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Die (Kunst-)Figur Lemony Snicket ist skurril. So skurril wie seine Reihe Betrüblicher Ereignisse (erschienen Anfang der 2000er und mit Erfolg von Netflix verfilmt). Nichts anderes als Skurrilität habe ich von seinem neuen Werk „Gift zum Frühstück“ erwartet und wurde dahingehend nicht enttäuscht.

Das gerade einmal 160 Seiten (13 Kapitel!) umfassende Büchlein beginnt wie ein Krimi. Snicket, Autor und Protagonist zugleich, hat gerade erst gefrühstückt, da findet er ein Zettelchen: „Sie hatten Gift zum Frühstück.“

unberechenbar wie das Leben

Ein Mordversuch? Auf jeden Fall eine Ungeheuerlichkeit. Snicket macht sich sogleich auf die Suche nach dem unbekannten Urheber der Nachricht. Einen verdächtigen Mann verliert er schnell aus den Augen und steuert stattdessen alle Orte an, die in Verbindung zu seinem Frühstück stehen.

Was mir an dem Buch gefallen hat: Die Beharrlichkeit mit der Lemony Snicket (alias Daniel Handler) gewohnte Erzählmuster durchbricht. Selbstverständlich entwickelt sich kein Krimi, ja nicht einmal das Rätsel selbst wird konsequent verfolgt.

… es kam mir in den Sinn, dass sich das Problem meiner Vergiftung vielleicht am besten mit Philosophie lösen lässt. Nicht viele Leute denken daran, bei einem Notfall einen Philosophen anzurufen, und doch sind die aufregendsten und nützlichsten Dinge der Welt einfach dadurch entstanden, dass jemand über sie nachgedacht hat. (S. 21)

Und ja, dieses Buch ist durchaus philosophisch. Aber eben philosophisch in Lemony-Snicket-Manier. Wir halten hier eine teilweise tiefsinnige, oft humorvolle, immer wieder aber verschrobene und nahezu geschwätzige Gedankensammlung in den Händen. Überlegungen zum Wesen der Philosophie finden sich darin ebenso wie Informationen zu Snickets Lieblingsbüchern, Anmerkungen über das Schreiben und bizarre Anekdoten. Der rote Faden ist die Suche nach dem Verfasser der Nachricht, was der Autor gerne zu vergessen scheint, da er zwischendurch ins kalte Wasser springt, stolpert, das Bewusstsein verliert, merkwürdige Gespräche führt und über die Zubereitung von Eiern sinniert. In Wahrheit führt uns Lemony Snicket seine Art des Schreibens vor Augen- in seinem unnachahmlich höflich-spitzfindigen Ton.

Tee mit Honig, Toast mit Käse, eine Birne, Ei und Gift

Um mit solchen Kapriolen Spaß zu haben, sollte, nein muss man die Snicketschreibe mögen. Wem sie zu kauzig ist, mag ab und an einen Absatz finden, der hängen bleibt, wird ansonsten aber des Öfteren mit den Augen rollen. Gerade die (aus der Baudelaire-Reihe vertrauten) Worterklärungen dürften erwachsene LeserInnen schnell enervierend finden. Tatsächlich lassen sie die Leichtigkeit aus den Betrüblichen Ereignissen vermissen, wirken eher gewollt und angestrengt. Für mich sind sie noch immer eine liebenswerte Schrulle. Warum sollten wir nicht ab und zu innehalten und über Wörter, die wir gebrauchen, nachdenken?

Manchmal ist es einsam, wenn man alleine ist, aber manche Leute sind gut darin, einsam zu sein. Ich bin einer davon. Ich bin ein Einsamkeitsgelehrter, ein Wort, das hier bedeutet, dass mir Einsamkeit leicht fällt, also bin ich ziemlich gut in Einsamkeit, wenn ich das so sagen darf. (S. 103)

Für Snicket-Liebhaber ist „Gift zum Frühstück“ eine kleine Zugabe, ein unterhaltsames literarisches Experiment, das aufgrund seiner zerstreuten Art und des speziellen Humors wohl wenig dazu geeignet ist, neue Fans zu gewinnen. Wer sich auf diesen spleenigen Bewusstseinsstrom einlassen kann, wird feststellen, dass er innerhalb des Snicketschen Kosmos auf jeden Fall konsequent ist. In mir bringen Snickets Bücher etwas zum Klingen. Ich mag sie einfach. Oder wie Snicket selbst schreibt: manchmal wird ein bestimmtes Buch zu genau dem richtigen für die richtige Person.

 

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„Gift zum Frühstück“ von Lemony Snicket
Original: Poison For Breakfast
Übersetzung: Friedrich Pflüger
Verlag: Nagel & Kimche
Erschienen: 26. September 2023
Hardcover: 160 Seiten
ISBN: 978-3312013067

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