"Infernale" von Sophie Jordan, Jugendbuch
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Na, was ist denn das für ein Wetter? Während die meisten Leute bei Sturm und Regen verzweifeln – vor allem, wenn sie eigentlich fröhlich-angetütert mit Kostümen durch die Straßen ziehen wollen -, freue ich mich über das willkommene Lesewetter. Nach langer, langer Zeit habe ich mir mal ein Wochenende ohne Arbeit gegönnt und sodann auch gleich zwei Bücher von meinem SuB streichen können. Eines davon ist zur Zeit in aller Munde und wurde auch auf unserem Blog zum Bloggeburtstag verlost. Ich hoffe, alle, die es interessiert, konnten mitmachen – denn bei diesem Titel ist der spannende Name wirklich Programm: 

„Infernale“ heißt der Auftakt einer neuen Jugendbuch-Reihe aus Feder Sophie Jordans, Erfolgsautorin der Firelight-Trilogie. Während „Firelight“ dem Fantasy-Genre entspringt, widmet sich die Handlung in „Infernale“ einem gesellschaftspolitischen Thema und spielt in der nahen Zukunft: In den USA wird im Jahre 2021 auf Geheiß der Regierung die gesamte Bevölkerung auf das sogenannte HTS-Gen (Homicidal Tendency Syndrome) getestet. Während registrierte Träger zunächst „nur“ gelistet und aus bestimmten gesellschaftlichen Kreisen ausgeschlossen werden, eskaliert die Situation rasant zur zügig steigenden Zahl der Registrierungen. Immer mehr Träger werden ermittelt, in Zwangslager gesteckt, gefoltert und ermordet. Auch auf Seiten der Träger kommt es zu Gewaltausschreitungen, sodass die Wissenschaft um das „Mördergen“ zur self-fullfilling prophecy wird. Viele versuchen über die Grenzen zu flüchten, sodass Mexiko und Kanada Einreiseverbote über alle US-Bürger verhängen. In dieser Zeit wird HTS auch bei Davy, einer hochbegabten Schülerin einer Privat-Highschool diagnostiziert, woraufhin sich ihr Leben von Grund auf ändert.

Mehr soll zur Handlung gar nicht gesagt werden, denn die Ereignisse, die auf Davy einstürzen, sind so rasant und spannend, dass der Roman auch ohne weitere Hints viel zu schnell gelesen ist. Viele Entwicklungen sind natürlich aus Jugendbüchern dieses Genres bekannt: Behütet-begabtes Mädchen muss sich in brutal-ungerechter Welt behaupten; Liebesgeschichte; Individuum/Rebellen gegen Regierung. Hier liegen sowohl die Stärken als auch die Schwächen der Geschichte:

Außerordentlich stark ist die Erzählweise der Autorin. Sophie Jordan hat ordentlich recherchiert und versteht es, subtile Andeutungen zu streuen und Wahrheiten hinter dem Offensichtlichen hervorzuholen. Der Leser wird ermutigt, sich seine eigenen Gedanken zu machen und zwischen Schwarz und Weiß treten schnell eine Menge Graustufen hervor. Die Handlung verläuft so erschreckend wie faszinierend und die Protagonistin hält sich wacker. Anfangs noch etwas unsympathisch-naiv, entwickelt sie sich bald überzeugend zu einer intelligenten, schlagfertigen Figur, der man gerne über die Schulter schaut. Auch die Nebenfiguren (gut wie böse) sind stimmig und liebevoll entworfen und regen zum geliebt und gehasst werden an. Erzählerisch übertrifft Sophie Jordan definitiv das Gros der grassierenden (dystopisch angehauchten) Jugendbücher.

