"Scythe - Der Zorn der Gerechten" von Neal Shusterman, Jugendbuch
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Diese Reihe macht mich fertig! Mit der Bewertung zu Shustermans Trilogieauftakt „Scythe – Die Hüter des Todes“ habe ich mich wahnsinnig schwer getan. Kein anderes Buch hat mich im letzten Jahr so zwiegespalten zurückgelassen. Keine Frage, die Idee ist hervorragend, innovativ und hat Anspruch. Leider waren  mir die Charaktere zu farblos und der Weltentwurf zu vage. Und, um es gleich vorweg zu nehmen: Auch nachdem ich Teil zwei nun gelesen habe, habe ich nicht das Gefühl, den Figuren bedeutend näher gekommen zu sein. Wann hat sich Citra zu der reifen, gesetzten Persönlichkeit gewandelt, die sie nun ist? Wann ist aus Rowan dieser knallharte Rächer geworden? Und worauf beruhen ihre Gefühle füreinander? Ich kann die beiden nur schwer fassen. Sie handeln wie abgeklärte Mittvierziger. Ich habe keine Ahnung, was sie wirklich antreibt und bewegt. Sie besitzen in meinen Augen einfach keine Tiefe.

Das einmal außen vorgelassen, empfand ich die Fortsetzung als ausgewogener und spannender als den Auftakt. In gewisser Weise legt Shusterman nun genau die Geschichte vor, die ich mir von Anfang gewünscht habe, indem er sich mehr dem Thunderhead und dessen Hintergründen zuwendet. Vieles wird in der Fortsetzung klarer, Zusammenhänge werden besser beleuchtet, gleichzeitig nimmt das Tempo zu. Ständig gibt es dramatische Wendungen, die Spannungskurve ist von Beginn an steil und macht am Ende nochmal eine massive Aufwärtsbewegung.

Da es keinen Rückblick gibt, sollte man die Ereignisse besser noch einmal gedanklich auffrischen. Einige Monate mögen vergangen sein, der brutale Goddard hat post mortem an Beliebtheit zugelegt und die Kluft zwischen den Scythe ist größer geworden. Rowan hat seinen eigenen Weg gefunden, den Werteverfall innerhalb der Scythe zu händeln. Schwarz gewandet wie Zorro streift er umher, um Abtrünnige zu meucheln. Auch Citra sorgt für Gesprächsstoff unter den Scythe, da sie ihrer Berufung des Nachlesens auf besonders gnädige Weise nachgeht. Damit machen sich beide keine Freunde und der Thunderhead sucht nach Schlupfwinkeln, die es ihm ermöglichen, Citra und Rowan zu schützen.

Die ganze Geschichte zog an mir vorbei wie ein gut inszenierter Blockbuster. Was die Logik angeht, muss man bei ein, zwei Wendungen alle
Augen zudrücken. Ansonsten bekommt man hier weiterhin Unterhaltung mit Anspruch. Alleine die Gedanken des Thunderhead sind absolut faszinierend. Überhaupt gefällt mir der Thunderhead, die große, weise KI, die die Lenkung der Menschheit übernommen hat, sich aus der Politik der Scythe aber rigoros heraushält, mit am besten. Seine Überlegungen finden sich nach jedem Kapitel und lösen damit die Einträge der Scythe aus Teil eins ab. Sie sind scharfsinnig, philosophisch und man kann endlos darüber nachsinnen. Wie wichtig ist die Endlichkeit des Lebens im Bezug auf ein erfülltes Leben? Freiheit oder Zufriedenheit – was ist vorzuziehen? Ist der Mensch in der Lage, seine eigene Spezies und seinen Lebensraum zu erhalten? Oder stürzt die Menschheit die Welt zwangsläufig ins Chaos? Man bekommt reichlich Stoff zum Nachdenken präsentiert. Gleichzeitig kippt Shustermans Utopie immer weiter Richtung Dystopie. Das ist super gemacht und sehr bedenklich, denn das alles ist mehr als nachvollziehbar.

Am Schreibstil hat sich indes nichts verändert. Der Ausdruck ist stilsicher und hat teilweise einen feinen Humor. Nach wie vor ist er aber auch nüchtern, fast ohne atmosphärische Szenen und mit nur wenigen Bezügen zu den Emotionen der Protagonisten. Dieses Mal noch weniger als zuvor, denn es kommen neue Personen hinzu, die der Geschichte Komplexität verleihen, statt individuelle Schwerpunkte zu setzen. Ich bin sicher, dass mir in einigen Monaten keine einzige Figur mehr in Erinnerung geblieben sein wird, schon jetzt beginnen sie zu verblassen.

Und doch: Ich verfolge das Geschehen mit großer Neugier. Ich mag die klugen Gedanken, in denen sich das Wesen Mensch spiegelt, die vielen Wendungen, die der Geschichte Bewegung geben. Sogar das absurde, actionsgeladene James-Bond-Spektakel ganz am Ende mochte ich mit allem drum und dran, samt Bösewicht, markantem Bösewichtshelfer und Helikopterszenen. Der Cliffhanger zum Schluss ist dann so richtig fies und erfüllt seinen Zweck perfekt: Ich muss wissen, wie es weitergeht. Shusterman wird mich auch ein drittes Mal zur Verzweiflung bringen. Da bin ich ganz sicher.

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Scythe – Der Zorn der Gerechten von Neal Shusterman
Original: Thunderhead – Arc of a Scythe
Übersetzung: Kristian Lutze und Pauline Kurbasik
Hardcover: 544 Seiten
Verlag: FISCHER Sauerländer
Erscheinungsdatum: 14. März 2018
ISBN: 978-3737355070
Altersempfehlung: Ab 14 Jahren

2 Replies to “[Rezension] „Scythe – Der Zorn der Gerechten“ von Neal Shusterman

  1. Hallo 🙂

    Ich bin aktuell gerade auch dabei, den zweiten Teil der Reihe zu lesen. War aber – im Gegensatz zu dir – schon von Teil 1 sehr begeistert 🙂 Schade, dass dich auch der zweite Band nicht vollends überzeugen konnte. Aber immerhin gibst du nicht auf 🙂

    Liebe Grüsse
    paperlove von between the lines.

  2. Ich bin aber nicht unbedingt nicht-begeistert… wie gesagt, es ist etwas knifflig. Und ich glaube, ich lege hier auch eine hohe Messlatte an, weil das Thema so gut ist. Jedenfalls hatte ich mit diesem Buch wirklich Spaß und fand es durchweg spannend. Mir fehlt halt so der letzte Kick, um zu sagen: perfekt!

    Liebe Grüße zurück und schön, dass du vorbeigeschaut hast 🙂
    Alex

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