In dem Roman „Nicht von dieser Welt“ zeichnet der Lehrer und
Schriftsteller Arne Ulbricht das extreme Versagensszenario eines Lehrers nach.
Es ist ein spannendes Buch, ein verstörendes Buch, aber auch ein Buch, über
dessen Inhalt man streiten kann. Für Arne Ulbricht, dem ich einige Fragen
stellen durfte, ist dies übrigens keinesfalls ein Defizit, sondern das Attribut
einer Geschichte, an die man sich vielleicht auch noch in einigen Jahren
erinnern wird. Da muss etwas dran sein! Mir jedenfalls ließ die Sache einfach
keine Ruhe. Ich wollte mehr wissen, wollte wissen wie viel Wirklichkeit in dem
Buch steckt und habe spannende Antworten bekommen!
Lex: Lieber Herr Ulbricht. „Nicht von dieser Welt“ ist ein
Roman über einen Mann, der auf fatale Weise in seinem Beruf als Lehrer
scheitert. Da Sie selbst Lehrer sind… waren sie selbst jemals an einem Punkt,
an dem Sie ihre Profession in Frage gestellt haben? Und wenn ja, wie haben Sie
diesen überwunden?
Foto von Daniel Schmitt www.spitzlicht.de |
A.Ulbricht: Es
gab durchaus Situationen, in denen ich keine Lust mehr hatte: Am schlimmsten
war es in einem Anfängerkurs Französisch in der elften Klasse, als Schüler in
der achten Stunde die Füße auf den Tisch gelegt haben und mein Angebot, vor
einer Klausur noch einmal zu üben, als „Nachsitzen“ bezeichnet haben.
Überwunden habe ich diese Situation – es gab in diesem Kurs ständig solche
Situationen – indem ich eine Kollegin gebeten habe, den Kurs im Jahr später zu
übernehmen. Vielleicht war es damals auch so frustrierend für mich, weil ich
mich eigentlich immer ganz wunderbar mit Schülern verstehe. (Inzwischen
schreibe ich übrigens wesentlich mehr, als ich unterrichte.)
Lex: In dem Buch
treffen eine Menge unterschiedlicher Charaktere auf denkbar ungünstige Weise
aufeinander: der konfliktscheue Heinz Gödel, die herrische Vorgesetzte Frau
Huber, abgestumpfte Kollegen, aufsässige Schüler und stille Außenseiter.
Inwieweit sind diese Figuren der Realität entlehnt?
A.Ulbricht: In den
meisten Figuren stecken Eigenschaften vieler Personen drin. Ein Beispiel: Frau
Huber gibt es nicht. Aber wenn ich die Eigenschaften von mehreren herrischen
und von der Notenvergabe besessenen Kollegen, die ich in den letzten 15 Jahren
an acht verschiedenen Schulen kennengelernt habe, in einen Topf geschüttet und
gerührt hätte, wäre dabei Frau Huber herausgekommen.
Lex: Während des
Lesens habe ich mich oft gefragt, was Heinz Gödel hätte tun können, um den
Teufelskreis des Scheiterns zu durchbrechen. Ist sein Scheitern vorherbestimmt
oder hätte er die Katastrophe abwenden können? Und wenn ja, auf welche Weise?
Was würden Sie einem Kollegen in ähnlicher Situation raten?
A.Ulbricht: Ich
würde ihm raten, eine Buchhändlerlehre zu machen und als Buchhändler Lesungen
für Kinder zu organisieren. Heinz ist ja ein wunderbarer, herzensguter Mensch –
aber wenn man nicht gleichzeitig ein sehr hartes Fell hat und in der Lage ist,
sich auch gegen wüsteste Neuntklässler durchzusetzen, hat man an den wenigsten
Schulen eine Chance.
Lex: Heinz Gödel ist eine tragische Figur, aber auch ein
klarer Antiheld. Ich musste während des Lesens häufig an Travis Bickle alias
Robert de Niro in „Taxi Driver“ denken… beides Charaktere, die sich in der Welt
– wie sie ist – nicht zurechtfinden und schließlich wider allen moralischen
Vorstellungen zu drastischen Mitteln greifen. Wie viel Mitleid darf man mit
Heinz Gödel haben?
A.Ulbricht: Wie er
sich am Ende verhält, ist gewiss unerträglich. Abgesehen davon finde ich es
grässlich, dass jemand wie Heinz in der heutigen Gesellschaft keine Chance mehr
hat. Für mich ist er kein Antiheld, sondern ein Held wie Behringer in dem
Theaterstück Die Nashörner, in dem sich alle Menschen in Nashörner verwandeln.
Die heutigen Nashörner sind die Menschen, die glauben, in WhatsApp-Gruppen und
auf Facebook usw. sein zu müssen, obwohl sie darauf vielleicht gar kein
Bock haben. Heinz entzieht sich dem Erreichbarkeitswahnsinn auf konsequenteste
Weise. Ich kann ihn dafür nur bewundern und habe deshalb auch Mitleid mit ihm –
weil er der Einzige ist, der so tickt. An anderen Stellen ist er in meinen Augen
extrem mutig und schwimmt gegen den Strom: Er wehrt sich dagegen, dass seine
Tante in ein Pflegeheim abgeschoben wird, und er stimmt als Einziger in einer
Konferenz gegen den Ausschluss eines Schülers, obwohl er selbst mit dem Schüler
heftige Probleme hat.
Lex: Ihr Protagonist lebt anfangs sehr zufrieden in einer
Welt abseits der virtuellen Wirklichkeit, wird dann aber von einem Tag auf den
anderen mit „Facebook & co“ konfrontiert. Wie ist ihre persönliche
Einstellung zu social media?
A.Ulbricht: Ach…
darüber könnte ich ein Buch schreiben! Mir ist das prinzipiell, verzeihen Sie,
scheißegal, wenn jemand auf Facebook oder in achtzehn verschiedenen
WhatsApp-Gruppen ist und jedes Schwachsinnsselfie meint posten zu müssen. Was
mir nicht egal ist: Man ist sozial tot, wenn einem all das nicht fehlt und man
schlicht keine Lust auf ein soziales Leben im Netz hat. In meinem Alter
(Jahrgang 72) geht das noch. (Wird aber auch schwieriger). Aber haben junge
Menschen wirklich die Freiheit sich dagegen zu entscheiden? Ich glaube nicht.
Und das darf einfach nicht sein.
Lex: Und eine letzte
Frage: Was macht Ihrer Ansicht nach einen guten Lehrer aus?
A.Ulbricht: Das
ist kompliziert, weil unterschiedliche Klassen an unterschiedlichen Schultypen
vollkommen unterschiedliche Lehrer brauchen. Vielleicht ist Folgendes
allgemeingültig: Ein guter Lehrer sollte Nähe zu den Schülern aufbringen und
gleichzeitig in der Lage sein, schwierige Situationen auszuhalten. Man braucht
ein gewisses Stehvermögen. In vielen Klassen wäre Heinz also ein guter Lehrer,
weil er einen ganz liebevollen Umgang mit Schülern hat und ihnen wirklich etwas
beibringen möchte.