Etwas zu schwach ausgeleuchtet erschien mir die Hauptthematik. Zum HTS-Gen wären ein paar Hintergrundinformationen stimmig(er) gewesen: Welche medizinische Grundlage gibt es? Die Danksagung der Autorin verweist auf antike (philosophische) Vorstellungen von vererbbaren Verhaltensweisen versus anerzogenen. Aber von den Vermutungen Aristoteles‘ und Platos bis
hin zu medizinisch-wissenschaftlichen Nachweisen ist es noch ein großer – und hier leider nicht erläuterter – Schritt, womit die Rahmenhandlung ihren vermeintlich realistischen Bezug einbüst – und doch eher zur Fantasy-Welt gehört, zumindest in Anbetracht dessen, dass die Rechtssprechung nach wie vor von Unschuld ausgeht, solange keine Straftat vorliegt – selbst wenn der Vorsatz schon da ist. Auch die Anordnungen der Regierungen, die nach alter Montage-Roman-Manier in die Geschichte eingeflochten wurden, klingen nicht sehr „echt“. Und was ist eigentlich mit dem Rest der Welt? Kanada und Mexiko sind scheinbar nicht direkt betroffen – hatten denn im Vorfeld der Eskalation keine HTSler das Bedürfnis auszureisen? Exil – anybody?

Nichtsdestoweniger verweist das Thema auch ohne realitätsnahe Erklärungen auf zeitgenössische (und historische) – reale – Probleme und drohende Konflikte: medizinische Entwicklungen, gläserner Mensch, Angst der Bevölkerungen führen (und führten nachweislich in der Vergangenheit) zu extremen Reaktionen und Genozid. Ob Flüchtlingskrise, Vorratsdatenspeicherung, Terrorismus – Vernichtungslager, Ghettos, Angst in der Bevölkerung stürmen jeden Tag als Reaktion die Nachrichten. Wie leicht man sich auf der (vermeintlich) „anderen“ Seite befinden kann und wie wenig und gleichzeitig viel Handlungsspielraum uns das lässt, macht Sophie Jordans Roman „Infernale“ ausdrucksstark deutlich. Und das hebt sie aus der Masse an Jugend-Dystopien hervor. Wunderbar!

Für den zweiten Teil wünsche ich mir mehr gesellschafts-politische Hintergründe und keine Dreiecksgeschichte. Wenn Jordan dies umsetzen kann, gelingt ihr vielleicht der Aufstieg an die Dystopie-Spitze.

„Infernale“ von Sophie Jordan
Originaltitel: Uninvited
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Ulrike Brauns
Band: 1
Hardcover: 384 Seiten
Altersempfehlung: ab 14
Erscheinungsdatum: 15.02.2016
Verlag: loewe
ISBN: 978-3-7855-8167-4

5 Replies to “[Rezension] „Infernale“ von Sophie Jordan

  1. Guten Morgen!

    Ich habs ja auch schon gelesen und ganz so begeistert war ich nicht.
    Die Entwicklung von Davy hab ich erst auf den letzten Seiten gesehen, obwohl ich es gar nicht mal eine "Entwicklung" nennen würde, weil sie aus meiner Sicht ihre "Naivität" nie richtig abgelegt hat.

    Ich fand auch, dass die Handlung etwas zäh voranging und man immer sehr deutlich wusste, was als nächstes passiert.
    Und ja, das Hauptthema ist etwas nebensächlich gewesen, da hätte man wirklich noch einiges mit machen können! Ich hoffe, dass da im zweiten Teil noch mehr kommt 😉

    Liebste Grüße, Aleshanee

  2. Irgendwie hat jeder dieses Buch schon zu Hause außer ich… aber deine Rezension lässt mich erahnen, dass das Warten für mich eine gute Entscheidung war. Die typischen Jugendbuch-Geschichten mit Dreiecksbeziehungen nerven mich mittlerweile schon sehr. Davon gönne ich mir erst mal eine Pause und warte, ob der 2. Band von Infernale die Serie besser oder schlechter macht…

  3. @Aleshanee: Schade, dass es dir nicht gefallen hat. Davys Naivität finde ich hier ausnahmsweise überzeugend – bei einem derart wohlbehütetem Elternhaus und keinerlei Hilfe wäre eine rasante Entwicklung zur Superheldin unglaubwürdig. Ich bin gespannt, was du zum zweiten Teil sagen wirst – und was der uns bringt. 🙂 LG

    @Bianca: Eine Dreiecksbeziehung gibt es bisher nicht – das war für mich einer der Pluspunkte dieser Geschichte. LG

    @Kathrineverdeen und @Verena: Ich bin super gespannt auf eure Einschätzungen!

    @kathiduck: Dann drücke ich die Daumen, dass es dort schnell erlöst wird! 🙂 LG

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