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Es ist schon erstaunlich, wie schnell wir Menschen vergessen. Vor vielen Jahren saß ich während eines Pioniernachmittags im Klassenraum, der mit Bildern von Erich Honecker geschmückt war und eine Lehrerin erzählte uns, wie bedeutend und wichtig es sei, dass man in die Partei eintritt. Mein Alltag in der DDR war unbeschwert – ich kannte nichts anderes. Und was sich hinter den Kulissen abgespielt hat, habe ich als Kind nicht mitbekommen. Den Mauerfall erlebte ich wie im Rausch und plötzlich wurden Dinge wichtig, für die ich mich vorher nie interessiert habe. Alles war möglich … Irgendwann war dieser Rausch vorbei und ich fragte mich, was ich in meiner Vergangenheit alles nicht mitbekommen habe. Die Lehrer, die nun nicht mehr von ihrer Parteitreue berichteten, blieben und in mir wuchs die Neugier. Ich begann mich mit den Schicksalen und Begebenheiten der damaligen Zeit zu beschäftigen und tue es auch heute noch gerne. Aus diesem Grund stach mir „Kranichland“ von Anja Baumheier sofort ins Auge. Diese Geschichte versprach ein packendes Familienepos zu sein, in Zeiten als Deutschland noch geteilt war.
Die Handlung ist rund um eine literarische Figur aufgebaut, die zwar immer präsent ist, aber nie in größeren Passengen erzählt, was ihr wiederfahren ist. Vielmehr erfahren wir einiges über Marlene von allen anderen Protagonisten, die auf schicksalshafte Weise miteinander verbunden sind. Schwerpunkt dieser Geschichte sind jedoch der Alltag und die Umstände in der DDR. Marlene und ihre Schwester Charlotte bieten hierfür einen wunderbaren Kontrast: Charlotte ist linientreu und brennt für den Sozialismus, genau wie ihr Vater Johannes, der bei der Staatssicherheit tätig ist. Marlene hingegen hinterfragt viele Dinge, die im Namen des Sozialismus geschehen und verliebt sich in einen Pfarrersohn, der ähnlich kritisch ist. Beide sehnen sich nach Freiheit und begeben sich dafür auf einen sehr gefährlichen Weg.
Die Autorin Anja Baumheier beschreibt mit einem sehr eindringlichen Stil die bewegenden Ereignisse rund um die authentischen literarischen Figuren. Die historischen Begebenheiten und Umstände dosiert Anja Baumheier so, dass es für den Leser nicht zu erdrückend ist, obgleich sie nichts beschönigt. Jedoch gab es für mich einige wenige Szenen, die für meinen Geschmack künstlich sentimental und etwas geschwollen dargestellt worden sind. Zum Glück blieben diese überschaubar und beeinträchtigten nicht den Lesefluss.
Obgleich sie mich auch sehr aufgewühlt hat, konnte ich die kleine Zeitreise mit „Kranichland“ und der Familie Groen wirklich genießen.
Verlag: Wunderlich
ISBN-13: 978-3805200219
Eine sehr schöne Rezension. Der erste Absatz hätte auch von mir sein können. Bei uns ging es gerade um den Übertritt in die FDJ.
Liebe Grüße,
Mona
Hach ja, FDJ´ler wollte ich immer werden. Die waren so cool auf dem Fahnenappell 😉
Danke und liebe Grüße
Eine tolle Rezension, auch weil du noch etwas Persönliches geschrieben hast, ich kann mir das ja nur aus Erzählungen vorstellen, weil ich im Westen aufwuchs. Das Buch steht auch noch auf meiner Lesen-Liste! Liebe Grüße, Kathrin
Liebe Kathrin,
danke für deinen Kommentar. Ich lese gerne Geschichten, die mich an meine persönliche Vergangenheit erinnern, deswegen sind die Rezensionen dazu auch etwas persönlicher.
Ich hoffe, du liest es ganz bald 🙂
Viele Grüße