Martin Walker, Jahrgang 1947, ist ein Multitalent und enorm schreiblustiger Mann: Er studierte Geschichte und Internationale Beziehungen und Wirtschaft in Oxford und Harvard, war 25 Jahre für die renommierte britische Tageszeitung The Guardian tätig, bevor er in Washington D.C. die Leitung des Global Business Policy Council übernahm. Er verfasste Bücher über den Kalten Krieg (The Cold War. A History, 1994), Clinton (The President They Deserve, 1996), George Bernhard Shaw und Shakespeare.
Nebenbei lässt er ermitteln: nämlich den inzwischen weltweit geschätzten Benoît Courrègés, besser bekannt als Bruno, Chef de police in der französischen Kleinstadt St. Denis. Das Städtchen ist Fiktion. Fakt ist Walkers Liebe zum Périgord, zu seinen Menschen, Weinen und seiner Esskultur. 2012 wurde auf 3sat sein hübscher Dokumentarfilm Mein Périgord ausgestrahlt. Und dass man den Wein, den der Dorfpolizist schlürft, auch wirklich erwerben und dass man am heimischen Herd nachkochen kann, was dessen Garten und Küche hervorzaubern, dafür hat der Autor gesorgt.
Nun haben Gourmet-Krimis ja Hochkonjunktur und Werbung in eigener Sache, inklusive der exklusiven Käsesorten vom Freund Stéphane Bounichou, werden nur Kostverächter verwerflich finden. Was indessen stört: Es ist zu viel! Zu viel! Zu viel! Dem ohnehin privat geplagten (auch hier ist eine Frau zu viel!) Ermittler sei es gegönnt, unablässig Entspannung am Esstisch zu suchen. Und wenn er sie dort nicht findet, dann im Gemüsegarten zwischen Tomaten und Salat. Oder bei den Gänsen Napoléon (!) und Joséphine (!). Oder in Gesellschaft des Hündchens Balzac (Ogottogott!) und des Pferdes Hector (schnell ins Internet: Hector Malot, französischer Schriftsteller, ja klar!). Zum Teufel noch mal! Worum geht es? Um Werbung fürs Landleben? Um heiteres Literatenraten? Um einen Schnellkurs in französischer Geschichte? Oder um einen Krimi?
Dabei wäre Bruno wirklich jedes bisschen Erholung zu wünschen. Denn auch in beruflicher Hinsicht hat er viel zu tun. Zu viel! Ein alter Résistance-Kämpfer ist verschieden (man lernt viel über den französischen Widerstand im Zweiten Weltkrieg). Seine tote Faust umklammert einen Geldschein, der aus dem legendären Eisenbahn-Überfall 1944 bei Neuvic stammt (man lernt viel über französische Geschichte). Ein Einbruch in eine gentilhommière gibt Rätsel auf (man lernt viel über südfranzösische Herrenhäuser). Ein Schwuler wird ermordet (man lernt viel über homosexuelle Partnerschaften). Miese Antiquitätengeschäfte kommen ans Licht (alter Hut). Schließlich recherchiert eine investigative Journalistin die heimliche US-Unterstützung des französischen Nuklearprogramms (wer noch mehr lernen will: siehe 3 Links!). All das auf gut 400 Seiten. À la bonne heure! Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Walker ist ein routinierter, sprachlich versierter Erzähler. Trotz alledem: beaucoup trop! Beaucoup trop!
„Reiner Wein. Der sechste Fall für Bruno, Chef de police“ von Martin Walker
Verlag: Diogenes
Erscheinungsdatum: Mai 2014
Hardcover Leinen: 416 Seiten
ISBN: 978-3-257-06896-2