen vor den Tätern verbergen. Joan ist hierbei in einer besonders heiklen Situation, da sie nicht nur für sich alleine, sondern auch für ihren kleinen Sohn entscheiden muss. Es tauchen bisweilen moralische Fragen auf. Hilft man anderen, wenn man sich und sein Kind damit in Gefahr begibt?

Joan wird als aktive, überlegte Frau dargestellt. Sie reagierte anfangs in allen Momenten nachvollziehbar für mich. Auf der Suche nach einem Versteck versucht Joan nicht in Panik zu verfallen. Aufmerksam analysiert sie und schätzt dabei immer die jeweilige Gefühlslage ihres Sohnes ein. Sie merkt, wenn Lincoln quengelig wird, wenn er beginnt sich zu ängstigen und ruft dann sofort ihre mütterlichen Strategien ab.

„Joan versucht, in die richtige Stimmung hineinzufinden, um mit Lincoln zu reden – leise, so leise wie möglich -, damit alles normal und gut wirkt. Elternsein bedeutet oft, seinem Kind etwas vorzuspielen.“ (S. 85)

Joans Reflektionen führen anfangs zu einzelnen, packenden Szenen. Leider dominieren Innerlichkeiten die Handlung jedoch so massiv, dass sich der Plot zunehmend in ihnen verzettelt. Es gibt mehrere Perspektivwechsel zu unterschiedlichen
Leuten im Zoo (darunter einer der Täter), alle in der dritten Person. Der Ton
bleibt dabei immer gleich: Es ist eine Art Abwägen der Situation, vermengt mit Lebensfragmenten. Bruchstücke aus Empfinden und Erinnerung, die auf mich zusammenhanglos und zunehmend künstlich wirkten. Jedoch nicht zu verwechseln mit künstlerisch, denn um immerhin von einer gelungenen schöpferischen Form sprechen zu können, hätten die Gedanken sehr viel weniger banal sein dürfen.

Im gleichen Maße wie die guten Ansätze der Story verloren sich leider die überlegten Aktionen der Protagonisten, die für mich im letzten Drittel unnachvollziehbare Entscheidungen trafen, offenbar nur, um die Handlung vor dem Einschlafen zu bewahren. Aus dem Setting – der Zoo mit seinen weitläufigen Wegen, Gehegen und verschiedenen Tierarten – wurde aus meiner Sicht auch zu wenig gemacht. Die Geschichte hätte im Grunde auf jeder Art von abgelegenen Gelände spielen können. Die Tiere kommen bis auf winzige Ausnahmen kaum vor. Das war leider verschenkt!

Alles in allem empfand ich „NACHTWILD“ als ungewöhnliches Leseexperiment. Stellenweise hat es für mich gut funktioniert. In der Gesamtheit fand ich die Umsetzung (viel Innenwelt, wenig Außenwelt!) nicht überzeugend. Die Figuren schwanken zwischen Logik und Unkonzentriertheit und nahmen für mich keine klare Gestalt an, ebensowenig wie dieser Thriller. Die Einblicke in die Gefühlswelt einer Mutter und einige Gedankenspiele sind vereinzelt interessant, dominieren die Handlung aber zu stark und wirken zunehmend aufgesetzt. Für mich ein äußerst langatmiges Leseunterfangen!

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Originaltitel: Fierce Kingdom 
 
Übersetzung: Susanne Goga-Klinkenberg
Taschenbuch: 304 Seiten
Verlag: dtv
Erscheinungsdatum: 29. März 2018
ISBN: 978-3423261968

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