Es wird schwer werden, in diesem Jahr noch einen Spannungsroman zu finden, der mich so stark packt wie „Sadie“. Ich habe dieses Buch ohne Unterbrechung gelesen – im Sitzen, im Stehen, bei jeder Gelegenheit. Es hat mich vollkommen vereinnahmt. „Sadie“ berührt, wühlt auf, klingt lange nach. Und wird dabei wahnsinnig spannend und originell erzählt.
Hartes Thema
Sadie ist das Mädchen, von dem wir sonst nur in der Zeitung lesen und entsetzt, traurig, wütend und angewidert weiterblättern. Es geht um Kindesmissbrauch. Vernachlässigung. Um Armut und Drogen. Mord. Rache.
Für die 19jährige Sadie bricht eine Welt zusammen, als ihre jüngere Schwester Mattie ermordet aufgefunden wird. Mattie, die für Sadie alles war. Die ihr einen Lebenssinn gegeben hat. Weil es sonst nichts gab, was man lieben konnte – in dem tristen Trailerpark, in dem Sadie wohnt. Mit ihrer drogensüchtigen Mutter und deren wechselnden Liebhabern. Matties Tod brennt ein Loch in Sadies Herz. Von einem Tag auf den anderen verschwindet sie aus ihrem Heimatort, um den Mörder ihrer Schwester zu suchen und mit ihm abzurechnen.
Halb True-Crime-Podcast, halb Roman
Was dieses Buch so gut macht, ist die Form, in der es geschrieben ist. Die Story ist erfunden, aber zur Hälfte als True-Crime-Podcast aufgebaut. Interviews, Telefonate, eingestreute Gedanken wechseln sich geschickt mit Sadies Erlebnissen ab. Sadie sucht einen Mörder, Journalist West McCray sucht Sadie. Er folgt Sadies Weg von Ort zu Ort, von Zeuge zu Zeuge, wie einer Spur aus Brotkrumen. Die Kapitel sind kurz gehalten, enden immer mit einem cleveren Cliffhanger, der zum nächsten Abschnitt drängt. Im Grunde liegt dem Leser ein Sozialdrama vor, das sich über den kurzweiligen Stil mühelos zum Thriller erhebt.
Sadie – wahrhaftige heldin sucht wahrheit
Courtney Summers, von der ich bisher nichts gelesen hatte, schreibt fantastisch. Bildhaft, eindringlich. Ihre Protagonistin Sadie stottert. Über den Sinn habe ich eine Weile nachdenken müssen und bin zu dem Schluss gekommen, dass es ein ausgezeichnetes Mittel ist, um Sadies Situation aufzuzeigen – eine Stimme, die gebrochen ist und um Gehör kämpft. Darin mitschwingend die Angst vor Spott und Zurückweisung, aber auch Trotz und Stärke. So einfühlsam und schneidend formuliert, dass es bis ins Mark trifft. Sadie wird mir lange in Erinnerung bleiben. Mir ist sie sehr nahe gegangen. Ihr Stottern stört den Lesefluss überhaupt nicht.
Kurz vor Schluss musste ich das Buch zur Seite legen. Ich hatte ehrlich Angst davor zu erfahren, was mit Sadie geschehen ist. Zuviel verraten möchte ich nicht, formuliere aber ganz vorsichtig: Es ist ein passendes Ende. Ja. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass sich die Autorin zu rasch aus der Affäre zieht, die Geschichte nicht nachdrücklich genug zum Abschluss bringt. Eine Geschichte, die sonst auf jeder Seite fesselt und die man sich in ihrer Vielschichtigkeit wunderbar als nächste Erfolgs-Serie auf Netflix vorstellen kann.
Fazit: Ich möchte dieses Jugendbuch ausdrücklich auch Erwachsenen empfehlen. Mit Protagonistin „Sadie“ trifft Courtney Summers den Ton der Zeit. Sie erzählt eine bedrückende Missbrauchsgeschichte, findet für das Unsagbare kraftvolle Bilder und verpackt es zugleich in einen mitreißenden Kriminalfall, der sich über die Podcast-Schiene nicht nur originell liest, sondern auch Denkanstöße zur Verantwortung der Medien und uns allen bei der Aufarbeitung der Thematik gibt. Ein toller Pageturner!
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Sadie: Stirbt sie, wird niemand die Wahrheit erfahren von Courtney Summers
Original: Sadie
Übersetzung: Friederike Levin
Taschenbuch: 359 Seiten
Verlag: Beltz & Gelberg
Erscheinungsdatum: 13. Februar 2019
ISBN: 978-3407812407
Altersempfehlung: 14 – 17 Jahre
2 Replies to “[Rezension] „Sadie: Stirbt sie, wird niemand die Wahrheit erfahren“ von Courtney Summers”