"Mit anderen Worten: ich" von Tamara Ireland Stone, Jugendbuch
Copyright: Magellan

Ich bin fest davon überzeugt, dass eine Geschichte seine
Leser nur dann von sich überzeugen kann, wenn der Autor mit ganzen Herzen dabei
war, sie niederzuschreiben. Als mir auf der Frankfurter Buchmesse das
Frühlingsprogramm von Magellan vorgestellt wurde, stach eine Geschichte ganz
besonders heraus: „Mit anderen Worten: ich“ von Tamara Ireland Stone.  Und obwohl die Beschreibung sehr interessant
und außergewöhnlich klang, war ich skeptisch. Die Autorin ist mir durch ihr
Debüt „Zwischen uns die Zeit“ zwar im Gedächtnis geblieben, allerdings im
negativen Sinne. Der Auftakt zu einer neuen YA-Zeitreise-Reihe konnte mich
nicht überzeugen. Nichtsdestotrotz fand ich das Thema ihres neuen Buches so
beeindruckend und bedeutend, dass ich nicht umhin kam, es zu lesen. Als ich die
ersten Zeilen von ihrem neuen Werk las, war ich überzeugt davon, dass dieses
Buch ein absoluter Lesegenuss für mich wird, denn hier war deutlich zu spüren,
dass Tamara Ireland Stone sich mit einem Thema beschäftigt hat, das ihr sehr am
Herzen lag.

In „Mit anderen Worten: ich“ erzählt Samantha uns über ihren
Alltag. Zugegeben, der Alltag eines Teenagers wurde schon oft in Jugendbüchern
abgehandelt, aber Sam plagen nicht die üblichen Pubertätsprobleme, die in
vielen Jugendbüchern beschrieben werden. Sie kämpft mit ganz anderen Problemen:
Als sie ein Kind war, entwickelte sie eine Zwangsstörung, die es ihr fast
unmöglich machte, ein unbeschwertes Leben zu führen. In ihrem Kopf herrscht das
Chaos und sie steckt oft in endlosen und beängstigenden Gedankenschleifen fest.
Um nicht als verrückt abgestempelt zu werden, verheimlicht sie ihre Krankheit
vor ihren Freundinnen.
„Du rätst mir ernsthaft, nicht nachzudenken? Ich tue nichts
anderes als nachdenken. Die ganze Zeit. Ich denke so viel nach, dass ich
Medikamente nehmen und jeden Mittwoch zur Therapie muss. Ich kann nicht nicht nachdenken …“ Seite 76
Nur sehr wenige
Menschen, wie Sams Mutter und ihre Therapeutin, dürfen hinter ihre mühsam
errichtete Fassade blicken. Als sie Caroline kennenlernt, spürt sie sofort, die
sie mit ihr eine Freundin gefunden hat, der sie ihr wahres Ich offenbaren kann,
denn mit ihr fühlt sich das Leben etwas schwereloser an. Als Sam eines Tages
von Caroline zu einem geheimen Dichterklub eingeladen wird, ist sie zunächst
skeptisch, weil Worte dank der Zwangsstörung eigentlich nicht ihre Stärke sind.
Jedoch erlebt sie in diesem Klub das erste Mal, wie befreiend es sein kann,
ihre so befremdlichen Gedanken in Worte zu fassen und sie einfach
auszusprechen.
Natürlich darf in dieser Geschichte trotz des tiefsinnigeren
Themas eine kleine Liebesgeschichte nicht fehlen. Schließlich ist es auch ein
großes Thema während der Jugend. Das Interessante an dieser Liebesgeschichte ist,
dass sie mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Denn wie erklärt man einem
Menschen, den man eigentlich für sich gewinnen möchte, eine Krankheit, die man
selbst kaum in Worte fassen kann. Hinzu kommt die Angst, dass ein Geständnis missverstanden
und man selbst als verrückt abgestempelt werden könnte. Davor fürchtet Sam sich
am meisten.
Während ich dieses Buch las, konnte ich mich nur schlecht
davon lösen. Zu groß war meine Neugier auf die kommenden Ereignisse und die
Reaktionen der Protagonisten. Dennoch gab es eine sehr überraschende
Begebenheit, die mich in meinem Lesefluss unterbrochen hat. Ich musste in
dieser Szene verweilen und darüber nachsinnen, ob das Geschehen zu Sams
Erkrankung passt. Nach einer Weile konnte ich mich für diese Passage
sensibilisieren und empfand die Szene als überzeugend und stimmig.
In „Mit anderen Worten: ich“ habe ich einen vollkommen
divergenten Stil von Tamara Ireland Stone erleben dürfen. Scheinbar hat die
Autorin seit ihrem Debüt einiges dazu gelernt, denn ihr unauffälliger
Schreibstil und ihre Methode die Charaktere zu formen, sind in ihrem neuen Werk
nicht wiederzuerkennen. Oder besser: nicht mehr vorhanden. Ireland Stone hat sehr
gut recherchiert und beschreibt dem Leser die Zwangsstörung von Sam so
detailliert, dass sie absolut nachvollziehbar ist. Auf sehr bewegende Weise offenbart
die literarische Hauptfigur, dem Leser ihr Innerstes, das sie sonst sehr gut
vor anderen Menschen verbirgt. Dadurch wird man zusätzlich für ihre Erkrankung
sensibilisiert. Die Autorin überzeugt jedoch nicht nur mit tiefgründigen
Charakteren und Wissen über Zwangsstörungen, sondern auch mit einer außergewöhnlichen
und perfekt umgesetzten Idee und ausdrucksstarken Sätzen voll Poesie, die man
immer und immer wieder lesen möchte.

Mit anderen Worten: ich von Tamara Ireland Stone 
Originaltitel: Every Last Word
Übersetzer: Sandra Knuffinke, Jessica Komina
Gebundene Ausgabe: 336 Seiten 
Verlag: Magellan 
Erscheinungsdatum: 25. Januar 2016 
ISBN: 978-3734850219 
Vom Hersteller empfohlenes Alter: 14 – 17 Jahre

2 Replies to “[Rezension] „Mit anderen Worten: ich“ von Tamara Ireland Stone

  1. Es klingt für mich seltsam, dass es eine Krankheit sein soll, wenn man rund um die Uhr denkt. Aber allemal ist diese Betrachtungsweise für mich hochinteressant. Vielen Dank für den Lesetipp.

  2. Liebe Petra,

    in diesem Buch geht es viel mehr darum von seinen Gedanken beherrscht zu werden. Sehr negative Gedanken, die buchstäblich aus dem Nichts auftauchen, bestimmen Sams Leben und schränken es sehr ein, weil sie sich nicht davon lösen kann.
    Wir (gesunde) Menschen können unseren Gedanken ja auch mal einfach nachhängen und träumen und wissen meist wie wir uns von negativen Gedanken lösen können. Sam kann das nicht.

    Ich wünsche dir viel Spaß mit dem Buch!

    LG

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