Wer meinen letzten Post gelesen hat, weiß bereits, dass ich bei meiner Urlaubslektüre nicht das glücklichste Händchen bewiesen habe. Und so hatte ich leider auch mit meinem dritten Ferienbuch „Witchmark. Die Spur der Toten“ allenfalls durchschnittlichen Lesespaß.
Es handelt sich um das Debüt einer amerikanischen Autorin namens C. L. Polk. Der Klappentext prophezeite für diesen Mix aus Detektiv-, Fantasy– und Lovestory beste Unterhaltung. Die Geschichte sei mit „überwältigendem Charme und Können“ erzählt. Da musste ich natürlich zugreifen.
Tolle Zutaten, unausgewogen zusammengemixt
Das Setting erscheint zunächst originell und ist irgendwo zwischen viktorianischem Zeitalter und den 1920er Jahren angesiedelt. Automobile sind noch eine Besonderheit, es wird vornehmlich Kutsche oder Fahrrad gefahren. Damenbesuch ist ganz und gar nicht schicklich, Herrenbesuch ebensowenig. Umso erfrischender, dass es sich bei der Hauptfigur um einen homosexuellen jungen Arzt namens Miles Singer handelt, ein Magier und Heiler, der seine Fähigkeiten geheimhalten muss.
Witchmark – Die blasse Spur der Toten
Denn in Aeland werden Magier, sofern sie nicht über die Gabe des Wetterbeschwörens verfügen, an sogenannte Sturmsänger gebunden, die sie als menschliche Kraftquelle missbrauchen. Um diesem Schicksal zu entgehen, hat Miles seiner Familie den Rücken gekehrt. Nach seinem Kriegsdienst arbeitet er unter falscher Identität in einem Hospital. Hier versucht er herauszufinden, was er mit den seltsamen Psychosen auf sich hat, unter der viele heimkehrende Soldaten leiden und die sie dazu zwingt, ihre Familien zu töten. Als er überdies mit dem rätselhaften Giftmord an einer Hexe konfrontiert wird, lernt er den gutaussehenden Amaranthinen Tristan kennen. Gemeinsam versuchen sie, die Rätsel zu lösen.
Hier ein Häppchen, dort ein Häppchen
Intrigen, Verrat, Krieg, Klassenkonflikte und Familienstreit – die Geschichte ist randvoll mit interessanten Ideen. Die aber zu wenig und teilweise verwirrend ausgearbeitet sind, so dass es schwer fällt, eine Verbindung zu den Figuren aufzubauen und Spannung nicht recht aufkommen mag. Man stelle sich ein Abendessen vor, bei dem einem der Kellner ständig die Speisen wegnimmt, das Dessert gegen die Hauptmahlzeit tauscht, die Hauptmahlzeit gegen die Vorspeise, die Vorspeise gegen ein Schüsselchen Obst etc. etc.
Ähnlich verfährt Polk mit der Gestaltung ihres Handlungsgerüstes. Informationen zu politischen Machtverhältnissen, magischen Gesetzen, ja selbst Grundlegendes wie die Unterscheidung von Begrifflichkeiten wie Hexe oder Magier oder was genau es bedeutet, an einen Sturmsänger gebunden zu sein, werden nicht konsequent eingeführt, sondern angerissen und anschließend auf die lange Bank geschoben. Auf manches wird später, auf anderes viel zu oft oder aber gar nicht mehr zurückgekommen. Wer genug Fantasie hat, vermag die Leerstellen selbst zu füllen. Mir gelang dies leider vielfach nicht.
Finally – finished!
Immerhin konnte mich das Buch soweit fesseln, dass ich es beendet habe. Allerdings in der Rekordzeit von sechs Wochen, da ich nie längere Zeit am Stück große Begeisterung für Miles‘ Erlebnisse aufbringen konnte. Am meisten reizte mich noch das Rätsel um den anfänglichen Mord, das erkennbar als roter Faden durch die Seiten führt, sich zwischendurch aber wie Kaugummi zieht und sicher nicht aufgrund der Genialität der beiden Protagonisten gelöst wird, die fast 300 Seiten benötigen, um den Lebensmittelhändler des Opfers aufzutreiben und mit der Nase auf Offensichtliches geradezu gestoßen werden müssen.
So schön es ist, inzwischen mehr Diversity in Büchern zu finden, so langweilig ist die Lovestory zwischen Dr. Singer und Tristan Hunter, die typische Instalove-Motive bedient. Natürlich ist Tristan so unfassbar schön, dass seine wahre Gestalt kaum zu ertragen ist. Und natürlich verliebt sich Miles schon nach wenige Zeilen in ihn. Wie man es eben gefühlt in jedem zweiten Fantasybuch vorgesetzt bekommt. Von differenzierter Charakterzeichnung kann auch keine Rede sein. Das Buchpersonal wird mit groben Pinselstrichen in die Handlung getuscht (Miles = freundlich+hilfsbereit, Tristan = perfekt+beschützend). Die Liebesgeschichte beschränkt sich im Übrigen auf eine handvoll knisternder, gefühlsseliger Momente.
Handwerkliche Mankos
Obwohl der Text gut lesbar ist, scheint bei der Übersetzung hier und da ein kleiner Unfall passiert zu sein. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass einige Sätze seltsam zusammenhanglos im Raum stehen.
Was noch zu sagen wäre: „Witchmark“ ist ein Reihenauftakt. Daher werden nicht alle Fragen beantwortet, etliche Fäden aber doch zu einem vorläufigem Ende verwebt. Mir persönlich fehlte bis zum Schluss eine fesselnde Atmosphäre und die Bindung zu Polks Fantasy-Milieu. Originelle Ansätze gibt es zwar, jedoch verpackt in einem unausgereiften Gesamtpaket. Hübsch: Die Schrift auf dem Cover leuchtet im Dunkeln.
Witchmark: Die Spur der Toten von C.L. Polk
Original: Witchmark (The Kingston Cycle Book 1)
Übersetzung: Michelle Gyo
Taschenbuch: 384 Seiten
Verlag: Klett-Cotta
Erscheinungsdatum: 23. März 2019
ISBN: 978-3608963953
One Reply to “[Rezension] „Witchmark – Die Spur der Toten“ von C. L. Polk”