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Es war Weihnachten 2013, als ein ganz besonderes Buch für
mich unter dem Tannenbaum lag – „Die Insel der besonderen Kinder“ von Ransom
Riggs. Was für ein außergewöhnlicher Mix aus Fantasy, Horror, Abenteuer, Humor
und Coming-of-Age. Und was für eine abgefahrene Idee, eine Geschichte auf der
Basis alter Schwarz-Weiß-Fotografien zu erzählen. Ich war restlos begeistert
von der außergewöhnlichen Form und dem außergewöhnlichen Inhalt.
In kürzester Zeit hatte ich die Geschichte um einen Haufen Teenager
mit erstaunlichen Talenten, deren Schutz-Ymbrynen, Zeitschleifen, fiese Wights
und widerwärtige Hollow-Monster verschlungen. Lange musste ich anschließend
warten, bis ich erfuhr, wie es mit Miss Peregrine und ihren Schützlingen in
„Die Stadt der besonderen Kinder“ weiterging und erst jetzt, drei Jahre später durfte ich endlich lesen, welches
Schicksal meine kleine Gruppe Besonderer erwartet. So
viel sei verraten: Es endet nicht auf die leise Art! Ransom Riggs hat mich in dem dritten Teil seiner Trilogie abgeholt und
mitgenommen. Und auch wenn er mich nicht auf jeder Seite in Begeisterungsstürme
versetzen konnte, kleinere Schwächen der Reihe noch einmal deutlich wurden, so
präsentiert der Autor im Finale doch ein solches Feuerwerk an Originalität,
dass ich mehrfach nahe am ehrfürchtigen Kniefall vor solch einem Maß an Kreativität
war.
Es beginnt dort, wo Teil 2 endete, in einer Londoner U-Bahn-Station der Gegenwart. Entführt von Wights, eingeschlossen
in einer Telefonzelle, bedroht von einem Hollow, sind Jacob, Emma und der Hund Addison
in einer ausweglos scheinenden Sackgasse gelandet. Bösewicht Caul hat sein Ziel
erreicht. Sämtliche Ymbrynen sowie die kräftig Widerstand leistenden Insel-Besonderen
konnte er in seine Festung verschleppen und sich in einer Zeitschleife namens
Devil’s Acre verschanzen. Hierhin also führt der letzte Gang unserer
rebellischen Kinder – an einen Ort karger Trostlosigkeit, Hoffnungs- und Morallosigkeit.
Wie passend für die Wights! Das Gegenteil der Inseloase.
Ein Freund von Rückschauen und zusammenfassenden Hinweisen scheint
Ransom Riggs allerdings nicht zu sein. Ohne Erklärungen zum bisherigen Geschehen
steigt der Autor (wie bereits in Band 2) in die Handlung ein und um ehrlich zu
sein, musste ich den Vorgängerband zur Hilfe nehmen, um mir die letzten
rasanten Ereignisse in Erinnerung rufen zu können. Trotzdem fielen mir Bezüge
nicht immer leicht. Zwar kann man der Geschichte wunderbar folgen, wird dabei
aber oft das Gefühl nicht los, dass Details des Plots links und rechts am
Wegesrand der Gehirnwindungen verloren gehen.
Einen äußerst positiven Einschnitt macht Ransom Riggs
hingegen mit der anfänglichen Reduktion der Charaktere auf Jacob, Emma und
Addison. Obgleich alle Besonderen (ja, selbst Enoch!) einen festen Platz in
meinem Herzen haben, verlor sich der zweite Teil für meinen Geschmack zu sehr in
Ereignisfülle und Charakterschau. Mit der Fokussierung des Augenmerks gibt uns Ransom
Riggs nun die nötige Gelegenheit, die Gefühle und Entwicklung von Ich-Erzähler
Jacob nachvollziehen zu können, was mehr als angebracht ist, da sich unser Held
kurz vor dem großen Showdown wichtigen Fragen stellen muss. Besitzt Jacob die
Kraft, diesen letzten Kampf zu bestehen? Kann er die ihm gegebenen Fähigkeiten
nutzen und verstärken? Wird es für ihn eine Zukunft an der Seite von Emma geben?
Oder wird er schließlich in sein altes Leben, in den Schoß seiner Familie zurückkehren?
Mit dieser Rückbesinnung auf innere Auseinandersetzungen folgt „Die Bibliothek der besonderen Kinder“ wieder der Struktur des ersten Bandes, was in meinen
Augen die Stärke des Buches entscheidend mit ausmacht.
