"Scythe – Die Hüter des Todes" von Neal Shusterman, Jugendbuch
Copyright: Sauerländer

Wenn Bücher einen Blick in die Zukunft der Menschheit wagen, fällt dieser meist dystopisch-düster aus. Als Leser darf man dann miterleben, wie die Welt mit Pauken und Trompeten den Bach runtergeht. Nicht so in „Scythe – Die Hüter des Todes“. In Neal Shustermans Vision leben die Menschen bequem vor sich hin. Sie können sich jederzeit auf ein biologisches Alter von 21 Jahren resetten lassen. Fast alle Verletzungen, selbst tödliche, lassen sich heilen. Und okay, es gibt doch einen Haken: Damit die Bevölkerungszahl nicht ins Unermessliche steigt, wurden die Scythe gegründet – menschliche „Todesengel“, die nach eigenem Ermessen über Sterbezeitpunkt und -art von ihnen willkürlich ausgewählter Menschen entscheiden dürfen. Die Geschichte setzt an der Stelle an, als Citra und Rowan, zwei Jugendliche, von dem respektablen Alt-Scythe Faraday als Auszubildende angeworben werden, um die Kunst des Tötens zu Erlernen. Die beiden werden allerdings recht bald zum Spielball einer brutalen Scythegruppe, die sich auf Massenhinrichtungen spezialisiert hat.

Ich würde „Scythe – Die Hüter des Todes“ als Mischung aus Utopie und Thriller einordnen. Mich haben die Gedankenspiele fasziniert, die hier in Gang gesetzt werden. Was, wenn niemand mehr altern und sterben müsste? Erschreckend? Oder eine coole Sache? Würden wir uns selbst verjüngen lassen? Vermutlich. Gäbe es Leute, die so gelangweilt vom ewigen Leben wären, dass sie ständig einen Adrenalinkick bräuchten? Mit Sicherheit. Würden sie testen wollen, wie sich der Tod anfühlt? Ja, denn die Auferstehung wäre inklusive. Und, wenn Menschen über Leben und Tod entscheiden dürften, würde früher oder später nicht irgendjemand diese Macht missbrauchen? Ja! Und genau solche Überlegungen stellt Shusterman an. Die Geschichte hat eine geniale Logik!

Allerdings werde ich wohl nicht der größte Fan von Neal Shustermans Schreibstil werden. Der Autor schafft es, ein absolut aufregendes Thema größtmöglich kühl und sachlich wiederzugeben. Die etwas statische, beschreibende Art machte es mir schwer, eine Verbindung zu den Hauptcharakteren aufzubauen, deren Werdegang man abwechselnd begleitet. Rowan bekam ich noch besser zu fassen als Citra. Das lag vor allem an dem Schlamassel, in den er gerät. Ab einem bestimmten Punkt stellt sich die Frage, ob Rowan „auf die dunkle Seite der Macht“ wechseln könnte, daher schaut man der Figur sehr viel interessierter über die Schulter. Leider gewährt uns der Autor zu wenig Einblick in die Köpfe von Citra und Rowan. Und sie haben zu wenige gemeinsame Szenen, um die Liebesgeschichte zwischen ihnen (oder ist es nur Freundschaft?) nachvollziehen zu können. Die distanzierte Charakterzeichnung ist für mich die eigentliche Schwäche des Buches.

Normalerweise wäre der Mangel an Emotionen und dadurch zeitweise eben auch an Spannung für mich ein Ausschluss-Kriterium. Doch die Geschichte selbst ist tatsächlich gut und noch dazu wendungsreich, auch wenn die Fäden für mich nicht perfekt zusammenliefen. Shusterman verlegt sich stark darauf, die verschiedenen Scythe und ihre jeweilige Philosophie vorzustellen und zu begleiten, was viele moralisch-ethische Fragen aufwirft, die Handlung zeitweise aber auch langsam und passiv macht. Akzente werden mit dem zweiten Handlungsstrang um den leicht größenwahnsinnigen Scythe Goddard gesetzt, der das Buch mit brutalen Blutbädern immer wieder aus seiner leichten Lethargie reißt.

