„Unerlaubt entfernt“ von Rosemarie Eichinger, Thriller
Copyright: Chicken House

Vier Jugendliche bleiben aufgrund eigener Verschuldung in einem Museum zurück, während der Rest der Klasse längst nach Hause zurückgekehrt ist. Als Herr Meyer seine Zöglinge abholt, brennt bei ihm eine Sicherung durch. Spontan schmeißt er alle Handys aus dem Autofenster und fährt mit den Schülern in eine abgelegene Hütte im Wald. Denn schließlich haben die Vier sich unerlaubt entfernt und dass sollte bestraft werden…

Kommen wir erst einmal zu den positiven Aspekten: Handlung und Setting haben viel Potenzial: Ein Lehrer, der ausrastet, eine einsame Hütte im winterlichen Wald, vier Schüler, die auf sich gestellt sind – das entspricht dem oft erprobten und immer wieder unterhaltsamen Horror-Klischee. Jeder, der sich für Horrorfilme oder Splatterstories begeistern kann, denkt sich bei dieser Kombination also zunächst: „Klassisch. Nicht umwerfend originell, aber vielversprechend.“
Das Ambiente wird von Rosemarie Eichinger dann auch gekonnt in Szene gesetzt und subtiles Grauen gemächlich gesteigert. Dabei wirkt sich die Kürze der Seitengesamtzahl nicht negativ auf das Ergebnis aus, im Gegenteil: Die etwa 100 Seiten werden voll ausgeschöpft.

Die Story gerät weder ins Stocken noch wirkt sie langatmig. Wie schon bei Kirsty McKays Pausensnack, bietet diese Ebook-Länge ein kurzweiliges Lesevergnügen, das es in sich hat – und das zu einem erschwinglichen Preis. Ich weiß nicht, ob es euch auch so geht, aber auf mich wirkt eine hohe Seitenanzahl bei den wenigsten Wälzern im Nachhinein begründet. Es gibt Bücher, von denen man sich wünscht, dass sie nie enden mögen. Und es gibt AutorInnen, die einen Spannungsabfall bei über tausend Seiten vermeiden können. Aber seien wir ehrlich – das ist in den seltensten Fällen der Fall. Die Ebook-Snacks aus dem Hause „Chicken“, einem Gemeinschaftsunternehmen des britischen Verlages „The Chicken House“ und dem deutschen „Carlsen Verlag“, sind für mich jedenfalls willkommene Schmöker-Appetitanregungen, die einen Vorgeschmack auf eventuelle Buchreihen der AutorInnen geben oder auch Kostproben der jeweiligen schriftstellerischen Begabung liefern. Da im Falle von Unerlaubt entfernt die Handlung durchweg konsistent ist und das Spannungniveau gehalten wird, ist gegen die Kürze also nichts einzuwenden. 
Auch die Covergetaltung ist gewohnt ansprechend. Eine Axt ist in den Titel integriert und verspricht spannende Lesemomente.
 
Leider endet hier mein Lobgesang. Denn das Konzept scheint – abgesehen von der Grundidee – nicht ausgereift zu sein. Der Sprachstil beispielsweise wirkt durchgängig sonderbar; auch nach längerem Lesen ist keine Eingewöhnung in Sicht. Ein personales Erzählverhalten ist erkennbar, kann aber oft nur schwer den einzelnen Personen zugeordnet werden. Meist ist des Lehrers Sicht vertreten, zwischendurch, wenn die Jugendlichen unter sich sind, wechselt die Perspektive im Stakkatoverfahren. Dabei kommt der Leser jedoch nicht immer mit.

Verkürzte Zwei-Wort-Aussagen („Keine Frage.“ „In Ruhe.“ „Wieder mal.“) im Jugendjargon wechseln sich mit simpelsten Hauptsätzen, bestehend aus Subjekt-Prädikat-Objekt, ab – jedenfalls wenn überhaupt ein Prädikat vorkommt – und sollen wohl, unterstützt durch eine Erzählung im Präsens, einen „kamerageführten“ Leseeindruck vermitteln. Wenn man die Erzählweise mit einer Kameraperspektive vergleichen sollte, dann fällt mir hier allerdings nur der Film The Blair Witch Project ein: verwackelt, konfus und leicht schwindelerregend. Zwischendurch fallen ironische Kommentare (vom Erzähler?), die nicht zur Stimmung passen. Was will er dem Leser damit sagen? Möchte er sarkastisch wirken und sich über die Teenager lustig machen? Wenn ja, so geschieht das in derart unpassenden Momenten, dass es nicht verwunderlich ist, dass man sich mit niemandem identifizieren mag.
 
