"Rabensommer" von Elisabeth Steinkellner, Jugendbuch
Copyright: Beltz & Gelberg

Der Sommer, mit all seinen Farben und Gerüchen und den
langen Abenden im Garten, verleiht meinem Leben eine gewisse Leichtigkeit, die
ich den Rest des Jahres über sehr vermisse. Um diese Leichtigkeit des Sommers besonders
auszukosten, greife ich meist zu einer passenden Lektüre. Nur muss diese erst
einmal gefunden werden. 

Beim Stöbern durch die Verlagsprogramme ist mir ein
Titel aufgefallen, der das Potenzial dazu hat, meinen Sommer perfekt zu machen:
„Rabensommer“ von Elisabeth Steinkellner. Allein der Titel dieser Geschichte hat
einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen und warf eine Frage im
Zusammenhang mit diesem Buch auf: Warum wählte Steinkeller einen so
ambivalenten Namen für ihr Werk? Oder scheint es nur auf den ersten Blick etwas
doppeldeutig, weil man Raben oft mit negativen Eigenschaften assoziiert? Wie
passen also Raben und der Sommer zusammen? Raben besitzen hohe kognitive Fähigkeiten,
gelten aber auch als Vorbote eines Verlusts. Nicht zuletzt seit Edgar Allan Poes
berühmtem Gedicht gelten Raben als Unglücksboten und werden mit Dunkelheit und
Dämonie in Verbindung gebracht:

„Und der Rabe weichet
nimmer – sitzt noch immer, sitzt noch immer 
auf der blassen Pallasbüste ob der Thüre
hoch und hehr;
sitzt mit geisterhaftem Munkeln, seine
Feueraugen funkeln
gar dämonisch aus dem dunkeln, düstern
Schatten um ihn her;
und mein Geist wird aus dem Schatten, den er breitet um mich her,
sich erheben – nimmermehr!“ (Edgar Allan Poe)

Raben sind sehr
gesellige Tiere und zeigen ein starkes soziales Verhalten. Und gerade wegen
dieser verschiedenen Eigenschaften – so scheint es – hat Steinkeller diesen Titel gewählt, denn ihre Geschichte
handelt von Verlust und tiefen Freundschaften, die in einem flirrenden und alles
verändernden Sommer auf eine harte Probe gestellt werden.

Fast jeder Mensch stand schon einmal vor einem bedeutenden Umbruch
in seinem Leben und hat womöglich große Angst vor den Herausforderungen, die
auf ihn zukommen. Man fragt sich, welche Veränderung und welche Menschen dieses
neue Leben prägen werden. Am schwierigsten ist dabei wohl, dass man sich
selbst verändert und andere lieb gewonnene Personen in ihrer Entwicklung noch
nicht so weit sind, oder einfach andere Wege gehen möchten. Auch Juli steht vor
einem Wendepunkt in ihrem Leben. Die Schule ist beendet und sie möchte gerne studieren. Jedoch muss sie sich erst einmal für ein bestimmtes Fachgebiet
entscheiden.


Elisabeth Steinkellner erzählt mit aufwendigen und
verschachtelten Sätzen, in einer sehr ausdrucksstarken, atmosphärischen und
poetischen Weise, die Geschichte von Juli und ihren besten Freunden und zeigt
dem Leser dabei einige Brennpunkte des Lebens auf. Steinkellner muss eine große
Beobachtungsgabe haben, denn sie beschreibt ihre literarischen Figuren auf äußerst eindringliche Weise bei ihrer Suche nach neuen Impulsen, sodass sie für
den Leser immer authentisch und präsent sind. Die Autorin rundet ihre
Geschichte ab, indem sie oftmals das Thema ihres Titels aufgreift und es stimmig
in ihre Handlung einbaut. Es finden sich viele Vergleiche und Redewendungen mit
den rabenschwarzen Vögeln. 

„Die Nacht sitzt bei mir auf der Couch und starrt Löcher in die
Luft. Ich koche uns schwarzen Kaffee und dann sitzen wir und schweigen. Die
Nacht hat nichts gegen Leute, die schweigen. Und ich habe nichts gegen die
Nacht.“ (Seite 104)

Die Autorin hat ihre Geschichte in zwei imposante und stimmungsvolle
Teile strukturiert. Der erste beginnt in einem heißen Sommer zum Zeitpunkt des großen Umbruchs in Julis Leben. Hier lernen die Leser
die literarische Hauptfigur und ihre besten Freunde kennen. In diesen ersten
wunderbaren Passagen verbringt Juli viel Zeit mit ihren Freunden, um ihren
letzten gemeinsamen Sommer auszukosten. Denn keiner von ihnen weiß, wie es
danach weitergehen soll. Anfangs empfindet man alle Personen als eine Einheit, die
nichts und niemand trennen kann. Doch im Laufe des Geschehens kristallisieren
sich einige Probleme heraus, die diese Freundschaft auf eine harte Probe
stellen. Ängste vor den kommenden Veränderungen und Verlusten erwachen und
halten Juli fest umklammert.

Der zweite
Teil wirkt sehr konträr zum abgehandelten Geschehen. Dieser beschreibt die
Ereignisse um Juli nach dem großen Umbruch. Hier variiert Steinkellner in ihrem
Stil, ändert oft die Schriftart und lässt ihren Worten Raum, um ihre Bedeutung
zu verstärken. Viele großartige Sätze laden zum Verweilen ein und einige von
ihnen möchte man immer und immer wieder lesen.  Es ist ein sehr emotionaler Teil und Juli
lässt die Leser an ihrer Gefühlswelt teilhaben.
Steinkellner wählte für ihre bedeutungsvolle Geschichte über Freundschaft
und das Erwachsenwerden ein sehr passendes, offenes Ende. Nach einigen
Schwierigkeiten darf man zusammen mit Juli hoffnungsvoll in eine Zukunft
blicken, in der alles möglich ist.

„Und dann sieht man hin, sieht einander an, drei Sekunden
vielleicht, aber in diesen drei Sekunden liegt ein ganzes Leben, ein anderes
Leben, das man auch führen könnte.“ (Seite 55)

Lernt man an einem Wendepunkt seines Lebens sich selbst und seine
Freundschaften erst richtig kennen? Verändert man sich gar oder bewegen sich
die anderen einfach nur ein Stück weiter und man selbst bleibt stehen? All
diese Fragen beschäftigten mich während des Lesens dieser Lektüre. Und auch
nachdem ich mit den letzten Zeilen dieses Buch zugeklappt hatte. Die Geschichte
und ihre literarischen Figuren wirken nach und beschäftigen mich weiter. Und
genau das macht ein gutes Buch für mich aus.

Aber nicht nur das Buch „Rabensommer“ wird
mich weiter beschäftigen. Auch der Rabe als Stilmittel wird – wie in dem gleichnamigen Gedicht
von Edgar Allan Poe – nicht mehr weichen, weil er für mich jetzt nicht mehr mit
so vielen gruseligen Eigenschaften behaftet ist.

 

Rabensommer von Elisabeth Steinkellner
Taschenbuch: 202 Seiten 
Verlag: Beltz & Gelberg
Erscheinungsdatum: 24. August 2015 
ISBN: 978-3407812001

4 Replies to “[Rezension] „Rabensommer“ von Elisabeth Steinkellner

  1. Hey,

    eine sehr schöne Rezension hast du da geschrieben! "Rabensommer" klingt jedenfalls sehr interessant, ich mag Bücher über Freundschaften, die im Umbruch stehen. Der Schreibstil hört sich auf jeden Fall außergewöhnlich an.

    LG
    Anne

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