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Ein Tagebuch ist etwas sehr persönliches und man vertraut
ihm viele Gedanken und Erlebnisse an, von denen sonst niemand erfährt. Auch Lea
schreibt sich in „Heldentage“ ihre Probleme von der Seele. Sie berichtet von
ihren Träumen und ihren scheinbar unerfüllbaren Wünschen, ihrem ersten
Liebeskummer und einem Leben, das von einer alkoholabhängigen Mutter und einem
egoistischen Vater geprägt wurde.
Liest man in einem fremden Tagebuch, dann erfährt man
einiges über dessen Besitzer. Man ergründet seine Persönlichkeit und erfährt
gut gehütete Geheimnisse. Um etwas über Leas Persönlichkeit zu erfahren, muss
man als Leser jedoch etwas geduldiger sein, denn man wird ohne eine kurze
Einleitung mitten ins Geschehen geworfen. Lea erzählt sehr desorganisiert, so
als würde sie voraussetzen, dass der Leser ihrer Passagen genau weiß, worüber
sie schreibt. Sie springt von einem Thema zum nächsten, nur um diese kurz
anzureißen und dem Leser tausend Fragen zu bescheren. Nach einigen gelesenen
Seiten kann man die vielen Puzzleteilchen zusammensetzen und erfährt vieles
über Leas Probleme. Zugegeben, viele davon sind recht oberflächlich: Sie findet
sich nicht schön. Aber einige sind schwerwiegend: Eine Erkrankung, die ihr die
Luft raubt, ein Freund, der sie abserviert hat, eine alkoholkranke Mutter, die
nie das Haus verlässt, und ein Vater, der lieber seinen eigenen Lebenstraum
verwirklicht ohne an seine Tochter zu denken. Lea lässt nur selten den Kopf
hängen und versucht sich mit ihrem Schicksal zu arrangieren.
Wenn man ein Buch mit dem Titel „Heldentage“ zur Hand nimmt,
erwartet man Heldentaten. Bei dieser Lektüre finde ich den Titel jedoch etwas
irreführend. Hier sucht man vergebens eine starke Persönlichkeit, die ihrem
Schicksal trotzt und sich ihren Problemen stellt, um sie zu beseitigen. Lea ist
meiner Meinung nach keine Heldin. Sie ist ein pubertierendes Mädchen, das viele
Wünsche und Träume hat, die für sie unerreichbar scheinen. Obwohl sie ihre
Probleme genauestens beschreibt, hat man das Gefühl, dass sie oft vor ihnen
resigniert und vor ihnen wegläuft. Das finde ich wiederum sehr authentisch,
denn man sollte sich beim Lesen immer wieder bewusst machen, dass Lea fünfzehn
Jahre jung ist und keinen Halt bei ihrer Familie findet. Wie sollte sie es auch
bei einer Mutter, die ihre Probleme mit Alkohol bekämpft, erlernen? Umso
erstaunlicher fand ich es, dass Lea im Laufe der Geschichte eine große
Entwicklung durchmacht und etwas mutiger im Umgang mit den Schwierigkeiten des
Lebens wird.
Womit ich in diesem Buch nur schwer zurechtkam, war der
Schreibstil von Sabine Raml. Lea darf ihre Geschichte erzählen und schreibt, wie
es ihr gerade in den Sinn kommt. Manchmal etwas unorganisiert, widersprüchlich
und kopflos. Die Autorin lässt Lea in ihrem Handlungsgerüst der Geschichte
viele Freiheiten. In einem einfach gehaltenen Schreibstil beginnt die
literarische Hauptfigur ein Thema, ohne dieses zu beenden, bevor sie sich mit
einem neuen beschäftigt. Lea liebt es, ihre eigenen Sätze sarkastisch zu kommentieren
und ich habe mich oft während ihres inneren Monologes gefragt, warum sie das
ständig tut. Vielleicht möchte sie sich mit Selbstironie etwas unangreifbarer
machen, denn es tut ja nicht so weh, als würden andere über sie scherzen. In
den ersten Kapiteln möchte Raml die Intensität einiger Sätze und ihrer
Bedeutung verstärken, indem sie Lea bestimmte Wörter des Öfteren wiederholen
lässt – wenn sie Liebeskummer hat, schreibt sie immer dreimal den Namen des
Jungen hintereinander. Aber Lea reiht nicht nur dieselben Worte aneinander –
bei ihren Aufzählungen benutzt sie auch immer denselben Satzanfang. Nach der
zehnten Aufzählung hatte ich dann wirklich keine Lust mehr weiterzulesen, weil
sie die Ursachen ihrer Probleme sehr ausschweifend schildert. Im Laufe der
Geschichte legt sie diesen Stil jedoch ab und ich wurde für mein
Durchhaltevermögen belohnt, und konnte mich intensiver auf die Handlung
konzentrieren.
Sabine Raml hat in ihrem Debüt „Heldentage“ den Schwerpunkt
deutlich auf Leas Persönlichkeit, den Umgang mit ihren alltäglichen Problemen
und wie sie an ihnen wächst, gelegt. Alle anderen Protagonisten werden zwar
sehr oft von Lea erwähnt, sie bleiben jedoch alle sehr blass und nehmen kaum an
der Handlung teil. Hier blieb viel Potenzial ungenutzt.
„Heldentage“ von Sabine Raml ist eine Geschichte, die durch den
brisanten Schwerpunkt und einem ausgefallenen und lockeren Schreibstil
besonders jüngeren Lesern zu empfehlen ist.
Heldentage von Sabine Raml
Gebundene Ausgabe: 304 Seiten
Verlag: Heyne fliegt
Erscheinungsdatum: 2. März 2015
ISBN: 978-3453269606