[Rezension] „Sitzen vier Polen im Auto“ von Alexandra Tobor

1986 wohnt die sechsjährige Aleksandra genannt Ola, im
kommunistischen Polen. Zusammen mit ihrer Familie lebt sie ein eher
bescheidenes Leben mit vielen Entbehrungen. Eines Tages findet sie in dem
Keller ihrer Oma einen Quellekatalog. Dieses „goldene Buch“ wird zu einem
Heiligtum und lässt das für sie grau verrußte und triste Polen einfach nur noch
unerträglich erscheinen. Sie beschließt auszuwandern in diese „Anderswelt“, wo
alles blitzt und blinkt. Mit einem kleinen Säckchen voll Kartoffeln, Ausschnitte
aus dem Quellekatalog, die sie als Papiere für die Grenze braucht und einer
leeren Dose Coca Cola (in der BRD hat jeder seine eigene Dose), die sie gegen
ein uraltes Briefmarkenalbum ihres verstorbenen Großvaters eintauschte, macht
Ola sich auf den Weg Richtung Grenze. Doch sehr weit kommt sie nicht. All ihre
Hoffnungen, auf ein Leben in der Welt des Quellekataloges beraubt, kehrt sie zu
ihrer Familie zurück. Doch eines Tages gibt es für sie erfreuliche Nachrichten.
Ihr Onkel ist in die BRD „rausgefahren“ und Olas Familie wird ihn besuchen.
Kaum in der verlockenden westlichen Welt angekommen, beschließen sie, für immer
dort zu bleiben, denn hier liegt ihnen ein augenscheinlich besseres und
leichtes Leben zu Füßen.

Ola erscheint das Leben in der BRD anfangs wie ein Paradies. Es ist bunter als
in Polen, es gibt schönere Autos und Spielzeug in Hülle und Fülle. Selbst aus
den Schornsteinen steigt, anstatt der dunkelgrauen stinkenden Wolken wie in
Polen, leichter rosafarbener Rauch auf wie Zuckerwatte. Jedoch muss sich auch
Ola irgendwann eingestehen, dass hier vieles mehr Schein als Sein ist und man
trotz des bunten Angebotes sich vieles erarbeiten muss.


Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht Ola, ein sehr lebhaftes und
fantasievolles Mädchen, das gerne seinen Tod vortäuscht, um unangenehmen Dingen
aus dem Weg zu gehen. Der Leser begleitet Ola durch verschiedene Etappen ihres
jungen Lebens. Zum Anfang erfährt er ein bisschen über ihre Kindheit in Polen.
Baut Luftschlösser mit ihr und sehnt sich nach der Anderswelt aus dem
Quellekatalog. Ola berichtet dann etwas später mit kindlicher Naivität über das
Auswandern in die BRD, und konfrontiert den Leser mit Sprachbarrieren und
Vorurteilen, aber auch mit vielen lustigen Missverständnissen zwischen zwei
Kulturen.


Alexandra Tobor beschreibt sehr anschaulich und humorvoll die teutonischen
Abenteuer einer polnischen Auswandererfamilie, berichtet von sozialen
Missständen, Vorurteilen und Unterschieden zwischen polnischer und deutscher
Kultur. Auch von ungenutzten Möglichkeiten und verletztem Stolz. Durch Olas
kindliche Sichtweise wird das ganze gefiltert und wirkt dadurch nicht all zu
mahnend. Auch Oma Greta, mein Lieblingscharakter neben Ola, sorgt mit ihrem
Wesen für eine ordentliche Portion Sarkasmus und macht diesen Roman zu einem
kurzweiligen Lesegenuss.
„Sitzen vier Polen im Auto“ hat mich oft an die
Leichtigkeit meiner Kindheit erinnert. Daran dass für mich, nach der
Grenzöffnung, ein kleiner Kiosk mit Süßigkeiten und Nippes das Himmelreich auf
Erden war.

Sitzen vier Polen im Auto von Alexandra Tobor
Taschenbuch: 272 Seiten 
Verlag: Ullstein Taschenbuch
Erscheinungsdatum: 8. Juni 2012 
ISBN: 978-3548283746

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