Die Figuren sind ebenso klischeehaft wie die Handlung. Das wäre nicht weiter problematisch, wenn irgendjemand sich als witzig, interessant oder identifikationsstiftend herausgestellt hätte. Leider trifft das auf keine der Personen zu. Bis etwa zur Hälfte des Buches hatte ich sogar Mitleid mit dem psychopathischen Lehrer, denn die Teens wirken wahrlich unsympathisch. Je weiter die Handlung voranschreitet, desto abstoßendere Fakten erfährt man über Herrn Mayer – so dass am Ende alle Protagonisten unsympathisch sind. Die Entwicklung des Lehrercharakters ist nicht ebenfalls nicht durchgängig nachvollziehbar. Anfangs wirkt er überfordert; er könnte unter Burnout leiden. Mit der Zeit erfährt man von seiner latenten Gewaltbereitschaft und seltsamen Vorlieben. Im Laufe der Handlung schwankt er zwischen Aggression und Selbstmitleid, aber die Gefühlsregungen wirken aufgesetzt. Es kann natürlich sein, dass diese Schwankungen gewollt sind und den Eindruck des psychisch kranken Mannes unterstützen sollen. Auf mich macht es aber eher den Eindruck, als hätte die Autorin ihre – durchaus brauchbare – Skizze nicht richtig ausgearbeitet.
 
Dazu kommt, dass sowohl die Gespräche der Jugendlichen als auch die Situationen mit dem Lehrer nicht sehr realistisch erscheinen: Während Herr Meyer seine Schüler axtschwingend in Angst und Schrecken versetzt, freut Ben sich, dass Lucy angeblich auf ihn steht. Marie ist von einem Moment auf den anderen nicht mehr das lebenslang schüchtern-einfältige Mädchen, sondern die abgebrühte Coolness auf zwei Beinen. Ähm, ja. Nochmal: Auch eine völlig an den Haaren herbeigezogene, trashige Geschichte kann witzig sein. Bei Unerlaubt entfernt wirkte die Realitätsferne bedauerlicherweise eher störend.

Insgesamt macht der Psychothriller für Jugendliche ab 14 Jahren auf mich den Eindruck eines nicht ganz fertigen oder zumindest etwas übereilt abgeschlossenen Projektes. Schade, schade, schade. Denn Potenzial ist, wie eingangs erwähnt, genug vorhanden – und dass die Autorin es besser kann, hat sie in ihrem Roman Alles dreht sich, der bereits von Kathrineverdeen rezensiert wurde und die den etwas gewöhnungsbedürftigen Sprachstil ebenfalls kommentiert hat, bewiesen.

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Unerlaubt entfernt von Rosemarie Eichinger
Verlag: Chicken House (Carlsen)
Seiten: 102
Erscheinungstermin: Juni 2013
ISBN: 978-3-646-92596-8

5 Replies to “[Rezension] „Unerlaubt entfernt“ von Rosemarie Eichinger

    1. Ja, leider. Ich war auch frustriert darüber, dass ich kein besseres Feedback geben kann. Jedes Werk sollte mit Respekt behandelt werden, aber die Rezensionen müssen trotzdem ehrlich bleiben.

  1. Hach man dabei hatte ich mir schon fest vorgenommen dieses Buch ziemlich nals zu lesen aber wenn nicht nur du das so siehst, sondern auch noch jemand .. hm dann werd ich es wohl eher nicht lesen. . Dabei klang es so gut.

    Liebst, Lotta

  2. Rein nach dem Titel und der Inhaltsbeschreibung hätte ich mir überlegt es zu kaufen.
    Da du aber nicht so begeistert davon bist, werde ich mir das lieber nochmal überlegen:)
    Hab seit heute nen Blog, würde mich über einen Besuch freuen:)
    Ganz liebe Grüße, Sarah

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