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Diese Serie ist schon reichlich schräg: Kriminalfälle im Stile viktorianischer Detektivgeschichten treffen auf makabere Gesellschaftskritik und einen rabenschwarzen Humor. Ich kenne nichts Vergleichbares. Teil 1 der Reihe, „Mord in der Mangle Street“, habe ich trotz kleiner Kritikpunkte geradezu verschlungen. Vor allem die Besetzung empfand ich als erfrischend anders und absolut ungewöhnlich. Auf der einen Seite Sidney Grice, ein grantiger Zyniker mit unverhohlener Abneigung gegenüber der menschlichen Natur. Auf der anderen Seite sein Mündel, die selbstbewusste March Middleton, die an das Gute im Menschen glaubt und die herabwürdigende Art ihres Vormundes mit viel Schlagfertigkeit kontert. Beide Charaktere geben dem Leser einige Rätsel auf – in Kombination mit den Ermittlungen hatte das Buch einen sehr eigenen Sog.
Auch die Fortsetzung „Der Fluch des Hauses Foskett“ lässt zwischen den Seiten wieder die Einzigartigkeit der Reihe erahnen. Grice und Middleton beschäftigen sich dieses Mal mit einem ominösen Sterbefallverein, in den mehrere angesehene Mitglieder der Londoner Gesellschaft einen Batzen Geld einzahlen. Das Vereinsvermögen soll an denjenigen ausgezahlt werden, der alle anderen überlebt. Wenig überraschend: Bald gibt es den ersten Toten zu betrauern. Grice und Middleton gehen der Sache nach und wieder steht der gute Ruf des Ermittlerteams auf dem Spiel.
Das Konzept ist klasssich und vielversprechend – kleine Gruppe Tatverdächtiger versus munteres Drauflosmorden. Die Art und Weise, wie Kasasian den Fall aufrollt, war für mich aber nicht ganz überzeugend. Gerade die verknappte, dialoglastige Art hatte viel zum Unterhaltungswert des ersten Teils beigetragen. Der Nachfolger ist um einiges umfangreicher, jedoch auch langatmiger und verwirrender. Als Leser folgt man den Detektiven erneut durch das schmuddelige, historische London bei der Befragung möglicher Tatverdächtiger. Die Zusammenhänge bekommt man jedoch nur schwer zu fassen. Hier muss ich dem Autor vor allem ankreiden, dass er dem Leser oft Informationen bzw. Schlussfolgerungen vorenthält, diese jedoch zu anderen Gelegenheiten chaotisch in die Geschichte einfließen lässt. Wer hier nicht hochkonzentriert und am Stück liest, läuft Gefahr den Anschluss zu verpassen.
Grice und Middleton sehen sich trotz vieler, besorgniserregender Ereignisse offenbar auch nicht genötigt, zügig zu ermitteln. Ihr Zeitplan beinhaltet (gefühlt), nur alle paar Tage den nächsten Schritt zu unternehmen. Das drückt auf’s Tempo und den Spannungsbogen. Dazwischen streut Kasasian (zum Ausgleich?) ungewöhnlich grausame Szenen, die mich regelrecht angewidert, aber auch verwundert haben, da sie mir nicht wirklich notwendig erschienen. Der Ekelfaktor liegt um ein Vielfaches höher als in Teil 1. Katzenfans sollten das Buch besser mit leerem Magen lesen!
Leider empfand ich auch den Wortwitz nicht durchgängig als gelungen. Der Autor übertreibt es an einigen Stellen dermaßen, dass ich seinem Humor nicht mehr folgen konnte und das Bedürfnis hatte, die Geschichte mit einem ungläubigen Kopfschütteln zu unterbrechen. Ja, das macht die Serie aus, sollte als Stilmittel aber nicht inflationär eingesetzt werden, da es der Weiterentwicklung der Figuren im Wege steht. Vielversprechende Ansätze hierzu werden immer wieder unter verbalen Grobheiten begraben. Das ist für den Leser verunsichernd, weil einem die Charaktere wiederholt entgleiten. Spätestens in Band 3 sollte der Autor sich entscheiden, ob er seinem Buchpersonal mehr Tiefe verleihen, oder aber bei der Persiflage bleiben möchte. Unter einen Hut bekommt er beides – meinem Empfinden nach – noch nicht.
Manchmal übt man Kritik dort, wo man sich über verschenktes Potenzial am meisten ärgert. Die Anlagen der Serie sind und bleiben großartig. Die Referenzen zu Sherlock Holmes machen wieder großen Spaß. Und die Charaktere – vor allem die wunderbar emanzipierte, rauchende, trinkende March Middleton samt ihres tragischen, sich langsam zusammenpuzzelnden Hintergrunds – haben einen ernormen Reiz und gewährleisten, dass ich der Serie als Fan erhalten bleibe. In diesem Sinne hoffe ich, dass der Autor im nächsten Teil wieder mehr Fingerspitzengefühl beweist, damit diese besondere Reihe nicht buchstäblich zur Posse gerät.
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Originaltitel: The Curse of the House of Foskett
Hardcover: 384 Seiten
Verlag: Atlantik
ISBN: 978-3455000641
Danke für deine differenzierte Rezension! Ich werde mir Band 1 jetzt mal anschauen und mich dann eventuell zu diesem Buch hier vorarbeiten. 🙂 Ich habe gerade die Peter-Grant-Reihe von Ben Aaronovitch ausgelesen und verlängere daher gern noch ein wenig meinen Aufenthalt im skurril kriminellen London.
Hi Jeanette,
„skurril-kriminelles London“, hihi. Ja, das trifft es definitiv! Ich hoffe, dein verlängerter Aufenthalt dort gefällt dir. In die Peter-Grant-Reihe wollte ich übrigens auch immer schon mal rein gelesen haben, irgendwie sind mir andere Bücher dazwischen gekommen. Wenn du alle Bände durchgesuchtet hast, scheint es sich aber zu lohnen. Ich habe die Serie auf jeden Fall weiter im Hinterkopf.
Liebe Grüße und danke für deinen Besuch
Alex
Hey Lex,
eine beeindruckende Rezi, dagegen fühle ich mich mit meiner richtig lahm. Besonders deine Beschreibung von March fand ich sehr treffend. Mir gefiel der erste Teil auch eine Hauch besser, da ich irgendwie nicht so ganz dahinter kam, was es nun mit den Fluch auf sich haben sollte. Ansonsten war das Ende wieder sehr überraschend und die Darstellung der Charaktere einmalig.
Ich hoffe, ich darf dich verlinken.
Viele liebe Grüße, Anja
Huhu Anja,
gerne doch! Musste direkt mal deine Rezi lesen und finde sie ganz wunderbar treffend. Jaja, der gute Sidney. Der ist mir in diesem Folgeband manchmal ganz schön auf die Nerven gegangen. Ich bin sehr gespannt, ob der Autor den Charakter noch weiterentwickelt. Die Serie ist ansonsten einmalig, kultig. Im Oktober kommt übrigens ein neues Buch, da können wir schon hibbeln. 🙂
LG
Alex