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Als Kath uns exklusiv die Frühlingsvorschau der Verlagsprogramme vorstellte, wanderten ein paar der Titel direkt auf meine Wunschliste. Darunter auch der im März bei Aufbau (Blumenbar) erschienene Roman „Frühstück mit den Borgias“. Obwohl der Inhalt bei mir tatsächlich keine konkreten Erwartungen wecken konnte, haben mich die Schlagworte „Informatikprofessor“, „Küstenhotel“, „schrullig“, „neurotisch“ und „Großbritannien“ sofort überzeugt. Außerdem ist Literaturliebhabern der Name DBC Pierre längst durch sein vielgelobtes Werk „Jesus von Texas“ ein Begriff, für das dieser den Booker Prize erhalten hat. Und dieses Cover erst! Die etwas über 200 Seiten wurden äußerst liebevoll – mit ausklappbarem Vorsatz statt lästigem Einband – gestaltet und überzeugen in Layout, Schriftwahl und natürlich Coverbild. Doch konnte der Inhalt mit dem schmucken Gewand mithalten?
Der dreißigjährige Ariel Panek, Wunderkind und Informatikprofessor, bleibt auf der Reise von Chicago zu einem Kongress nach Amsterdam aufgrund des üblichen Verkehrschaos‘ unerwartet in England, Suffolk hängen, während seine Geliebte Zeva auf einen Anschlusszug in Brüssel – und Nachricht von ihm – hofft. Die Nachricht muss zunächst warten, denn in „The Cliffs“, dem Küstenhotel in dem Ariel strandet, gibt es weder WLAN noch Handyempfang. Selbst die Münzen für einen Anruf von der altmodischen Telefonanlage fehlen! In der Hoffnung auf ein funktionierendes Mobiltelefon knüpft er Kontakt zu einer im Hotel residierenden Familie, deren Mitglieder sich immer schrulliger benehmen, je weiter der Abend voranschreitet. Während Ariel verzweifelt versucht, den Anschluss zur modernen Welt zu wahren, werden die Ereignisse in „The Cliffs“ immer skurriler – und enden in einer Nacht, die ihm unvergesslich bleiben wird.
Was nach Charakterstudie, Gesellschaftskritik oder philosophischem Plädoyer klingt (laut The Guardian fängt DBC Pierre „die gefährliche Ironie unserer Gegenwart ein“), ist eher – und das soll die Wirkung keineswegs schmälern – eine klassische Schauergeschichte. Würde man „Frühstück mit den Borgias“ allerdings unter diesem Label vertreiben, müsste sich der Autor wahrscheinlich auf den Vorwurf der fehlenden Innovation gefasst machen. Denn – skurrile Figuren, seltsame Ereignisse, Schauplatz und Stimmung eingeschlossen – der Roman folgt dem „Schema F“ der Gruselgeschichte so brav, dass die ausbleibende erwartete Neuerung am Ende die einzige Überraschung bleibt. Die in den Fokus der Ankündigung gerückte Technologie spielt zwar eine Hauptrolle. Eine philosophische Auseinandersetzung oder gar die vom Guardian gepriesene „Ironie“ beschränkt sich jedoch auf ein paar Figurengespräche und liefert weder neue Erkenntnisse noch einen überzeugenden „plot point“. Auch die vielversprechende Liebschaft zwischen Ariel und Zeva bleibt vage und erscheint als Stilmittel zum Zweck.
Lässt man also die irreführenden und eher enttäuschenden Label weg und fasst „Frühstück mit den Borgias“ unter „klassische Schauergeschichte der modernen Zeit“, kann sich der Leser auf soliden Grusel und durchaus „unnachahmliche Figuren“ (The Mail on Sunday, Klappentext) freuen, auch wenn die Erzählung von Stil – und Inhalt – der Geschichten Agatha Christies (The Mail on Sunday, Klappentext) ebenso weit entfernt ist wie „The Cliffs“ vom Handyempfang. Trotz des knappen Umfangs hätte die ein oder andere Kürzung dem Lesefluss nicht geschadet – die Marotten der Hotelbewohner verlieren mit Fortlauf der Geschichte etwas an Zauber. Das Ende ist so voraussehbar wie angenehm und lässt den Leser mit einem wohligen Schauer zu Bett gehen – wo er keinesfalls um seinen Schlaf fürchten muss.
Wer sich für Gruselgeschichten und ungewöhnliche Erzählungen begeistern kann und auch Figuren jenseits des Mainstreams zu schätzen weiß, dem sei „Frühstück mit den Borgias“ dringend ans Herz gelegt und eine unvoreingenommene Lektüre empfohlen. Dem Aufbau Verlag sei indes zum wunderbaren Gewand der Geschichte gratuliert – gerne weiter so!
„Frühstück mit den Borgias“ von DBC Pierre
Originaltitel: „Breakfast with the Borgias“
Übersetzung: Max Stadler
Hardcover: 224 Seiten
Verlag: Blumenbar / Aufbau
Erscheinungsdatum: 14. März 2016
ISBN: 978-3-351-05026-9