Nebelmord - Yrsa Sigurđardóttir, Krimi
Copyright: Fischer Verlage

Herzschwache Leser sollten mit der Lektüre nicht abends beginnen oder aber sich auf eine schlaflose Nacht einstellen. Sie sollten sicherstellen, dass die Türen verriegelt, die Fenster geschlossen sind. Empfehlenswert ist es, in Begleitung eines unerschrockenen Gefährten Dachboden und Keller zu inspizieren, unters Bett und hinter die Gardinen zu schauen und den Empfang des Handys zu überprüfen. Dann mag es gehen, „Nebelmord“ unbeschadet zu genießen. Vielleicht.

Die isländische Autorin Yrsa Sigurđardóttir vermittelt nämlich ein Gefühl, das seit Altmeister Hitchcock verloren zu sein schien: die Angst. Anders als Furcht, die sich auf einen konkreten Gegenstand richtet, ist Angst unbestimmt. Angst, so der berühmte Psychiater und Philosoph Karl Jaspers, ist ein ursprünglicher Seelenzustand, immer das Dasein im Ganzen betreffend, es durchdringend und beherrschend. Die Bedrohung, die vom Unsichtbaren, nicht rational Fassbaren, Erahnten, ausgeht, löst erhöhten Puls aus, Herzrasen und Schweißausbrüche. Warum der Mensch so reagiert, ist evolutionsgeschichtlich zu erklären. Angst scheint ihm intuitiv zu signalisieren, sich besser in Sicherheit zu bringen. Solange noch Zeit ist.

Das erklärt nicht den seltsamen Umstand, dass der Leser ein Buch wie „Nebelmord“ nicht einfach in die Ecke schleudert und sich stattdessen sedierender Lektüre widmet, um sich Morpheus vertrauensvoll in die Arme zu legen. Im Unterschied zur Lebensangst ist der in der Lektüre künstlich erzeugte Thrill Fiktion, und das Wissen darum wiegt den Leser in Sicherheit, sich auf das Wagnis des Lesens einlassen zu können, Seite für Seite: Auf der letzten wird er von seinem irrationalen Bibbern befreit und zudem belohnt mit einer Welt, die ein tapferer Romanheld für ihn in Ordnung gebracht hat. Auf diese Weise hat das Lesen eines Thrillers geradezu kathartische Wirkung. Meistens.

„Nebelmord“ erzählt parallel drei Geschichten, die zunächst in keinem Zusammenhang stehen. Auf Stóridrangur, einer winzigen Felseninsel vor der Südküste Islands, die wie eine Kralle aus den Wellen ragt und nur Platz für ein winziges Leuchtturmwärterhäuschen und einen Hubschrauberlandeplatz bietet, verschwindet während eines Unwetters ein Arbeiter aus seinem blutbesudelten Schlafsack. In Skerjafjörður verliert sich die Spur eines amerikanischen Ehepaares. In Reykjavík versucht eine junge Polizistin den Suizid ihres Mannes zu verarbeiten. Alle Vorkommnisse eint, dass nichts auf ein Verbrechen hindeutet und dennoch permanent ein unsichtbares Etwas an den Nerven zerrt. Zu Recht.

Ein Schatten im Nebel, eine knarrende Tür, eine Schere im Mülleimer, ein fremder Geruch im Haus, ein verlorener Schlüssel, eine tote Katze auf dem Grill – bei Lichte besehen weniger unerklärliche Phänomene als banale Zufälligkeiten, die weder die Romanfiguren noch den Leser beunruhigen müssten. Aber die Autorin versteht es, über die rätselhaften Geschehnisse ein Netz realer, seltsam verstörender Informationen zu legen. Auf diese Weise teilt sich eine unheilschwangere Atmosphäre mit, in der die Angst einerseits nicht ins Reich der Hirngespinste verwiesen, andererseits jedoch nicht plausibel erklärt werden kann. Erst in den letzten Kapiteln ordnen sich die Puzzleteile zu einem verschwommenen Bild, das bei zunehmender Schärfe aber keineswegs seinen Schrecken verliert. Im Gegenteil. Seine Schlaflosigkeit hat der Leser selbst zu verantworten. Ganz sicher.

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„Nebelmord. Island Thriller“ von Yrsa Sigurđardóttir
Taschenbuch: 400 Seiten
Erscheinungstermin: Oktober 2014
Verlag: Fischer
ISBN: 978-3-596-03065-1

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