Coverquellen: rowohlt-, KiWi-, dtv-Verlag |
Vielleicht liegt es an der langen dunklen Jahreszeit, dass Skandinavien auf eine stattliche Zahl bekannter Krimi-Autoren und Autorinnen stolz sein darf. Die Sagen- und Märchenwelt der nordischen Erzähltradition ist längst dem Bitterernsten, Abgründigsten des Menschenlebens gewichen. Geschichten über Morde, Morde und nochmals Morde führen die Bestsellerlisten an.
Du sollst nicht töten! Folgen wir Sigmund Freud, so hat die Gewalttätigkeit ihren Ursprung im Menschen selbst. Zudem ist das biblische 5. Gebot in der Tradition jüdischer und christlicher Ethik von herausragender kulturgeschichtlicher Bedeutung. Die grausame Realität des Mordens ist überzeitlicher Natur, das Gebot, nicht zu töten, wird immer wieder und zu allen Zeiten übertreten. Daraus rekrutieren Krimis ihre Leserschaft. Die lässt sich gerne von der dunklen Seite des Menschen unterhalten und fesseln.
Ein Mord ist im Roman in der Regel eine komplexe, in ihren Ursachen und Wirkungen komplizierte Beziehungstat, die vom Leser mit wacher Psycho-Logik in ihrer Gesetzmäßigkeit entschlüsselt und verstanden werden will. Vor allem Autorinnen wie die Amerikanerinnen Deborah Crombie, Patricia Cornwell, Elisabeth George und Karin Slaughter, die Kanadierin Joy Fielding und die Schottin Val McDermid haben es in der Darstellung psychischer Abgründe zu wahrer Meisterschaft gebracht. Auch schwedische Autorinnen wie Viveca Sten und Camilla Läckberg, norwegische wie Anne Holt oder isländische wie Yrsa Sigurðardóttir und Sólveig Pálsdóttir bleiben überwiegend topographisch im Heimatland und suchen das Plot eher im familiären Umfeld von Opfer und Täter.
Unabhängig vom Ort des Geschehens deutet das Böse – und das ist die Spezialität vor allem männlicher Autoren der Nordländer – auf eine soziokulturelle Komponente der Tat hin. Das Verbrechen wirft ein grelles Licht auf die Gesellschaft, in der es sich ereignet, und in der es juristisch, moralisch und ethisch bewertet wird. Dies gilt im Besonderen für Kriminalfälle, die im weiteren Sinn national politisch motiviert sind oder im Zeichen des globalisierten Verbrechens stehen. Skandinavische Großmeister wie die Schweden Henning Mankell, Håkan Nesser und der früh verstorbene Stieg Larsson, sowie der Norweger Jo Nesbø haben die Kunst dieser Romane auf wunderbare Weise unter Beweis gestellt. Sie intendieren im Krimi ein gesellschaftskritisches Potential, das den einzelnen Mord als Kollateralschaden eines maroden Systems in verlorener Zeit ausweist.
In diese Abgründe wagt sich Jan-Erik Fjell, derzeit als Nr. 1 der norwegischen Krimiautoren gehandelt, jedoch nicht hinein. Zwar nimmt er es in „Kälteeinbruch“ mit dem organisierten, länderübergreifenden Verbrechen auf und taucht tief ein in den stinkenden Sumpf von Drogen und Kindesmissbrauch. Und mutig blitzt das Auge des Gesetzes im Poker spielenden, wenig charmanten Kommissar Anton Breeke. Doch umsonst! „Kälteeinbruch“ liefert statt wirklicher Spannung klischeehafte Figuren und schlichte Slapstick-Dialoge. Aus der Perspektive des Voyeurs werden perverse Sexualpraktiken geschildert. Gesellschaftskritik? Mitnichten!
Die Finnin Leena Lehtolainen überrascht in „Das Nest des Teufels“ mit einer ungewöhnlichen Ich-Erzählerin, der Leibwächterin Hilja Ilveskero. Sie tritt nun bereits zum dritten Mal couragiert dem Bösen entgegen. Auch im Privaten: ihr Vater sitzt wegen Mordes an ihrer Mutter im Gefängnis – und das ist nur ein haarsträubendes Detail ihrer Biographie, die sich über ihren tot geglaubten und hurtig wieder auferstandenen Freund David umstandslos mit den fiesen Machenschaften russischer Waffenhändler verbindet. Lauter hilflose Konstruktionen, die verstimmen.
