"Erst wirst du verrückt und dann ein Schmetterling" von Sjoerd Kuyper, Jugendbuch
Copyright: Gabriel/Thienemann

…oder der Versuch einer „überzeugenden“ Rezension.

Eine Buchrezension ist stets eine schwierige Angelegenheit: Nicht immer harmonieren objektive Kritikpunkte und subjektiver Leseeindruck, oft vermitteln Marketingstrategien ein (unnötig) irreführendes Bild, fast immer fehlen einem als Rezensent für Positivrezension die Worte – obwohl sie bei Fehlgriffen nur so sprudeln. Was macht also eine überzeugende Buchbesprechung aus? Eine ehrliche subjektive Meinung oder der Versuch einer objektiven Einordnung? Pro und Kontra? Ein Haufen Zitate?

Diese Fragen beantwortet man am besten mit einem Blick auf sich selbst: Was lese ich am liebsten für Besprechungen? Entweder sind eben solche äußerst unterhaltend ohne jeden Anspruch auf Objektivität, sogenannte „Rants“, oder ihre Autoren bemühen sich um ein objektives Bild, indem das zu besprechende Buch von ihnen beispielsweise mit Genreähnlichem verglichen wird, sinnvolle Kriterien thematisiert und eine Menge wissenswerter Informationen vermittelt werden. Für meine folgende Besprechung des Jugendbuches „Erst wirst du verrückt und dann ein Schmetterling“ von Sjoerd Kuyper, kann erstere Rezensionskategorie nicht infrage kommen, denn ein Rant wäre völlig unmöglich. Zweite Kategorie also – aber wie vergleicht man ein unvergleichliches Buch?

„Ich bin von drei irren Mädchen und drei halbtoten Männern umgeben. […] Der Umgang, den man hat, steckt an. Ich glaube, allmählich werde ich ein Mädchen. Ein halb totes Mädchen. Okay. Dann mal los…“ (8)

Der dreizehnjährige Kos lebt nach dem Tod seiner Mutter mit seinem Vater und seinen drei Schwestern in einem mehr oder weniger schlecht laufenden Hotel in den Niederlanden. Bis zu dem Tag, an dem er ein wichtiges Fußballspiel hat, ist seine größte Sorge, dass er nicht weiß, wie er Isabel, in die er verliebt ist, dazu bewegen kann, dass sie ihn zurückliebt. Als sein Vater bei besagtem Fußballspiel einen Herzinfarkt erleidet und im Krankenhaus zwischen Leben und Tod schwebt, kommen eine Menge noch viel größerer Sorgen hinzu. Die Kinder erfahren, dass das Hotel kurz vor dem Ruin steht und versuchen mit allen Mitteln hinter dem Rücken ihres Vaters – der sich schonen soll -, Geld aufzutreiben. Von Kos wird die daraufhin entstehende Odyssee per Kassettenrekorder-Tagebuchaufzeichnung verarbeitet, die den Leser auf einen bewegenden, chaotischen, mitreißenden, außergewöhnlichen und urkomischen Roadtrip der Gefühle mitnimmt. 

Häääää, denkt ihr euch jetzt – Kos‘ Tapes kann man doch nicht lesen? Gut aufgepasst! Abgetippt und somit der Leserwelt zugänglich gemacht wurden diese nämlich von Isabel. Aha!, denkt ihr euch jetzt wieder – er kriegt Isabel also am Ende! Tja, sage ich euch – das müsst ihr selbst herausfinden. 😉

