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Die Kunst der Überwindung
„Die Fähigkeit einen Baseball zu werfen hatte etwas Alchemisches, war wie die geheime Kraft eines Superhelden. Man konnte nie wissen, wer sie besaß.“ Seite 554
Mike Schwartz ist was seine eigene Spielkunst angeht eher der Typ des Kriegers, als ein Alchemist. Wahres Talent, spielerische Anmut und Brillanz erkennt er jedoch auch dort, wo andere sich von Äußerlichkeiten ablenken und gar täuschen lassen.
Henry Skrimshander ist nicht das, was man sich landläufig unter einem Baseballstar vorstellt. Es sieht jünger aus, als er ist und er ist eindeutig zu schmächtig. Aber dieses gewisse Etwas, das Geheimnis des Alchemisten das besitzt er ohne Zweifel. Einmal von Schwartz erkannt, gibt es kein Entkommen für Skrimmer aus der Schwartz`schen Talentschmiede.
Die Kunst des Feldspiels ist Henrys Bibel, Aparicio Rodriguez sein größter Held. Die Ratschläge oder vielmehr Anweisungen des größten Shortstop aller Zeiten, versucht er in seinem eigenen Spiel umzusetzen. Seit er denken kann. Nichts wünscht er sich sehnlicher, als auch nach Abschluss der Highschool eines tun zu können: Baseball spielen. Collegemannschaften jedoch setzen auf körperlich eindrucksvollere Spieler.
„College – Coaches waren wie Mädchen: Ihre Augen richteten sich sofort auf die großen, muskulösen Typen, ganz egal, was sie tatsächlich taugten.“ Seite 17
Aber Mike Schwartz ist eben kein College-Coach …
Anfangs als Sportroman getarnt, entpuppt sich Die Kunst des Feldspiels – was für ein Titel! – als eine Geschichte über Zusammenhalt, Schwäche, Stärke und das, was man im wahren Leben manchmal auch braucht: Duchhaltevermögen, Standhaftigkeit und – Freunde.
Persönliche Niederlagen einstecken zu können ist schwer, viel schwerer aber ist es, das auch noch öffentlich tun zu müssen. Druck von außen erhöht zwangsläufig den Druck von innen. Zuweilen sogar bis zur vollkommenen Lähmung. Dabei geht es im Baseball, wie bei allem, was mit Leidenschaft und in Perfektion ausgeübt wird, darum, in den Fluß zu kommen.
„Der wahrhaftige Spieler lässt den Weg des Balls zu seinem eigenen werden, denkt sich in ihn hinein und lässt das eigene Ich, die Ursache allen Übels, auch einer schlechten Verteidigung, hinter sich.“ Seite 25
Überwindung, Wahrhaftigkeit, Demut, Opferbereitschaft oder der Dienst am Größeren – nicht nur für einen angehenden Baseballstar sind das hehre, ja fast buddhistische Ziele. Denn natürlich geht es in der Kunst des Feldspiels nicht nur um den bulligen, hart trainierenden Mike Schwartz, der schon lange komplett auf sich alleine gestellt leben muss oder den eher unscheinbaren aber hoch talentierten Henry Skrimshander, den neuen Shortstop der Collegemannschaft von Westish.
Doch obwohl die Figur Henrys psychologisch relativ unausgeleuchtet bleibt, ist er der Dreh- und Angelpunkt, sein Schicksal untrennbar mit dem der anderen Haupt-Neben-Figuren – so eindeutig ist die Zuweisung an dieser Stelle nicht – verbunden. Das Netz der Beziehungen beginnt sich mit einem unglücklichen Wurf zu entwickeln. Ein Wurf, der die einzelnen Personen miteinander in Beziehungen zu setzen beginnt und gleichzeitig Henry aus der Bahn wirft. So sehr aus der Bahn wirft, dass die enger geknüpften Fäden zu einem schwer zu lösenden Knoten werden.
„Baseball war eine Kunst, doch um es darin zur Meisterschaft zu bringen, musst man sich in eine Maschine verwandeln. Es spielte keine Rolle, wie schön man ‚ab und zu‘ spielte, was man an seinem besten Tag leistete oder wie viele spektakuläre Punkte man machte. Man war kein Maler oder Schriftsteller – arbeitete nicht im Verborgenen und konnte seine misslungenen Stücke verwerfen, und es waren längst nicht nur die Meisterwerke, die zählten. Für eine Maschine zählte Wiederholbarkeit. Momente der Inspiration waren nichts, verglichen mit der vollständigen Eliminierung von Fehlern. Seite 304
Beziehungen werden neu gemischt. Der Präsident des College, Guert Affenlight, dessen Tochter Pella, Henrys schwuler Mulattenmitbewohner und Teamkollege Owen, der omnipräsente Mike Schwartz – alle sind sie bemüht darum, etwas für Henry zu tun, was sie nicht zu leisten vermögen, denn jeder hat seine eigenen Aufgaben zu lösen.
Wir Menschen sind eigenartige Wesen. Erkennen wir doch unsere Stärken und Schwächen meist nicht an uns selbst, sondern in unserem Gegenüber, welches uns widerspiegelt, ohne sich dessen bewusst zu sein. Überwindung muss oft hart erkämpft werden und es bedarf der Loslösung von Autoritäten, um den eigenen Weg zu gehen.
Triffst Du Buddha, töte ihn (oder gib ihm einen aus) – das ist für mich die Botschaft, die Chad Harbach in diese wunderbar unterhaltsam und sprachlich fein augearbeitete Geschichte gepackt hat.
Wer Sätze wie diese
„3. Es gibt drei Stadien. Gedankenloses Sein. Denken. Gedankenloses Sein.
33. Verwechsle nicht das erste und das dritte Stadium. Das gedankenlose Sein kann jeder erreichen, die Rüdkkehr zum gedankenlosen Sein nur sehr wenige.“ Seite 25
formuliert, kann nur eine solche Botschaft im Sinn haben.
Dennoch könnte man Harbach bei seinem Erstling ein paar Schwächen ankreiden: Einige wenige der geschickt verwobenen Fäden des Netzes finden keinen Anschluss. Sie flattern ein wenig verloren im Wind. Allerdings ohne den Fortlauf der Geschichte zu behindern. Und wenn man ehrlich ist, dann passiert so etwas im wahren Leben ja durchaus aus manchmal: Fäden werden aufgenommen, ohne einen Abschluss zu finden. Das Leben setzt sich ohne große Unterbrechung fort – genauso wie dieser Roman.
Um diesen Roman zu mögen, muss man weder ein Spezialist für das durchaus komplizierte Feldspiel sein, noch sich tatsächlich für diese Sportart begeistern. Die detaillierten Beschreibungen der wichtigen Spielsentenzen halten sich absolut im Rahmen und haben in meinem Fall tatsächlich zum Verständnis beigetragen und Neugierde auf diese Art des Mannschaftssports geweckt. Und noch etwas habe ich gelernt: Baseball ist nichts für Dummköpfe, hier geht es um blitzschnelle Reaktionen und eiskalte Strategien ebenso, wie es manchmal einfach darauf ankommen zu lassen.
In diesem Sinne: Lasst es darauf ankommen und spielt eine Runde mit.
Die Kunst des Feldspiels von Chad Harbach
Taschenbuch: 608 Seiten
Verlag: DuMont Buchverlag
Erscheinungsdatum: 22. August 2013
ISBN: 978-3-8321-6252-8