"Die Stille vor dem Tod" von Cody McFadyen, Thriller
Copyright: Bastei Lübbe

Es gibt Krimi-Autoren, an deren Geschichten sich die Geister scheiden. Eher zartbesaitete Fans der englischen Whodunnit-Plots können mit Hardcore-Thrillern oft nichts anfangen. Dass weder Elisabeth George noch Joe Landsdale hohe Literatur aufs Papier bringen, muss gar nicht erst diskutiert werden; entsprechend gering sind die literarischen Ansprüche der Fangemeinden. Vor allem möchte man hier unterhalten – und in diesem Fall gegruselt – werden, was bei den einen durch Teestunden und englische Landschaftsbeschreibungen und bei den anderen über detaillierte Tatortbegehungen und blutige Morde erreicht wird. Allen sei es gegönnt!

Ich gehöre zu der Sorte Krimiliebhabern, die sowohl das eine als auch das andere unterhaltsam finden. Ermittelnde Lords im englischen Gartenbeet, Sterneköche auf Mördersuche, italienische Kulinaristik mit Mordvarietee oder hannibalesker Psychopathenhorror – all das fällt unter meine literarischen „guilty pleasures“.

Als 2006 der erste Kriminalroman der David Hunter-Reihe aus der Feder von Simon Beckett herauskam, „Die Chemie des Todes“, stockte der Krimiwelt der Atem: Die detailverliebten Schilderungen der verschiedenen Verwesungszustände erschütterte und faszinierte die Leserschaft gleichermaßen. Selbstverständlich erhoben sich auch kritische Stimmen, die Anstoß nahmen an dem makaberen Detailreichtum. Wenn jemand im Freundeskreis sich von diesen Szenen abgeschreckt zeigte, konnte ich immer nur einen Ratschlag geben: Dann lies gar nicht erst die Romane von Cody McFadyen.
Dessen erster Band seiner Smoky Barrett-Reihe, „Die Blutlinie“, erschien im selben Jahr und drehte mir, die außerordentlich hart gesotten ist, stellenweise den Magen um. Obwohl ich seither jeden Band der Reihe gelesen habe und wie viele andere auf den durch eine Krankheit des Schriftstellers lange hinausgezögerten neuesten Titel „Die Stille vor dem Tod“ wartete, stand ich den Romanen von McFadyen stets kritisch gegenüber. Zweifelsohne war es vor allem die starke Heldin Smoky Barrett, an deren Leben wir durch ihre Ich-Perpespektive teilnehmen, die mich immer wieder zum Weiterlesen animierte. Faszinierend war auch die schriftstellerische Gestaltung der Thriller: bereits im ersten Viertel oder Drittel der Geschichten ist der erste Höhepunkt erreicht und der Spannungsbogen fällt wieder bis zum endgültigen Finale – das immer Fragen offen lässt. McFadyens Stil ist wechselhaft: poetische Gedanken, pubertäre Fantasien, klischeehafter Kitsch, atmosphärische Beschreibungen und erzählerische Brüche führen zu einem oft unterhaltsamen und intensiven Leseerlebnis, das aber stellenweise auch frustrierend, anstrengend und abstoßend sein kann. Vor allem die – von Denis Scheck vor Kurzem als „Gewaltporno“ bezeichneten – exzessiven Gewaltdarstellungen lassen einen gut und gern Seiten überspringen oder auch schlicht am Verstand des Autors zweifeln. 
McFadyen beklagte sich einmal, dass die Recherche für seine Bücher (das Stöbern in Akten tatsächlicher Gewaltverbrechen) ihn immer schwer auslaugten. Das ist durchaus nachvollziehbar – und die realitätsbezogene Recherche mag löblich sein – doch das sollte man vielleicht nicht zwangsläufig therapieren, indem man diese Eindrücke über seinen Lesern auskotzt. Denn oft wirken die Darstellungen der Gräueltaten nicht nur ungefiltert und roh, sondern in Teilen undurchdacht und hysterisch.

