
Dies ist ein bedeutsames Buch, das lange nachwirkt und das hoffentlich noch viele Menschen lesen werden. „Die Personen in diesem Buch sind erfunden – Palästina ist es nicht. Die historischen Ereignisse und die bekannten Personen, die in der Geschichte erwähnt werden, sind oder waren real.“ – zitiert aus dem Nachwort. Besser kann ich es nicht zusammenfassen.
Die zutiefst mitnehmende Erzählung von Susan Abulhawa ist erschütternd, denn die Ereignisse in diesem Buch spiegeln die Realität des palästinensischen Volkes wider, und könnten aktueller nicht sein.
Verlust der Heimat
Ob bereits mit der Thematik vertraut oder neu darin: Dieser Roman regt zum Nachdenken, Hinterfragen und Mitfühlen an. Die Leser*innen tauchen in das Leben einer palästinensischen Familie ein und erleben hautnah, was es bedeutet unter der Besatzung Israels aufzuwachsen und zu leben. Von den Anfängen des Nahostkonflikts, über die Nakba und dem Leben im Flüchtlingslager in Jenin, einer Zeit in der Fremde (in den USA), dem Massaker von Sabra und Schatila im Libanon, bis hin zur Rückkehr nach Palästina und der zweiten Intifada (arabisch ِاﻧِﺘَﻔﺎَﺿﺔ , bedeutet wörtlich „Erhebung“).
„In einer fernen Zeit, ehe die Geschichte über die Hügel gefegt kam und Gegenwart und Zukunft auslöschte, ehe ein Sturm das Land packte und ihm Namen und Charakter austrieb, ehe Amal geboren wurde, gab es östlich von Haifa ein kleines, friedliches, von der Sonne verwöhntes Dorf mit offenen Grenzen, das von Feigen- und Olivenbäumen lebte.“ – Susan Abulhawa, Während die Welt schlief, S.11
Es ist die Geschichte einer Familie, die in Zeiten von Krieg lebt, Freundschaften schließt, Liebe, Schmerz und Wut erfährt – und den Verlust der Heimat tief in sich trägt, begleitet von der immer leiser werdenden Hoffnung, eines Tages zurückkehren zu können. Susan Abulhawa schafft es, inmitten all des Schmerzes und der Zerstörung Szenen voller Wärme, Schönheit und Würde zu beschreiben.
Verzweiflung und Hoffnung
Das Buch weckt trotz der grausamen Umstände positive Gefühle in mir, wenn von der Natur des Landes, der reichen Kultur und der friedvollen Lebensweise der palästinensischen Bevölkerung geredet wird. Es ist nicht nur eine Geschichte über Verlust, sondern auch über Verbundenheit, Hoffnung und die tiefe Menschlichkeit, die selbst unter widrigsten Bedingungen bestehen bleibt.
„Sie teilten seine Mitbringsel und ließen sie sich buchstäblich auf der Zunge zergehen, ließen die Oliven im Mund tanzen, ehe sie das Sakrament nahmen. Diese Früchte, die vierzig Generationen währende harte Arbeit hervorgebracht hatte, mundeten ihnen, als wären sie das Elixier Palästinas, in Jahrhunderten gereifter Nektar.“ – Susan Abulhawa, Während die Welt schlief, S.66-67
Zugleich versteht man immer mehr, warum die Themen Heimat, Sicherheit, Identität, Selbstbestimmung und generationsübergreifendes Trauma für den israelisch-palästinensischen Konflikt wichtig sind. Dieses Buch leistet meiner Meinung nach einen wichtigen Beitrag zur Auseinandersetzung mit einer Realität, die im öffentlichen Diskurs allzu oft einseitig erzählt wird – und verleiht jenen eine Stimme, die sonst zu selten gehört werden. Von mir erhält „Während die Welt schlief“ 5 von 5 Sternen. Ich lege diese besondere Lektüre allen ans Herz.
„(…) Wie kann man diese Last nur tragen? Wie kann man in einer Welt leben, die sich schon so lange von derartiger Ungerechtigkeit abwendet? Ist das gemeint, wenn man davon spricht, ein Palästinenser zu sein (…)?“ – Susan Abulhawa, Während die Welt schlief, S.415
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„Während die Welt schlief“ von Susan Abulhawa
Original: Mornings in Jenin
Übersetzung: Stefanie Fahrner
Verlag: Heyne
Erschienen: 12. Juli 2023
Taschenbuch: 448 Seiten
ISBN: 978-3453427808