Alle Kapitel werden von tagebuchartigen Einträgen älterer Scythe begleitet. Diese bilden gewissermaßen das dritte Element der Geschichte. Darin sinnen die Verfasser über Leben und Tod nach, wodurch auch die Welt von Rowan und Citra etwas deutlicher wird, wenn auch noch nicht deutlich genug, da sich Shusterman hierbei stark auf die Politik der Scythe konzentriert, aber seinen Blick nur am Rande zur übrigen Gesellschaft schweifen lässt.

Mehr Informationen hätte ich mir vor allem zu den Hintergründen der Cloud gewünscht, ein Datenpool, in dem alles Wissen gespeichert ist – die höchste Instanz, von allen respektiert. Interessant ist, dass die Technik hier einmal nicht der diabolische Faktor ist, sondern dem Menschen in Moral und Ethik weit voraus. Dieser Aspekt wäre es wert gewesen, intensiver beleuchtet zu werden. Es deutet sich aber an, dass die Cloud in den Folgebänden der Trilogie noch eine größere Rolle spielen wird.

Die Frage ist: Was will das Buch sein? Ein spannender Zukunfts-/Weltentwurf? Das gelingt teilweise gut, ist aber noch zu dürftig. Eine mitreißende Liebesgeschichte? Hier mangelt es an Gefühlen und Charakterzeichnung. So gibt „Scythe – Die Hüter des Todes“ letztlich viele interessante Gedankenanstöße, erzählt aber größtenteils einen schlichten Thriller und könnte noch soviel mehr sein. Trotzdem hat mich die Story an der richtigen Stelle gepackt und ich möchte wissen, wie es weitergeht. Der erste Band endet zwar mit einem kleinen Cliffhanger, gleichzeitig wird der Haupthandlungsstrang abgeschlossen. Ich bin also gespannt, in welche Richtung es im nächsten Teil geht.

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Scythe – Die Hüter des Todes von Neal Shusterman
Übersetzung: Pauline Kurbasik und Kristian Lutze

Hardcover: 528 Seiten
Verlag: Fischer Sauerländer
Erscheinungsdatum: 21. September 2017
ISBN: 978-3737355063
Altersempfehlung: Ab 14 Jahren

13 Replies to “[Rezension] „Scythe – Die Hüter des Todes“ von Neal Shusterman

  1. Huhu Alex,

    ich kann durchaus verstehen was du mit dem kühlen Schreibstil meinst. Ich habe es zum Glück nicht als so schlimm empfunden. Und ich finde es sehr schwierig das Buch in ein bestimmtes Genre einzugliedern, da spielen irgendwie so viele Genres mit rein.

    Liebe Grüße
    Sandra

  2. Hey Sandra,

    die Bewertung viel mir echt schwer. Denn die Geschichte gefällt mir total gut, aber die Umsetzung eben leider nicht zu 100 Prozent. Du hast recht, da stecken viele verschiedene Genres drin. Leider blieb mir die Welt insgesamt zu blass und vor allem auch die Charaktere, so dass es letztendlich für mich auf einen futuristischen Thriller (mit Längen) hinauslief ;-). Ich bin trotzdem sehr gespannt, wohin die Reise im nächsten Band geht.

    Liebe Grüße
    Alex

  3. Hi Verena,

    ja, sieht ganz so aus, was das Bücheruniversum angeht. 🙂
    Ich fand die Geschichte sehr interessant und auch gut durchdacht, aber leider nicht emotional-mitreißend, ich fühlte mich immer etwas außen vor.
    Man muss das Buch vermutlich einfach für sich ausprobieren…

    Liebe Grüße
    Alex

  4. Guten Morgen!

    Also ich les das Buch grade 😀
    Ich hab mal deine Rezi überflogen und bin dann unten hängengeblieben an dem "schlichten" Thriller O.O Das find ich echt schade, denn es geht hier ja um die Thematik. Bisher (bin jetzt bei 2/3) hat es mich nicht gelangtweilt einfach weil das ganze an sich so eine strange Situation ist und es spannend ist zu verfolgen, wie sie damit umgehen. Auch was beim ersten Konklave am Ende passiert fand ich eine sehr spannende Wendung …
    Aber vielleicht kommt es da auch auf die Erwartung an.
    Action gibts da natürlich nicht, aber das hätte ich seltsam gefunden bei dieser Berufung 😀