Offenbar wollte McFadyen mit seinem neuesten Band „Die Stille vor dem Tod“ dann endgültig den Superlativ der Gewaltorgien herausbringen. Welche mysteriöse Krankheit ihn heimgesucht hat, haben weder Verlag noch Autor bisher verraten, aber nach der Lektüre dieses Buches könnte man vermuten, dass es etwas mit der Psyche zu tun hat … 

Von einem gut durchdachten Plot, bewussten Tempobrüchen zur Abmilderung der Gewaltbeschreibungen und gezielt eingesetzten Schock-Motiven ist jedenfalls nichts mehr vorhanden – und leider auch nichts von der einstigen Heldin Smoky Barrett. Deren fiebrig-erregter innerer Stimme hören wir nun über knapp 500 Seiten beim Weltformel-Murmeln zu, während sie eine idiotische Dummheit nach der nächsten begeht. Das ehemals charakterstarke Team Smokys verblasst hinter der intensiv ausgeleuchtet labilen Psyche der Protagonistin und der Drahtzier des ganzen Falles ist spätestens seit der Mitte des Buches zu erkennen, tragischerweise weil es genau der gleichen Auflösung der vorangegangenen Fälle folgt – beschämende Leistung, Cody! Das Ausmaß und die Rohheit der Gewaltszenen war bisher stellenweise immer erschreckend, aber jetzt ist es nicht nur durchgehend ekelhaft, sondern auch noch gaga, als aneinandergereihte Aufzählung widerlichster Verbrechen samt deplatzierter Gossensprache.

Ich wünsche Cody McFadyen (und auch Smoky Barrett) jedenfalls von ganzem Herzen gute Besserung und hoffe, dass sie demnächst in alter Manier ermitteln werden – und dass beide sich eine neue Therapiemöglichkeit suchen. 

Die Stille vor dem Tod von Cody McFadyen 
Band 5 der Smoky Barrett-Reihe
Originaltitel: „The Innocent Bone“
Übersetzer: Axel Merz
Hardcover: 478 Seiten 
Verlag: Bastei Lübbe
Erscheinungstermin: 26. September 2016
ISBN: 978-3-7857-2566-5

11 Replies to “[Rezension] „Die Stille vor dem Tod“ von Cody McFadyen

  1. Danke Krink, für diese sehr treffende Rezension. Ich hab mich auch gefragt, was ihn beim Schreiben dieses Bandes geritten hat. Sehr schade eigentlich, denn ich mochte Smoky und ihr Team immer sehr, aber für mich hat sich die Reihe nach diesem Fiasko echt erledigt 🙁

    Liebe Grüße Ina

  2. @Ina: Gut, dass wir uns einig sind (mal wieder)! Vor McFadyens Krankheit ist der Erscheinungstermin ja auch schon verzögert worden mit der Begründung, dass McF sich genug Zeit für Qualität lassen will… Hm. Also er hat andere Vorstellungen von Qualität als ich. 😉

  3. @Aleshanee: Danke! 🙂
    Cool, dann solltest Du dem ersten Band (Die Blutlinie) auf jeden Fall mal ein Auge schenken – ist auch super fix verschlungen. Nicht in der Mitte starten, da die Bände inhaltlich aufeinander aufbauen. LG

  4. Ahhhh…. eine absolut geniale Rezension, Krink. Ich hatte "Die Blutlinie" vor ein paar Tagen noch in der Hand, dachte 'für mich als Thrillerfan' ist die Reihe eigentlich ein Muss. Aber ich vielleicht sammle ich vorher doch besser noch ein wenig mentale Stärke… diese Megabrechreizthriller sind nicht immer meins… auch, wenn ich in meiner Kindheit bereits durch die harte Horrorschule gegangen bin. 🙂

    Danke für diese wirklich sehr aufschlussreiche Kritik. LG

  5. @lex: Danke! Wenn die "harte Horrorschule" Dir gut bekommen ist, ist die Blutlinie ein Klacks. Aber für englische Tee-Krimitanten eher schwer verdaulich. Sag mri unbedingt, was Du denkst anschließend!

    @Lena G.: Danke sehr! <3

  6. Halloi!
    Über die Stöberrunde von Aleshanee bin ich auf deine Rezi gestoßen ^^ Und ich hatte bei deiner Rezension schon so viel mehr Spaß als bei dem Buch ^^

    Danke für die tolle Unterhaltung an einem tristen Sonntag 😀

    Ganz liebe Grüße
    Eva

  7. @aleshanee: Danke, lieb von Dir! Tolle Links hast du zusammengestellt – die Blogger-Nerv-Liste hat mich besonders begeistert! <3

    @Astaja: Haha, danke sehr! Ja, es ist schade, dass die Rant-Rezis unterhaltsamer sind als das Buch. Aber schlechte Publicity ist ja bekanntlich besser als keine – ich konnte und wollte meine Klappe trotzdem nicht halten. 🙂

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