Jedenfalls – soviel werde ich euch hierdurch vermittelt haben können, jongliert der niederländische Autor Sjoerd Kuyper ganz wunderbar mit Zeitebenen und Erzählperspektiven, wodurch er von Beginn an sein Talent zur Schau stellt, allerdings auch die Aufmerksamkeit der Leser ordentlich fordert. Für jemanden wie mich, der intelligente, skurrile, schnelle und (aber-)witzige Erzählarten à la Terry Pratchett, Douglas Adams und Co liebt, ist diese Art der Präsentation natürlich wundervoll. Diejenigen, die es lieber etwas realistischer und bodenständiger haben, könnten mit Kos Geschichte etwas überfordert sein. Kuyper hat mit Kos einen der liebenswertesten männlich-kindlichen Erzähler gewählt, die es seit August Pullmann gegeben hat. Aber dadurch, dass er ihm mit Isabel eine korrigierende, weibliche Gehilfin zur Seite stellt, die die jungenhafte Perspektive mit ihrer weiblichen Sicht kommentiert und ergänzt, ist ihm das beste Erzählerpärchen schlechthin gelungen. Im Gegensatz zu „Wunder“, ist der „Schmetterling“ übrigens eher leicht verdauliche Lesekost – ein Sommerbuch für Jungs (und Mädels, die immer mal wissen wollten, wie Jungs so ticken). Lasst euch hier von dem eher wenig jungenhaften Cover also nicht abschrecken, liebe LeserInnen (!).

Ich machte mich daran, die Raupen einzufangen und in das Glas zu
verfrachten. „Die sind von Pel“, sagte ich. „Wenn sie sich verpuppen,
wirst du wieder gesund, sagt sie.“ „Und wenn nicht?“ „Dann wirst du ein
Schmetterling.“
(76) 

Die Handlung ist ebenso verschachtelt und ungewöhnlich wie die Erzählweise. Auf der einen Seite überschlagen sich die Ereignisse und lassen nicht viel Zeit für Verarbeitung. Auf der anderen Seite wird das chaotische Geschehen immer wieder mit nachdenklichen, sensiblen Momenten verwoben, sodass der Grundton bei aller Slapstick-Komik zu keiner Zeit ins Klaumaukige abrutscht. Themen wie Tod, Trauerarbeit, Verlust und Liebe werden anrührend und klug thematisiert und – perspektivisch gebrochen durch die „Wiedergabe“ durch Kos und Isabel – von vielerlei Seite aus betrachtet. Dadurch ergibt sich ein vielfältiges, facettenreiches Bild der Welt, das dem Leser zusätzlich Spielraum für eigene Interpretationen lässt. Diese Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit, aus Lebenslust und Todesangst, aus Jugendsünden und Alterssorgen macht die Geschichte zu einem besonderen Lesevergnügen, auch wenn das Happy End haarscharf am Kitsch vorbeischrammt. 
Hiermit sind wir also nun an meinem einzigen Kritikpunkt angelangt, der auf der anderen Seite auch wieder keiner ist: Das Ende der Geschichte lässt in seiner ganzen Eitelsonnenscheinart zwangsläufig an ein alternatives denken: Was wäre gewesen, wenn… Die Antwort hierauf ist ganz sicher: Katastrophe, und zwar ganz und gar nicht mehr amüsant und in jeder Hinsicht tragisch. Also ist einem das glückliche Ende doch lieber – wir wissen ja noch alle, wie wir uns nach „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ gefühlt haben. Aber wir alle wissen auch, dass das wahre Leben eben nicht immer ein Happy End bereit hält. Und dann?

„Erst wirst du verrückt und dann ein Schmetterling“ bereitet einen mit Sicherheit nicht darauf vor, wie es ist, auf ein Bad Ending zuzusteuern. Aber es lehrt einen, die Zeit, die man hat, zu genießen und hält Werte und Themen wie Freundschaft, Familie und Lebensfreude hoch. Es schildert anschaulich, glaubwürdig und äußerst unterhaltsam die Ansichten und Sorgen eines aufgeweckten, heranwachsenden Jungen, mit dem sich viele junge LeserInnen (!) – ob männlich oder weiblich oder x – identifizieren können. Das „Hotel de grote L“, wie der Originaltitel im Niederländischen heißt, bringt also jede Menge Lesespaß, Lebenslust und Lachvergnügen. Und Kos mit seiner Geschichte ist am Ende jedenfalls ganz sicher eines: überzeugend.

„Erst wirst du verrückt und dann ein Schmetterling“ von Sjoerd Kuyper
Originaltitel: „Hotel de grote L“
Altersempfehlung: ab 12
Hardcover: 256 Seiten
Verlag: Thienemann / Gabriel
Erscheinungsdatum: März 2015
ISBN: 978-3-522-30394-1

2 Replies to “[Rezension] „Erst wirst du verrückt und dann ein Schmetterling“ von Sjoerd Kuyper

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