"The Girl Before - Sie war wie du. Und jetzt ist sie tot" von JP Delaney, Thriller
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„The Girl before“ vom britischen Autor JP Delaney (Pseudonym) ist eines jener Bücher, die die Meinungen der Leserschaft spalten. Vom Spiegel wenig schmeichelhaft als „glattpolierter Thriller mit eingebauter Bestseller-Garantie“ eingestuft, kann die Geschichte erwartungsgemäß zwar viele Leser fesseln, ruft aber auch jene kritischen Stimmen auf den Plan, die sich an den stereotypen Figuren und ihren abwegigen Entscheidungen stören, ohne die diese Geschichte recht schnell zu Ende erzählt wäre.

Denn glücklicherweise ziehen die beiden Protagonistinnen Emma und Jane im Abstand weniger Jahre nacheinander – und entgegen aller im Leserkopf aufflackernden Warnlämpchen – in Folgate Street Nummer 1 ein, ein obskures Londoner Hightechhaus, dessen Mietvertrag ein Pamphlet von Regeln und Verboten beinhaltet, so dass schon das Herumliegenlassen von Kleidung einem Verstoß in der Größenordnung eines eigenmächtigen Umbaus gleichkommt.

Ja, ich weiß… ich verfalle in Sarkasmus. Aber im Ernst, das Verhalten ist doch wirklich seltsam. Weder Emma noch Jane erscheinen die massiv in die Privatsphäre eingreifenden Vorschriften sonderlich unangebracht. Ein ellenlanger Psychotest für Mieter? Regelmäßige Führungen durch das Haus? Kameras? Sensoren? Inspektionen? Keine eigenen Möbel? Da klingelt nichts. Auch nicht, als der humorlose Vermietertyp mit seinem ausgeprägten Kontrollzwang auf der Bildfläche erscheint. Ganz im Gegenteil genügt beiden Frauen ein Blick auf den adretten Stararchitekten Edward Monkford, um auch sofort ein Verhältnis mit ihm zu beginnen. Nun ist die eine (Emma) tot, die andere (Jane) wird langsam misstrauisch… denn irgendetwas scheint da doch nicht zu stimmen. Sind Edwards Frau und Sohn vor Jahren wirklich bei einem Unfall gestorben, oder steckt mehr dahinter? Und ist Emma wirklich selbstverschuldet in den Tod gestürzt? Jane beginnt zu recherchieren!

Klar, auch mich hat die Inhaltsangabe sofort neugierig gemacht! Und was hätte man aus dieser Geschichte nicht alles machen können. Mir schwebte da ein Haus vom Format eines Horrorautos Christine vor, eine Gruselbude mit fiesem Eigenleben, die die Nackenhaare in die Höhe schnellen lässt. Man hätte auch eine deutliche Abrechnung mit einer sich selbst entfremdenden digitalen Welt hinlegen können oder unserer fortschreitenden gläsernen Existenz… alles wäre möglich gewesen. Nur sehr wenig von diesem Potenzial hat sich JP Delaney wirklich zunutze gemacht.  Unterm Strich bin ich von diesem „Thriller“ mehr als enttäuscht.

Zum einen stand das „Haus“ selbst sehr viel weniger im Zentrum der Ereignisse, als ich vermutet hatte. Lässt man das einmal außen vor, fehlte mir jedoch auch vollständig der Bezug zu den beiden Protagonistinnen. Beide wissen vor allem die Vorteile des Smarthauses zu schätzen, seine minimalistische Eleganz. Mag sein, dass dies vom Autor so beabsichtigt ist. Aber durch die Abstinenz kritischer Gedankengänge, war für mich bereits der Einzug in Folgate Street Nr. 1, der am Anfang einer ganzen Kette von Ereignissen steht, so leider nicht nachvollziehbar. Es fehlte mir hier an der Art Cleverness,
die ich an Protagonisten schätze.

Tatsächlich habe ich mich durchgehend über sie gewundert und
versucht sie zu verstehen, was mir einfach nicht gelungen ist, da ich im zweiten Schritt auch die „Lovestories“ nicht überzeugend dargestellt fand. Emma ist
gerade erst in ihrer Wohnung überfallen worden und möchte mit ihrem
Freund Simon einen Neuanfang starten. Jane hat eine Totgeburt erlitten.
Beide stürzen sich unmittelbar in eine Affäre mit BDSM-Fan und Karrierist Monkford, Mister „Bloß-keine-Verpflichtungen-denn-dann-fühlt-es-sich-nicht-perfekt-an“. Dieser Monkford ist alles andere als ein Sympathieträger, sondern schlichtweg ein empathieloser Eisklotz. Im Laufe der Handlung gibt es kleinere
Wendungen und der Leser lernt die Frauen etwas besser kennen. Trotzdem
mangelte es ihnen in meinen Augen an Persönlichkeit. Von dem hier bedienten Beziehungsbild
fange ich gar nicht erst an. Es verkauft sich offenbar immer noch gut.

Der Mittelteil war mir auch schlichtweg zu langweilig. In einen Thriller gehören für mich Bedrohungsmomente oder aber in anderer Form fesselnde Elemente, die ich hier einfach nicht ausfindig machen konnte, da es im Wesentlichen um das langsame Kennenlernen der beiden Frauen geht, das – wie gesagt – für mich trotz einer mitschwingenden tragischen Komponente, zu oberflächlich ausfällt und auch zu oft in billige Erotikszenen abgleitet.

Nicht zuletzt habe ich den Wechsel der Perspektiven und Zeitebenen hier als störend empfunden, weil sich Emma und Jane nicht nur optisch, sondern auch in ihrem Verhalten lange Zeit so ähnlich sind, dass ich immer wieder überlegen musste, wer denn hier eigentlich wer ist. Einziger Unterschied: In der Vergangenheit gab es keine Anführungszeichen. Das war allerdings weniger eine Hilfe, als eine weitere Hürde in dem ansonsten – zugegeben – sehr eingängigen Lesefluss.

Kurz und gut: Trotz Top-Ten-Status in der Bestsellerliste für mich leider ein Flop! Zuwenig Haus, viel (seltsame) Beziehung. Wenig Spannung, viel Langeweile und Charaktere, die mir der Autor nicht nahebringen konnte. Die Geschichte ist sachkundig verfasst, war für mich aber nur mäßig unterhaltsam. Aufgrund der Tragik, die teilweise mitschwingt, in meinen Augen mehr Mysterydrama als Thriller.

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Originaltitel: The Girl Before 
 
Übersetzung: Karin Dufner
Broschiert: 400 Seiten
Verlag: Penguin Verlag/Randomhouse
Erscheinungstermin: 25. April 2017
ISBN: 978-3328100997

3 Replies to “[Rezension] „The Girl Before – Sie war wie du. Und jetzt ist sie tot“ von JP Delaney

  1. Nach den ersten begeisterten Stimmen kommen immer mehr von den Kritikern, sowie deine Rezension. Das buch sprach mich sofort an, aber je mehr Rezensionen ich dazu lese, umso uninteressanter wird es für mich. Deine Worte bestätigen es nochmals – auf das Buch werde ich verzichten.

    Liebe Grüße
    Janna

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