"Into the Water - Traue keinem. Auch nicht dir selbst." von Paula Hawkins
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Wie viele andere habe ich Paula Hawkins’ Debüt „Girl on the train“ vor zwei Jahren nur so verschlungen, ein originelles Buch, das aus dem drogenvernebelten Blickwinkel einer Alkoholikerin geniale Twists baut. Auf den Nachfolger „Into the Water“ war ich deshalb unheimlich gespannt. Zumal Paula Hawkins erneut auf die Fallstricke von Erinnerungen setzt und damit eine Vorliebe für die Manipulierbarkeit unserer Wahrnehmung offenbart. Reibungslos auf geht das Konzept aus meiner Sicht dieses Mal aber nicht.

Schon die Inhaltsangabe zeigt, dass viel auf einmal gewollt wird: Schauplatz ist Beckford ein kleiner, englischer Ort nahe des Drowning Pools, eine felsenreiche Flussbiegung, an der früher „Hexen“ ertränkt wurden und im Laufe der Jahrhunderte einige Frauen ihr Leben verloren haben. Die Schriftstellerin Nel soll hier Selbstmord begangen haben, doch ihre Schwester Jules hat Zweifel. Um sich um Nels Tochter, die 15jährige Lena, kümmern zu können, kehrt Jules in ihren Heimatort zurück, doch das weckt viele dunkle Erinnerungen, von denen Jules hoffte, sie für immer in den Tiefen ihrer Seele begraben zu haben.

So ganz klar war mir aufgrund des Klappentextes zunächst nicht, worauf die Geschichte hinaus will. Trotzdem fand ich die Idee ansprechend, einen mystischen, offenbar verfluchten Ort, an dem es seit Jahrhunderten immer wieder zu Todesfällen kommt, mit Vorkommnissen in der Gegenwart zu verbinden. Das hat Ansätze eines Schauerromans und verspricht jede Menge atmosphärischen Grusel. Genau hier verzettelt sich die Geschichte aber – denn das vielversprechende Setting tritt hinter 10 verschiedenen Erzählperspektiven (+ 4 weiteren literarischen Stimmen) zurück und eine Vielzahl von Nebenschauplätzen läuft sich gegenseitig den Rang ab. Im Zentrum der Ereignisse stehen: Die tote Schriftstellerin Nel, ein totes Mädchen, deren verzweifelte Mutter, die Familie des ortsansässigen Polizisten (auch da ein Todesfall), die dunklen Kindheitserinnerungen von Jules, in der sie durchlebt, wie ihre Schwester sie einst ertränken wollte, eine eigenwillige Wahrsagerin sowie Nels Buch über die Geschichte des Drowning Pools. Viel? Viel!

Im Gegensatz zu etlichen englischsprachigen Kritikern habe ich mich allerdings schnell in der Handlung zurecht gefunden und die Figuren samt ihrer persönlichen Hintergründe auseinander halten können, auch wenn sich das Puzzle nur holprig zusammensetzt und die Ereignisse teilweise eher lose miteinander verwoben sind. Trotzdem liest sich das Buch gefällig und abwechslungsreich und viele Gedanken, die die Autorin einbaut, haben mir gut gefallen. Wie schon in „Girl on the train“ beweist Paula Hawkins ein Talent für eine düstere Grundstimmung und einen scharfen Blick auf menschliche Abgründe, auf Gemeinheiten, die wir uns selbst antun und die, die wir von anderen ertragen müssen. Auf die Probleme, die uns unser Körper bereitet, entweder, weil wir oder andere ihn als unattraktiv wahrnehmen oder aber umgekehrt, indem das Äußere Auslöser für sexuelle Übergriffe ist. Über all dem schwebt die Kritik an Sexismus und Frauenfeindlichkeit.

Leider bleibt das Bild fragmentarisch, weil die Aufmerksamkeit der Leser ständig in eine andere Richtung gelenkt wird. Hier werden sich einige vielleicht leichter, andere schwerer darin tun, sich alle paar Seiten in eine neue Sichtweise einzufinden. Für mich hat der häufige Wechsel zuviel Unruhe in die Handlung gebracht und mehr als einmal den Spannungsbogen gestört.

Wohin sich die Story im Kern bewegt, ist trotz der Vielzahl an Spuren auch leider lange vor dem Finale klar, jedenfalls dem Leser. Die Figuren haben es da deutlich schwerer, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Alle pröddeln vor sich hin, brechen Dialoge in den entscheidenden Momenten ab, agieren generell hochemotional und erwecken den Eindruck, der Wahrheit offensiv aus dem Wege gehen zu wollen. Mir war es zwischendurch zuviel Drama, zuviel Tragödie und die Sichtweisen von Jules und Lena hätten mir hier durchaus gereicht, zumal ich Probleme hatte, mich auf einige der übrigen Charaktere einzulassen, die die Handlung entweder kaum bereichern (Erin) oder aber zu aggressiv die Kommunikation stören (Louise). Die Erkenntnisse kommen dann eher nebenbei, sind mehr Zufallsprodukt als Ergebnis gründlicher Ermittlungen. Aber gut: Auf dem Buchumschlag steht auch nicht Kriminal- sondern Spannungsroman, wenngleich das mit der Spannung dann doch so eine Sache ist.

Fazit: „Into the Water“ ist kein schlechtes Buch, das die Klasse von „Girl on the Train“ aus meiner Sicht jedoch nicht erreicht und klassisch vorführt, dass weniger oft mehr ist. Das Buch wäre deutlich stärker ohne die vielen emotionalen Einbrüche der Charaktere und einer größeren Konzentration auf die Hauptfiguren, da die häufigen Perspektivwechsel das Geschehen überladen wirken lassen und sich das Potenzial des Settings nicht gänzlich entfalten kann. Teile des Buches haben mich wirklich gut unterhalten, leider gab es zwischendurch immer wieder Dinge, die die Spannung gedrückt haben.

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Übersetzer: Christoph Göhler
Broschiert: 480 Seiten
Verlag: Blanvalet Verlag
Erscheinungstermin: 24. Mai 2017
ISBN: 978-3764505233

5 Replies to “[Rezension] „Into the Water – Traue keinem. Auch nicht dir selbst.“ von Paula Hawkins

  1. Hey angeltearz!

    Tja, die Kritiken sind auch im Ausland eher durchwachsen und man kann das Buch zwar ganz gut lesen, aber einige Sachen fand ich mit der Zeit doch ziemlich anstrengend. In die Story wurde meiner Meinung nach einfach zuviel rein gepackt.

    Liebe Grüße und auch dir einen schönen Tag 🙂

  2. So eine großartige Rezension! Auch wenn mich das Buch generell nicht anspricht, habe ich deine Rezi super gern gelesen. Man merkt deutlich, wie intensiv du dich mit der Lektüre auseinandergesetzt hast. Hut ab! Schade, dass das Buch schlussendlich nicht bei dir punkten konnte. Danke fürs Teilhabenlassen!
    Liebe Blubbergrüße
    Anka

  3. Vielen Dank, Anka! Schön, wenn man so nettes Feedback bekommt. Und ja, schade, dass mich das Buch nicht ganz überzeugen konnte, vor allem, weil mir „Girl on the train“ damals echt richtig gut gefallen hat.

    Liebe Grüße und einen wunderbaren Feiertag dir! 🙂

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