Wer
kennt sie nicht – die ewige Nahrungsmitteldiskussion? Ist Milch nun gesund oder
schädlich? Produzieren Vegetarier durch ihren ausgleichenden
Milchprodukt-Konsum nicht eigentlich mehr Schaden als Fleischesser? Bio-Lebensmittel
sind doch lediglich teurer anstatt gesünder? Ist es überhaupt möglich als
Mensch keinen Schaden anzurichten und unter Berücksichtigung aller ethischen
und moralischen Aspekte zu (über-)leben? In einem Selbstversuch geht die
Autorin Karen Duve diesen Fragen sukzessive nach: Zwei Monate lang steigt sie
auf eine reine Bio-Produkt-Ernährung um, lebt anschließend zwei Monate
vegetarisch, weiterhin 4 Monate vegan und abschließend weitere zwei Monate
fru(k)tarisch, um gegen Ende des Jahres eine Bilanz zu ziehen.


Bewertung: In einer
Art Tagebuchform lässt Karen Duve den Leser an ihrer Ernährungsentwicklung
teilhaben, wobei Eindrücke, Informationen und persönliche  Erlebnisse gut und abwechslungsreich dosiert
werden. Ein humoristischer, offener und intelligenter Sprachstil (ja, ich halte
ihre vermeintlich naiven Aussagen für eine intelligente Art der Ironie), sowie
exzellente Recherchearbeit runden den Bericht ab.

Vor Beginn des Experiments bezeichnet die Erzählerin sich als
„Allesfresserin“, d.h. alle vier Ernährungsweisen sind absolutes Neuland für
sie. Um die Lebensweise möglichst strikt einzuhalten verzichtet sie während
ihrer veganen Phase auf jedwede Tierprodukte – quartiert unter Anderem sogar
Daunenbetten, Lederwaren und Wollprodukte aus. Vorübergehend, wohlgemerkt. Je höher
die sittenstrengen Ansprüche steigen, desto schwieriger wird es für sie diesen
gerecht zu werden – Kosten, Zeitaufwand und Vorurteile nehmen mit jeder Phase
zu.
Welche Auswirkungen menschliches Handeln hat und wie schwierig es sein
kann, seinen eigenen Ansprüchen zu genügen, wird bei diesem Versuch mehr als
deutlich. Kritische Stimmen bemängeln hingegen die laxe Umstellung und fehlende
Konsequenz von Duves Studie. Da aber gerade Schwierigkeiten und Fehltritte
beleuchtet, statt unter den Tisch gekehrt werden und eine realistische
Umsetzung der Vorsätze (ggf. zulasten der Durchführbarkeit) von vornherein Ziel
des Versuches ist, erweisen sich diese Kritikpunkte als unhaltbar. Nur weil
sich die Dame vegan ernährt, muss man ihre Autonutzung meiner Meinung nach
nicht als inkonsequent abstempeln. Und der Versuch zur halb- veganen Ernährung
ihrer Katzen ist doch weit von Tierquälerei entfernt, sondern entspricht nun
einmal den Verhaltensweisen strenger Veganer. Mit ihrem extremen Verhalten
versucht die Erzählerin möglichst authentisch zu leben, was ich durchaus
nachvollziehbar finde. Zwar stiftet sie auf familiären Grillfesten mit ihren
neu gewonnenen Ansichten regelmäßig Unfrieden. Das werte ich allerdings mehr
als amüsante Provokation, denn als ernst gemeinte Besserwisserei. Da sie
lediglich ihren eigenen ethischen Vorstellungen gerecht werden möchte und auch
alle Schwierigkeiten und Misserfolge sympathisch ehrlich (und oft unterhaltsam)
schildert, sucht man den moralischen Zeigefinger vergeblich. Die
Vorzeige-Lebensweise wird stets mit einem Augenzwinkern praktiziert. Am Ende
wird das Wunschbild einer tugendreichen Ernährungsweise auch stark zugunsten
der Durchführbarkeit korrigiert.
Ein weiterer oft gelesener Kritikpunkt lautet „Schleichwerbung“. Auch
hier muss ich widersprechen. Gerade die Nennung einiger Lebensmittelmarken
macht den Bericht realistisch und gibt wichtige Informationen preis. Zu keiner
Zeit wird der Eindruck von unsachlicher Werbung verbreitet, sondern lediglich
eine eigene Präferenz dargelegt. Und „Hela“ macht nun einmal das beste
Curry-Ketchup, das fällt fast schon unter Allgemeinwissen.
Lediglich die nahezu fehlende Auseinandersetzung mit der
Nahrungszubereitung tritt negativ hervor. Sowohl für Einsteiger als auch für
Fortgeschrittene wären Erörterungen und Inspirationen zu Vielfalt und
Verarbeitung geeigneter Lebensmittel hilfreich und anregend gewesen. Denn auch
vegane oder frutarische Ernährung muss nicht nur aus Fertignahrung oder Erbsen
mit Kokosnussmilch bestehen. Eine abwechslungsreiche Ernährung ist
lebenswichtig und führt wahrscheinlich zwangsläufig zu einer Einschränkung in
Sachen Tierschutz, so abstoßend das auch sein mag. Insgesamt wirkt der letzte
Teil der Studie, das Frutariertum, am Schwächsten und hätte gut und gerne
gekürzt oder auch weggelassen werden können.
Die Schlüsse, die Duve am Ende zieht, beinhalten einen realistischen
Vorsatz, vor Allem aber eine ehrliche Bilanz. 

