Das Leben ist groß" von Jennifer duBois, Roman
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Wenn mich jemand fragt: Welche Stadt möchtest du unbedingt in deinem Leben besuchen, koste es was es wolle?, gibt es nur eine Antwort: Sankt Petersburg. Es gibt keine andere Stadt, die eine größere Anziehungskraft auf mich ausübt. Zu gerne möchte ich einmal entlang der Newa, in dieser geschichtsträchtigen Stadt mit ihren über tausend Palästen, spazieren. Leider konnte ich mir diesen Wunsch noch nicht erfüllen, aber in den letzten Tagen hat mich „Das Leben ist groß“ von Jennifer duBois genau in diese Stadt entführt.

Vielleicht sind gerade die schlimmsten Katastrophen, die, die man kommen sieht und denen man nicht ausweichen kann. Ein Meteorit auf Kollisionskurs mit der Erde oder eine tödliche Diagnose. Manch einem mag es wie eine Flucht erscheinen. Als bei der amerikanischen Dozentin Irina aufgrund einer genetischen Disposition Chorea Huntington diagnostiziert wird, lässt diese alles hinter sich. Sie möchte nicht, dass ihre Mutter und ihr Partner den schleichenden geistigen und motorischen Verfall miterleben müssen. Zu lebhaft sind noch die Erinnerungen an den schweren Krankheitsverlauf und dem erlösendem Tod ihres Vaters. Sie reist nach Sankt Petersburg, um dort eine Antwort auf die Frage zu bekommen, mit der sich schon ihr Vater plagte: Wie verhält man sich oder kann man gar weiter agieren angesichts einer unausweichlichen Niederlage? Der ehemalige russische Schachweltmeister und politisch ambitionierte Alexander Besetow soll die Antwort auf diese Frage geben, denn schon ihr Vater, der einige Niederlagen seines russischen Schachidols mit verfolgt hat,  setzte all seine Hoffnungen auf eine Korrespondenz mit ihm … leider ohne den wünschenswerten Erfolg. Nun hat sich Irina dieses allerletzte Ziel gesetzt, Alexander, der mitten im Wahlkampf zum russischen Ministerpräsidenten steckt, zu finden und um eine Antwort zu bitten. Doch die Reise durch das doch sehr fremde und korrupte Russland wird mühsamer als gedacht …


Mit einer sehr ausgereiften und kunstvollen Sprache beschreibt duBois die sehr bewegende und aufregende Geschichte zweier Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch auf schicksalshafte Weise miteinander verbunden sind. Ihre beiden Leben werden bedroht. Der Ursprung von Irinas Bedrohung entspringt ihrem Körper, bei Alexander sind es äußere Umstände. Jedoch gibt es einen entscheidenden Unterschied: Alexander kann durch die richtigen Strategien seinem Schicksal entgehen.

Wir Leser begleiten die beiden Hauptcharaktere in diesem außergewöhnlichen Roman in zwei verschiedenen Handlungssträngen, die anfangs siebendundzwanzig Jahre voneinander getrennt sind- Alexanders Handlungsstrang beginnt 1979 in Leningrad und Irinas 2006 in Cambridge, Massachusetts-,  sich aber nach und nach annähern und miteinander verschmelzen. Zum einen haben wir die Figur des Schachwunderkindes Alexander Besetows – dessen Biografie an den Schachspieler Kasparow erinnert-, der viele Ideale über Bord werfen musste, um seine Träume zu verwirklichen und ein privilegiertes Leben führen zu können. Als Irina ihn 2006 trifft, führt er das Leben eines Dissidenten, kämpfend und ständig auf der Lauer vor Angriffen aus dem regierenden korrupten Regime. Die Position der zweiten Figur Irina ist eine andere. Sie kämpft nicht gegen eine Krankheit, die ihr ihre kognitiven Fähigkeiten nimmt und sie zu einem anderen Menschen werden lässt, denn dieser Kampf wäre aussichtslos für sie.

Dieser Roman war ein besonderer Lesegenuss für mich und ich bin dankbar, dass ich Irina und Alexander ein Stück weit in ihrem Leben begleiten und von ihnen lernen durfte. Überrascht war ich von der Autorin, die mich mit ihrem ausgereiften und wortgewandten Stil begeistert hat. Obwohl sie sich wirklich schwierigen Themen angenommen hat und sich oft Metaphern bedient, sind ihre Sätze nie zweideutig. Sie überzeugt mit sehr starken Dialogszenen zwischen mitreißenden und starken Charakteren und einer dramatischen und manchmal etwas melancholischen Handlung, die jedoch nie zu erdrückend wird. Diese interessante Mischung aus drei bedeutungsvollen Themen – russischer Politik, Schach und den Umgang mit einer tödlichen Krankheit oder Bedrohung- und einer sehr kunstvollen und bildhaften Sprache, in Kombination mit nachvollziehbaren und außergewöhnlich starken Charakteren, machten diesen Roman für mich zu einem perfekten Buch.

Das Besondere waren nicht nur die Charaktere und die Themen sondern auch die bildgewaltige Sprache duBois‘. Sankt Petersburg erwachte in ihren Zeilen zum Leben und der Leser durfte beeindruckende Schauplätze entdecken, die er wohl nie wieder vergessen wird. Der Leser schlendert mit den Protagonisten durch verwinkelte Gassen, trifft auf die grandiose Architektur von Sankt Petersburg, die durch mehrere Epochen gestaltet wurde und besucht düstere Dissidenten-Kneipen.

Vielleicht erfüllt sich irgendwann einmal mein Wunsch und ich reise nach Sankt Petersburg, dann werde ich „Das Leben ist groß“ im Gepäck haben und es wird mich auf meinem Spaziergang durch diese atemberaubende Stadt begleiten, um einige Schauplätze dieses Buches wieder zu finden.

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Das Leben ist groß von Jennifer duBois 
Gebundene Ausgabe: 448 Seiten 
Erscheinungsdatum: 18. Februar 2013 
ISBN: 978-3351035198

6 Replies to “[Rezension] „Das Leben ist groß“ von Jennifer duBois

  1. Ich war als Teenie in St. Petersburg. Fand ich schon sehr schön, obwohl Kultur nicht das war, was mich am meisten interessiert hat, sondern der Bahnhof der mich wieder nach Hause bringen sollte nach 2 anstrengenden Wochen Schüleraustausch in Nowgorod.

  2. St. Petersburg ist definitiv eine Reise wert – ich war vor ein paar Jahren drei Tage da und möchte irgendwann nochmal dahin. Obwohl mir meine Wohnung sehr armselig vorkam, nachdem ich dort die Paläste gesehen hatte – nix mit vergoldeten Wänden. 😉

    Das Buch klingt auf jeden Fall sehr schön und wird gleich auf die Wunschliste gepackt!

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