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Wir alle tragen Gedichte in uns – die Kunst ist, sie rauszulassen
Diane von Schmidt kennt man. Als Tochter des
Mathematiklehrers, die sich nicht wie eine solche benimmt. Zu den Schulfesten
erscheint sie in Pumps und ihr fester Freund bezeichnet sie anderen gegenüber
als „heißen Feger“. Als Chic Waldbeeser von ihr angesprochen wird, kommt das
nicht nur für ihn aus heiterem Himmel. Diane jedoch macht ihm unmissverständlich
klar, dass sie von ihm eingeladen werden möchte. Eine Frau, die weiß, was sie
will, gleichzeitig ist sie aber auch an Chics Wünschen interessiert.
„Was wünschst Du Dir mehr als alles andere auf der ganzen
weiten Welt?“ Ihre Stimme klang so selbstbewußt, dass Chic ganz unsicher wurde.
„Einen großen Hund“, sagte Chic. „Nein, ich meine vom Leben.“ Darüber musste er
nachdenken. „Mit einem großen Hund würde alles ein bisschen besser werden.“ Seite 13
Alles ein bisschen besser – mehr wollte Chic Waldbeeser im
Jahr 1950 nicht. Doch was das „ein bisschen besser“ beinhalten sollte, war viel
mehr: Eine normale Familie – ein Wunsch, den viele Menschen hegen, aber nur
wenige bekommen ihn erfüllt. Und weil Diane diesen Wunsch nicht abwegig findet,
heiraten die beiden jungen Menschen recht rasch, kurz nachdem sie überhaupt
aufeinandergetroffen sind.
Zur Hochzeit ist natürlich auch Chics älterer Bruder Buddy
mit seiner indisch-stämmigen Frau Liji eingeladen und schon damit beginnen die
ersten Probleme in der blutjungen Ehe …
Ryan Bartelmay schildert in Voran, voran, immer weiter
voran kein unbedingt durchschnittliches, aber auch kein allzu
außergewöhnliches Leben. Seine Figuren haben allesamt irgendetwas zu
verarbeiten. Kaum einem, gelingt es aus eigener Kraft einen geraden und
glücklichen Lebensweg zu beschreiten. Überall lauern Dämonen der Vergangenheit.
Chic allerdings sticht aus diesem Kreis insofern heraus, als
dass er kaum eigene Impulse empfindet, die seinen Weg bestimmen könnten. Irgendwie
scheint er immer nur zu reagieren. Und genau das ist es, was diesen Roman
nicht gerade leicht lesbar macht. Zuweilen fehlt das Identifikationspotenzial
oder Nachvollziehbarkeit der Ereignisse um Chic, als dass ein zügiges
pausenloses Folgen möglich gewesen wäre. Zu sehr quält er sich, zu sehr
versucht er, anderen Menschen zu gefallen, um so etwas wie eine menschliche
Verbindung aufzubauen, etwas zu spüren und zu oft scheitert er dabei, ohne die
Gründe für das Scheitern zu erahnen.
Es ist nicht schön, mit anzusehen, wie ein Mensch sich
abmüht, nur um ein wenig Gemeinsamkeit zu spüren. Allerdings ist es ebenso
erstaunlich, wie viel Menschen aushalten können ohne jemals die Hoffnung auf
„ein bisschen Mehr“ zu verlieren.
Chic und Diane sind nicht alleine mit ihren Erfahrungen, das
zeigt Barthelmay deutlich an seinen anderen Figuren. Doch wie sie jeweils mit
diesen Erfahrungen umgehen ist so unterschiedlich, wie die Menschen selbst es
sind.
Bartelmays unbestechlicher Blick auf die Absurditäten des
Alltags allerdings durchbricht die teilweise fast schmerzhafte Atmosphäre des Romans.
Phasenweise ist das so komisch, dass man gar nicht anders kann, als laut zu
lachen, nur um gleich darauf zu merken, wie bitter die Situation doch im Grunde
ist.
Voran, voran, immer weiter voran heißt das nur nicht
aufgeben und immer weitermachen oder Wandel ist alles, Stillstand ist der Tod?
Beide Lesearten des Titels lässt der Autor zu.
Der Verlag selbst vergleicht den Roman im Klappentext mit
einer der großen Wiederentdeckungen der letzten Jahre: John Williams Stoner.,
was meiner Meinung nach irreführend ist und bei wahren Stoner-Fans zu
Enttäuschung führen könnte. Bartelmays Hauptfiguren entscheiden sich zum großen
Teil nicht aktiv für ein bestimmtes Verhalten. Sie leben eher in einer
Duldungsstarre oder reagieren auf die äußeren Einflüsse. Williams‘ Stoner
hingegen ist sich seines Handelns immer bewußt. Vielleicht liegt der
Unterschied auch darin, dass Stoner ein Ziel, eine Aufgabe besitzt, die
er liebt. Bartelmays Figuren, denen es
ähnlich ergeht, die eine Aufgabe gefunden haben, die sie mit Freude verfolgen,
scheinen glücklich und zufrieden, haben sich ausgesöhnt. Wer das nicht schafft,
der trudelt in einem Strom der Unsicherheit und Verzweiflung durchs Leben.
Inhaltlich betrachtet ist Voran, voran, immer weiter voran
keine leichte Kost. Sprachlich befindet sich alles im Fluss. Konzeptionell
gesehen wirken die Sprünge der Kapitel zwischen Personen und Zeiten etwas
unmotiviert und konnten mich nicht wirklich überzeugen. Dennoch ist das Buch
nicht einfach beiseitezulegen, verströmt es doch einen gewissen Reiz, der den
Wunsch nach Auflösung oder gar Erlösung ankurbelt und ein Aufgeben nicht
zulässt – ganz im Sinne des Titels!
„Um die Ecke ist das Ende. Kuck wo de hinfährst. Wie ich
zu mein Freund gesagt hab.“ S. 430
Voran, voran, immer weiter voran von Ryan Bartelmay
Originaltitel: Onward Toward What We’re Going Toward
Gebundene Ausgabe: 432 Seiten
Verlag: Karl Blessing Verlag
Erscheinungsdatum: 30. März 2015
ISBN: 978-3896675262
Klingt interessant und auch wieder …schwierig? Das Cover ist sehr gelungen allerdings. Der Handlungsort ist USA, oder? (Sorry, falls ich es überlesen habe…)
Liebe Krink,
ja Handlungsort ist in den USA in den 1950ern – es ist interesant und schwierig. Da triffst Du den Nagel auf den Kopf … Man möchte man manchmal rufen, hör ich dich hinein und versuche nicht, den anderen zu gefallen, sondern finde deinen Weg. Aber es gibt auch Charaktere, die das tun. Nun, ich fürchte, Du musst slebst lesen, um Dir ein eigenes Urteil bilden zu können. Ich musste zwar pausieren, aber ich konnte es auch nicht aus der Hand legen …LG, Bri