Fazit: Für
Menschen, die sich noch nicht mit den Folgen ihres Konsums auseinandergesetzt
und bis jetzt keine Einschränkungen ihrer Ernährungsgewohnheiten praktiziert
haben, ist dieser „Selbstversuch“ ein toller Einstieg, um dieses Versäumnis
nachzuholen. Eine Wertung bleibt am Ende dem Leser selbst überlassen. Der
Bericht wendet sich an interessierte Menschen, nicht an solche, die meinen,
einen vegetarischen/veganen/frutarischen Lebensstil bereits perfektioniert zu
haben. Die Erzählerin ist nicht fehlerlos, nicht allwissend, nicht unkritisch.
Wer damit nicht umgehen kann, der sollte von diesem Buch die Finger lassen.

Anständig essen von Karen Duve  
Taschenbuch: 336 Seiten 
Verlag: Goldmann Verlag 
Erscheinungsdatum: 18. Juni 2012 
ISBN: 978-3442476473

4 Replies to “[Rezension] „Anständig essen“ von Karen Duve

  1. Das Buch hatte ich auch mal. Ich habe aber nach ca. 100 Seiten aufgegeben. Für ein Sachbuch war es mir definitiv zu oberflächlich und uninformativ und, um es bei geringer Information als "Unterhaltung" zu lesen, war es mir zu langweilig (Ironie habe ich selten gesehen) und ein wenig zu … bedrängend. Die Autorin hat es nicht geschafft, ihre Begeisterung auf mich zu übertragen, wirkte aber so übereifrig, dass ich ein bisschen irritiert war. Für mich taugte das Buch also nicht wirklich, um mich beim Lesen auch selbst mit dem Thema auseinanderzusetzen.

    Vielleicht kennst du ja ein objektiveres Sachbuch zu dem Thema? Ich lese nämlich gerade bei solchen Sachen lieber sachlichere Texte, informativ mit fundierter Recherche, da ich mir selbst ein Bild machen möchte und nicht mit Polemik überrannt werden möchte. ("Tiere essen" kenne ich übrigens auch schon und findet es als Sachbuch ebenfalls vollkommen ungeeignet).

    Dennoch eine interessante Rezension, auch wenn ich das Buch eben anders gesehen habe.

    Liebe Grüße

  2. @Sarah O.: Ja, da sprichst du etwas sehr Verbreitetes an: Die Polemik ist tatsächlich oft ein Problem bei speziell Sachbüchern dieses Genres. Das Thema "Ernährung" scheint generell explosives Terrain zu sein und die Autoren vertreten oft eine sehr überzeugte Meinung. Ich bin sehr unvoreingenommen an Karen Duves Experiment rangegangen und konnte mich für ihre etwas "rüde" Art erwärmen. Aber auch mir ist die Überzeugungsarbeit der Ernährungsberater manchmal zu viel.
    Die Bücher von Thilo Bode (Die Essensfälscher, Abgespeist) sind empfehlenswert, beschäftigen sich aber vor allem mit Etikettenschwindel und Lügen der Lebensmittelindustrie. Auch hier wird man aber ziemlich begraben unter Informationen und Anklage. Wenn man sich allerdings noch nicht damit beschäftigt hat, geben die Bücher einen guten Einblick. Aber auch auf den Webseiten von "foodwatch" findet man die wichtigsten Infos.
    Anke Gröners "Nudeldicke Deern" beschäftigt sich ironisch-witzig mit dem für sie überholten Schönheitsideal und Schlankheitswahn und liefert vor allem im ersten Teil viele gute Informationen rund um gesunde Ernährung und Kochen. Allerdings ufert der zweite Teil des Buches in Statistiken und Rechtfertigungsversuche aus, die, gerade für Leute ohne "Gewichtsprobleme" eher ermüdend wirken.
    Ich weiß also nicht, ob es ein "objektives" Sachbuch, wie du es dir wünschst überhaupt geben kann. Wahrscheinlich ist man als Autor, wenn man sich für dieses Thema derart begeistern kann, immer subjektiv und kann grundsätzlich nicht allen gerecht werden.

    Liebe Grüße,
    Krink

    1. Also "objektiv" muss es auch nicht sein, der Schwerpunkt liegt bei mir da eher auf dem Komparativ. Also objektiver bzw. so objektiv wie möglich. Da sehe ich bei "Anständig essen" schon noch Luft nach oben, auch wenn ich dir zustimme, dass ein vollkommen objektives Buch wohl schwer zu finden sein wird.

      Foodwatch und "Die Essensfälscher" kenne ich natürlich, aber die gehen ja eher in die Richtung Verbraucherbetrug – was ich gut finde. Da bin ich allerdings schon ganz gut informiert und habe für mich persönlich die Grenzen auch schon ausgelotet. Auch Bio/nicht Bio interessiert mich abgesehen von tierischen Produkten wenig (durch mein Studium habe ich da auch ein paar Studien selbst gelesen und nicht das, was die Medien sich für gute Schlagzeilen rausfiltern).

      Ich suche eher mal was wirklich gutes über Vegetarismus, weil ich das als Thema interessant finde. Leider habe ich noch niemanden gefunden, der das ohne den Zeigefinger rüberbringen kann (oder will?)

  3. Hallo,

    ich persönlich bin da immer etwas uneins. Was solche Bücher bewirken sollen oder gar bringen. Denn jeder der sich einmal anderster ernährt als gewöhnlich macht diese Erfahrungen.

    Und ob "Hela" nun unbedingt den besten Curry-Ketchup halte ich jetzt nicht für Allgemeinbildung. Denn es gibt auch noch die Möglichkeit des selber herstellens….

    LG..Karin…

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