Wobei die Konstruktion der Charaktere so eine Sache für sich
ist. Knappe zusammenfassende Gefühlslagen wechseln bei Ransom Riggs mit
tiefgründig-philosophischen Betrachtungen, lassen die Figuren mal eindimensional,
dann überraschend vielschichtig wirken. Auch die Ambivalenz einiger Protagonisten
ist irritierend kontrastreich umgesetzt. Da wird auf Knopfdruck von gut auf
böse und zurück zu gut gewechselt. Der Vorwurf fehlender Feinzeichnung fällt
trotzdem schwer, da Ransom Riggs etwa den Persönlichkeiten und dem
Erfahrungsschatz seiner Besonderen durchgehend Rechnung trägt. Nie verliert er
aus den Augen, dass viele seiner „Kinder“ zugleich alt und jung sind, was sich in
deren Handeln teils ergreifend spiegelt.
Wo der Plot einerseits zu dürftig erscheint, glänzt er auf
der anderen Seite mit bestaunenswerter Fülle – nämlich dort, wo es um des
Autors Einfallsreichtum geht. Durch gelben Nebel lenkt Ransom Riggs Jacob, Emma
und Addison auf einem von einer undurchsichtigen Kapuzengestalt namens Sharon (I
love him!) gesteuerten Boot ins Niemandsland eines vergangenen Jahrhunderts.
Hier treffen wir auf eine eindrucksvolle Kulisse aus Armut und Lasterhaftigkeit,
eine klamme Atmosphäre des Misstrauens sowie die sonderbarsten Gestalten.
Schließlich erfahren wir von der Bibliothek der Seelen. Ziel des machthungrigen
Caul.
Man wird das Gefühl nicht los, dass Riggs erstaunlich viel Spaß beim
Schreiben hatte. Mit Devil’s Acre erschafft er einen unheimlich-atmosphärischen
Ort, der diesem Finale würdig ist und neue Charaktere, die jede nur erdenkliche
Gefühlsregung in mir wachriefen – Abgestoßenheit, Faszination, Erstaunen, Entsetzen
und Rührung (alles vereint übrigens in Mother Dust!). Und sogar der Humor kommt
nicht zu kurz.
„Ich glaube, Mord wird mit Vorbehalt toleriert“
„Ist hier überhaupt irgendetwas illegal?“, fragt Addison.
„Die Säumnisgebühren in der Bücherei sind ziemlich hoch. Zehn Peitschenhiebe pro Tag und das ist nur für die Paperback-Ausgaben.“ (S. 116)
Fast schon bedauerlich ist, dass vielen Ideen nicht mehr
Raum und Zeit zugestanden wird. Denn fast jeder Charakter scheint ein eigenes
Buch verdient zu haben. Aber
Riggs will seine Geschichte zu Ende erzählen. Und er hat viel aufzuholen,
schien die Entwicklung im zweiten Teil trotz massiver Ereignisfülle von den
Hintergründen abzukommen. Auf den letzten Metern drängt sich das Gefühl auf,
dass ihm nun die entscheidenden Puzzleteile einfallen, die er im zweiten Band
nicht finden konnte und dort stattdessen mit unterhaltsamen aber teilweise
etwas unnötig anmutenden Szenen aufwartete.
Enttäuscht hat mich im Endspurt allein die zu einfache
Abhandlung von Konfrontationen – Hollows und Wights gegen Ymbrynen und
Besondere. Mal haben die einen die Oberhand, mal die anderen, schließlich
werden die Charaktere viel zu schnell auf eine überschaubare Zahl reduziert und
die finale Begegnung mit dem Oberbösewicht ist zwar mitreißend, aber
ausgesprochen trivial und hollywoodtauglich angelegt.
„Die Bibliothek der besonderen Kinder“ war für mich trotzdem
der befriedigende Abschluss einer drei Jahre
währenden Reise, die ich in allerbester Erinnerung behalte! Die Trilogie um die
besonderen Kinder überzeugt in außergewöhnlichem Maße durch Spannung und
Gefühl, bereitet immenses Unbehagen und rührt Herz und Seele. Ja, eine besondere
Reihe!
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Die Bibliothek der besonderen Kinder“ von Ransom Riggs
Originaltitel: Libary of Souls
Übersetzer: Silvia Kinkel
Taschenbuch: 544 Seiten
Verlag: Knaur TB
Erscheinungstermin: 2. November 2016
ISBN: 978-3426520277
Wunderbar! Mein Bruder hatte mir den dritten Band in die Hand gedrückt mit den Worten: "Der hier ist wieder besser." Das bestätigst du jetzt zum Glück! 🙂
Guter Bruder! 🙂
Der Zauber von Band 1 ist unerreicht. Aber die Details im Abschlussband sind großartig.
Viel Spaß beim Lesen, liebe Krink und noch schöne letzte Weihnachtsstunden