"Madame Picasso" von Anne Girard, Roman
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Meine erste direkte Begegnung mit Kunstwerken Picassos hatte ich mit 19 Jahren in Paris. Zu Besuch bei meiner besten Freundin, die damals ein Jahr lang in der für mich noch sagenumwobenen Hauptstadt Frankreichs lebte, hatte ich mir als erstes Highlight das Picasso – Museum auserkoren und mich spontan in seine Kunst verliebt. Auch wenn der Mann selbst mir immer etwas unheimlich blieb, übten seine Kunstwerke immer eine starke Faszination auf mich aus. Ob ich das, was er zeigen wollte wirklich verstanden hatte? – Damals denke ich nicht, heute vielleicht etwas besser.

Mit der Kunst Picassos kann man vieles verbinden, man kann ihn persönlich als Mensch ambivalent empfinden, aber eines ist unumstritten: Er war ein Erneuerer der Malerei, einer der größten Künstler des 20. Jahrhunderts und er liebte die Frauen, wie auch sie ihn liebten.

Als Picasso im Jahr 1911 die junge, aus der Provinz stammende Eva Gouel, die sich in Paris neu erfinden möchte und deshalb dort Marcelle Humbert nennt, das erste Mal trifft, ist er bereits in einer Krise, was seine aktuelle Beziehung zu Fernande Olivier angeht. Sie ist die Frau, die er vor einem brutalen Ehemann, von dem sie sich trotz allem nicht scheiden lassen will, rettet, die die Hungerjahre mit ihm durchlebt hat und nun auch in seinem bereits großen Erfolg seine Gefährtin sein möchte. Doch leicht war und ist es nicht. Von beiden Seiten gibt es Affären, das Leben mit einem Künstler, der viel Freiraum braucht und einen nicht alltäglichen Rhythmus lebt, ist zwar spannend, mittlerweile auch finanziell entspannt und gesellschaftlich glamourös.

Dennoch spürt Picasso immer mehr, dass ihm die Liebe zu Fernande abhanden kommt und er mehr oder weniger aus Verpflichtung – und natürlich weil sie eine schöne und verführerische Frau ist – an der Verbindung festhält. Die neuen Wege, die er in der Kunst beschreitet, versteht sie jedoch nicht so ganz. Der Kubismus ist für Picasso in dieser Zeit die einzige Möglichkeit seiner künstlerischen Weiterentwicklung. Verstanden wird diese Kunstform in ihren Anfängen allerdings nur von wenigen Menschen und in Eva trifft Pablo jemanden, der das wahre Wesen der Kunst und des Künstlers wie er selbst erfassen kann.

Für Picasso möchte ein wahrer Künstler „Dinge so malen, wie er sie denkt oder fühlt, und nicht, wie alle anderen sie sehen“ (S. 51). Eva begreift ganz intuitiv, worum es sehr häufig in der Kunst geht und womit der Künstler am schwersten zu kämpfen hat:

„Es ist schrecklich, von der Welt vereinnahmt und dazu gezwungen zu werden, sie so zu sehen, wie die anderen. […] Nicht das zu tun, was man fühlt.“ (S. 51)

Anne Girard hat mit ihrem Roman „Madame Picasso“ eine der Frauen Picassos, über die am wenigsten bekannt ist, in den Fokus gerückt und gleichzeitig einen ganz neuen Blick auf den Mann und Künstler Pablo Picasso möglich gemacht. Ihre profunden und weitreichenden Recherchen, die sie über Paris und die Provence bis in die Geburtsstadt Picassos, nach Barcelona, geführt haben, verflicht sie behutsam und geschickt mit ihren eigenen Vorstellungen davon, wie die Liebesgeschichte zwischen Eva und Pablo gewesen sein könnte. Wie sehr Pablo sich nach einem Ruhepol sehnte, wie sehr Eva ihm dieser Ruhepol war – man weiß es nicht, aber man wünscht sich, dass Anne Girard Recht hat mit ihrer Auslegung. Recht hat damit, dass Eva Gouel mehr war als nur das unscheinbare Mädchen aus der Vorstadt, das den berühmten Künstler bezirzt, seine langjährige Partnerschaft zerstört und seine Freundschaften gesprengt hat, um ihm die Haushälterin zu spielen.

Die Eva Gouel, die Anne Girard hier zeichnet, weiß was sie will. Sie will mehr von ihrem Leben, als den Beruf einer zwar äußerst geschickten aber dennoch einfachen Näherin auszuüben oder die Frau eines Mannes zu werden, den sie nicht liebt und nur heiratet, um versorgt zu sein. Sie will Unabhängigkeit, Selbstbestimmtheit und dennoch wahre Liebe.

Picasso wird unter Girards Feder zwar nicht weniger getrieben von Dämonen und Aberglauben, der von seiner streng katholischen Erziehung herrührt. Auch zeigt sie deutlich, dass er mit Teilen des Lebens, die mit Krankheit und Tod zu tun haben, nicht zurecht kommt und davor flieht. Aber sie schafft es, einen freundlichen, einen verständnisvollen Blick auf den Menschen zu werfen, der hinter dem Künstler steht. Vielleicht war Eva Gouel die einzig wahre Liebe Pablo Picassos, die ihn damit für die anderen Frauen in seinem Leben verdarb. Vielleicht hat er sich aber auch nie geändert, was seine doch machohafte Einstellungen Frauen gegenüber angeht. Das ist hier aber nicht der springende Punkt.

Vielmehr zeigt dieser Roman auf eindringliche Weise, wie wichtig es ist, dass zwei Menschen in dieselbe Richtung sehen, dasselbe Ziel haben. Ob nun füreinander, miteinander oder jeder zum Teil für sich selbst … das ist häufig und im besten Fall nicht genau zu trennen.

Die Atmosphäre, die Girard entstehen lässt, ist dermaßen zwingend, zieht einen vom ersten Augenblick in die Zeit und die Lebensumstände der Pariser Bohème um 1911 hinein, dass das Gefühl, diese Lebensrealität selbst erspüren zu können unglaublich echt ist. Der Schreibstil ist sehr flüssig und lebt auch von seinen Dialogen. Dennoch hätten dem Roman ein paar Seiten weniger vielleicht gut getan, was den Fortlauf der Geschichte angeht. Andererseits wäre die Figur der Eva dann wohl doch etwas zu kurz gekommen und sie, wie in so mancher Biographie über Picasso, zur blassen Nebendarstellerin geworden. Und das wäre bei einem Titel wie „Madame Picasso“ doch recht bedauerlich.



„Madame Picasso“ von Anne Girard
Klappenbroschur: 478 Seiten 
Erscheinungsdatum: 09. März 2015
Verlag: Aufbau Taschenbuch
ISBN: 978-3-7466-3138-7

2 Replies to “[Rezension] „Madame Picasso“ von Anne Girard

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