Eine echte Herausforderung für Leser, die ein Mindestmaß an Wahrscheinlichkeit erwarten, bedeutet auch „Gottes Zorn“ vom schwedischen Autor Olle Lönnaeus. Als sein „Held“, der Suffkopp Joel Lindgren seinen miesen Alten erhängt auffindet, sind die Wände mit Schriftzeichen beschmiert. Diese werden von Fatima, einer Kommissarin mit libanesischen Wurzeln als Nachricht islamistischer Fundamentalisten entziffert. Aber selbst diese Fanatiker bringen kein Tempo in den schleppenden Erzählgang. Ärgerlich zudem: Der schöne schwedische Winter wird zur peinlichen Metapher für klamme Einsamkeit und zwischenmenschliche Ödnis.
In die Reihe weltumspannender Verbrechen gehört auch „Erwartung“ des Dänen Jussi Adler-Olsen. Korruption, Wirtschaftsbetrug, Unterschlagung, Veruntreuung und Mord verbinden Kopenhagen, Afrika und Südamerika. Und es geht um viel, viel Geld und viele, viele Leichen. Durch die nur wenig miteinander verknüpften Erzählstränge hetzt Marco, ein auf Diebstahl abgerichtetes, misshandeltes und verfolgtes Straßenkind, und kämpft um sein Leben. Der Leser hetzt mit und sinkt alsbald ermattet auf dem Sofa nieder.
Ganz anders Jesper Steins Debüt „Unruhe“. Der junge Däne siedelt seinen Roman in Nørrebro an, dem mit hohem Konfliktpotenzial ausgestatteten multikulturellen Künstler-, Drogen- und Rotlichtviertel Kopenhagens. Dort toben Straßenkämpfe zwischen der Staatsmacht, engagierten jungen Leuten und krawallgebürsteten Randalierern. Erschüttert starrt der Vizekommissar Axel Stein auf das brennende Nørrebro, als ihn ein Anruf ereilt, dass ein Ermordeter entdeckt wurde – ausgerechnet auf dem Friedhof. Axel Stein ist schwer gebeutelt. Ihn plagt nicht nur der karrieregeile Vorgesetzte, ihn plagen auch das Herz, das kranke, und die Exfrau, die mit dem Staatsanwalt angebändelt hat. Und schließlich plagen ihn Schuldgefühle gegenüber seiner kleinen Tochter, die häufig unter dem Job des Papas zu leiden hat. Der Roman wird zu einem virtuosen Vexierspiegel, der die private desaströse Situation im pulsierenden, selbstzerstörerischen Nørrebro abbildet.
Auch Robert Kvibys Krimi „Korrupt“ ist ein Debüt. Kviby jagt den Leser aus Sorge um die junge investigative Polizeireporterin Annie Lander durch Stockholm und mutet ihm ein unversöhnliches Ende zu. Schwedens Hauptstadt ist ein Moloch aus Geld- und Sexgier: suspekte Herrenabende und ermordete Prostituierte, hilflose Polizisten und ein korrupter Staat, bestechliche Zeitungen und ein heimtückischer Geheimdienst. Das alles ist nicht neu, aber in „Korrupt“ wird sie wieder bestätigt, die alte Wahrheit: Im Roman darf der Mord eben auch als schöne Kunst betrachtet werden, wie der Heidelberger Komparatist Horst-Jürgen Gerigk einmal sagte. Die „Schönheit“ des Bösen lebt dann von einem kühnen Spannungsbogen, raffinierter Charakterzeichnung, brillanter Sprache und virtuoser Konstruktion. Kvibys und Steins Romane sind beeindruckende Debüts, die zur Ehrenrettung der Nordländer als atemberaubende Erzähler gesellschaftskritischer Kriminalliteratur beitragen.
„Kälteeinbruch“ von Jan Erik Fjell
Taschenbuch: 560 Seiten
Erscheinungsdatum: 02.12.2013
Verlag: rororo/rowohlt
ISBN: 978-3-499-26740-6
„Das Nest des Teufels“ von Leena Lehtolainen
Hardcover: 448 Seiten
Erscheinungsdatum: 17.01.2014
Verlag: Kindler/rowohlt
ISBN: 978-3-463-40634-3
„Gottes Zorn“ von Olle Lönnaeus
Taschenbuch: 448 Seiten
Erscheinungsdatum: 02.01.2014
Verlag: rororo/rowohlt
ISBN: 978-3-499-26725-3
„Korrupt“ von Robert Kviby
Taschenbuch: 352 Seiten
Erscheinungsdatum: 1.10.2013
Verlag: rororo/rowohlt
ISBN: 978-3-499-25394-2
„Erwartung“ von Jussi Adler-Olsen
Hardcover: 576 Seiten
Erscheinungsdatum: Oktober 2013
Verlag: dtv
ISBN: 978-3-423-28020-4
„Unruhe“ von Jesper Stein
Taschenbuch: 480 Seiten
Erscheinungsdatum: 07.11.2013
Verlag: KiWi
ISBN: 978-3-462-04579-6