"Young Elites - Die Gemeinschaft der Dolche" von Marie Lu, Jugendbuch
Copyright: Loewe

Marie Lu hat sich lange mit den ersten Entwürfen zu ihrem Trilogieauftakt „Young Elites – Die Gemeinschaft der Dolche“ herum gequält. Irgendwann hat sie ihr ganzes Material über Bord geworfen und noch einmal ganz neu zu schreiben begonnen. Statt aus Sicht eines Jungen zu erzählen, der seinen Erzfeind bezwingen will, arrangierte sie die Handlung nun rund um eine ungewöhnlich dunkle, zerrissene Heldin. Und wie ich finde, ist ihr das gut gelungen! Zu Katrins positiver Rezension, gibt’s von mir deshalb einen Nachschlag. 

An Adelina Amouteru scheiden sich allerdings die Geister. Manche finden sie unerträglich unsympathisch, andere sind von ihr fasziniert. Ich selbst hatte von der ersten Seite an kein Problem mit ihr. Ehrlich gesagt hatte ich – vage einige Rezensionen im Kopf – eine sehr viel schurkischere Adelina erwartet. Ja, es passieren schlimme Dinge in der Geschichte und Adelina mischt kräftig mit. Jedoch hat Marie Lu viel Arbeit in Adelinas Biografie gesteckt und konnte mir auf eine sehr nahe gehende Weise vermitteln, warum ein normales Mädchen viele dunkle Gefühle in sich aufstaut – Wut und Angst, Ekel vor sich selbst, aber auch sturen Stolz, zähen Selbstbehauptungswillen und bisweilen die schiere Freude am Gefühl der Macht über andere. Tatsächlich
zündet die Geschichte aber wohl nur dann, wenn man einen Draht zur
Hauptfigur findet. Denn, obwohl es ein paar Perspektivwechsel gibt,
erlebt man den Großteil der Ereignisse aus Sicht dieser sehr gespaltenen Heldin.

Adelina wurde vom geheimnisvollen Blutfieber befallen. Eine Krankheit, die seltsame körperliche Merkmale verursacht und mitunter übernatürliche Fähigkeiten weckt. Genannt werden diese Gezeichneten Malfettos. Adelina hat das Blutfieber ein Auge gekostet und ihre schwarzen Haare, die jetzt silbrigweiß sind. Ungewöhnliche Fähigkeiten zeigt sie zur Enttäuschung ihres hartherzigen Vaters aber nicht, der Adelina auf brutale Weise spüren lässt, dass er ein Malfetto-Kind verabscheut. Adelina läuft davon und wird von der Gemeinschaft der Dolche rekrutiert, die gegen den König rebellierende Elite der Malfettos. Doch auch hier – unter ihresgleichen – stößt Adelina auf Feindseligkeit. Plötzlich und verspätet erwacht eine Kraft in ihr, mit der sie völlig überfordert ist. Das wiederum weckt das Misstrauen der anderen Malfettos. Und so kämpft Adelina nicht nur gegen ihre eigenen Dämonen, sondern auch gegen die Zweifel, die die Gruppe gegen sie hegt. Und schließlich ist da noch ein weiterer, sehr mächtiger Gegner.
 
Mich konnte das Buch total fesseln, wobei die Faszination eben vor allem über das Mitfiebern und Hoffen mit Adelina entstand. Ich habe mir die ganze Zeit gewünscht, Adelina möge ihren Platz bei den Dolchen finden und hatte Angst, sie wird von ihrer dunklen Seite überwältigt. Adelina begeht Fehler. Ja. Normalerweise rümpfe ich die Nase über Heldinnen, die blindlings in Fallen tappen, die man als Leser lange voraus ahnt. Hier störte es mich ausnahmsweise nicht. Marie Lu erklärt jeden Schritt und jedes Gefühl Adelinas nachvollziehbar. Sie führt eine junge Frau vor Augen, die entwurzelt ist und deshalb zwischen ihrer dunklen und hellen Seite hin und her pendelt. Das macht Adelina teilweise zur Antiheldin, mir aber trotzdem nicht unsympathisch. Adelina kann grausam sein, ist aber selbst oft erschrocken darüber und bot mir damit immer noch ausreichend Identifikationsraum. Sogar sehr viel mehr, als viele andere Heldinnen dieses Genres. Der entscheidende Türöffner zur Figur war für mich jedoch Adelinas Liebe zu ihrer Schwester Violetta, der ein Mosaik aus widerstreitenden Gefühlen innewohnt, und in der sich die ganze Tortur ihrer Kindheit spiegelt. 

Das
Tempo des Buches ist etwas langsamer, aber es gibt einen (fast)
durchgehend konstanten Spannungsbogen, resultierend aus vielen inneren und
offenen Auseinandersetzungen der Protagonisten, garniert mit etwas Action und einer sich anbahnenden Liebe, die unter
keinem glücklichen Stern steht. Als Kulisse dient ein märchenhaftes, venezianisch anmutendes Reich mit Gondeln, Wasserwegen und schillernden Masken. Allerdings – und da bekam mein Lese-Hochgefühl dann doch ab und zu einen Dämpfer – fehlten mir häufig genauere Beschreibungen. Viele Situationen beschwörten ein Meer aus Farben in mir herauf, aber keine wirklichen Örtlichkeiten. Der Fortunata-Hof, die königliche Residenz, unterirdische Geheimgänge, magische Wesen – da entstanden nur selten Bilder in meinem Kopf und ich hätte gerne mehr davon an die Hand bekommen. Stattdessen hätte die Autorin auf einige modische Eindrücke verzichten können. Durch ihr detailliertes Schwelgen in Äußerlichkeiten empfand ich im Mittelteil einige Längen. Lieber hätte ich mehr über die Nebencharaktere erfahren, deren Namen und Fähigkeiten ich schon wieder vergessen habe, so blass blieben sie.

Fazit: Wer sich auf Adelina und ihre zerrissene Art einlassen kann, wird mit einem ungewöhnlichen literarischen Experiment belohnt. Angelegt als Jugendfantasybuch mit vielen bekannten Motiven, kitzelt Marie Lu hier jede Menge Facetten aus ihren Helden heraus. Das Verhältnis von Gut und Böse ist ausnahmsweise mal nicht starr, sondern bekommt in „Young Elites – Die Gemeinschaft der Dolche“ Risse, die für mich einen besonderen Reiz hatten und über kleine Schwächen hinweg trösteten. Das offene Ende, mitsamt eines spektakulären Showdowns, lässt auf viel Spannung für die Fortsetzungen hoffen und ich bin sehr neugierig, was da noch kommen wird.

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Young Elites – Die Gemeinschaft der Dolche von Marie Lu 
Band 1
Originaltitel: Young Elites
Übersetzer:

Sandra Knuffinke,

Jessika Komina 
Hardcover: 416 Seiten 
Verlag: Loewe 
Erscheinungstermin: 16. Januar 2017 
ISBN: 978-3785583531 
Altersempfehlung: 14 – 17 Jahre

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