    Echt schade, dass es dich nicht so mitreißen konnte, ich hab gestern gar nicht aufhören können zu lesen, hab die 300 Seiten in einem Rutsch gelesen *lach* und freu mich heute auf den Rest xD

    Aber Verena hats ja anscheinend auch nicht so ganz überzeugt – aber so ist das halt, jedem wird es nicht gefallen 😉

    Liebste Grüße, Aleshanee

  5. Hi Aleshanee,

    nicht falsch verstehen, die Geschichte ist gut, keine Frage. Ich habe sie interessiert gelesen. Und doch häuften sich mit der Zeit immer mehr Fragen bei mir an, auf die ich keine Antworten erhalten habe. Wie genau muss ich mir das mit der Cloud vorstellen? Warum halten sich die Menschen an die Regeln dieser künstlichen Intelligenz, wo sie sich doch im Grunde selbst nicht weiter entwickelt haben, wie das muntere Intrigieren der Scythe auf der anderen Seite zeigt. Wie ist das organisiert? Wie muss ich mir diese Welt überhaupt vorstellen? Wie sind die Kommunikationswege? Das war mir zu oberflächlich.

    Es stecken – und das sage ich ja auch – viele gute Ideen und tolle Wendungen in dem Buch. Aber letztens Endes stand der Thrilleraspekt/teils Politthriller (die Handlung um Goddard) für mich im Vordergrund, während anderes zu kurz kam.

    Aus diesen Gründen ein knappes Viersternebuch (was ja immer noch gut ist) statt fünf Sterne.

    Ich wünsche dir weiterhin viel Spaß mit den "Scythe" und bin selbst auch gespannt, wie es weiter geht.

    Liebe Grüße Alex

  6. Da hast du natürlich recht, vieles ist noch nicht im Detail erklärt, aber das erwarte ich bei einem ersten Band einer Reihe auch noch nicht.
    Vor allem, da es (für mich) nicht so im Fokus steht. Das mit dem Thunderhead ist eine extrem geniale Idee, ob er das jetzt in den Fortsetzungen noch differenzierter erklärt: lassen wir uns überraschen 🙂
    Wobei das für mich halt nicht so das Thema ist, das hab ich jetzt erstmal so hingenommen und vielleicht möchte er auch einfach nur anregen, darüber nachzudenken – wie er ja sagt, Politiker in unserer Gesellschaft und "Macht"Struktur sind eben Menschen mit Gefühlen und Fehlern, so eine "Cloud" eben nicht und handelt deshalb auch viel klarer, lässt sich nicht bestechen usw.

    Für mich ist das Thema mit dem Tod, also das Töten "müssen" aus dem Grund heraus, der Überbevölkerung Einhalt zu gebieten viel interessanter. Genauso der Aspekt der "Langeweile", weil es nichts neues mehr gibt und man unendlich viel Zeit hat faszinierender 😉

  7. Jap! Defintiv. Auch bei mir ist das Gedankenkarussell ins Routieren gekommen… unbestritten ein interessanter Ansatz. Kennst du den Film "Flucht ins 23. Jahrhundert"? Oder das Buch "Die sanften Ungeheuer" von Ira Levin? An beides hat mich "Scythe" teilweise erinnert…. in Ansätzen, denn die Idee schon eine eigenständige.

    Ich lasse mich einfach mal überraschen, was im nächsten Teil kommt und auch gerne eines Besseren belehren, was meine Kritikpunkte anbelangt. 🙂

  8. Da hast du recht, Verena.
    Und manchmal trifft man mit seiner Kritik mehr, mal weniger die Mehrheitsmeinung, das gehört dazu. Man kann immer nur versuchen, die eigene Position zu begründen. Wobei wir uns hier in einigen Dingen ja einig sind. 🙂
    Auch dir einen schönen Sonntag
    Liebe Grüße

  9. Schön, dass dir das Buch so gut gefallen hat. Das freut mich für dich. Das Ende fand ich ebenfalls gelungen – einerseits macht es neugierig, auf der anderen Seite kann man erst einmal mit einigen Dingen abschließen.
    Lg

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