Copyright: cbt |
Elisabeth Herrmann fährt in ihrem neuen Jugendthriller „Die Mühle“ eine beeindruckende Kulisse auf. Es geht tief hinein in den Böhmerwald.
Inmitten einer legendenvollen, rauen Landschaft aus dunklen Tannenwäldern,
schroffen Felsformationen und reißenden Flüssen lockt die Autorin eine Gruppe
junger Menschen in die Abgeschiedenheit der unwirtlichen Natur, schneidet sie
von der Außenwelt ab und hetzt ihnen einen Mörder auf den Hals. Holla, die
Waldfee! Ich kann Euch sagen … ich habe während des Lesens über weite Strecken
ziemlich flach geatmet.
Und dabei beginnt alles ganz harmlos, fast wie ein Märchen.
Sieben ehemalige Schulfreunde treffen sich Jahre nach dem
Abi auf Einladung eines Unbekannten in einem vornehmen Hotel im tschechischen
Karlsbad. Junge Frauen und Männer, die einst hoheitsvoll „The Court“ genannt
wurden, damals als sie die In-Clique ihrer Schule waren und von vielen bewundert
wurden. Auch von Lana, die inzwischen in Berlin studiert und dort einen aus der
Clique zufällig wieder trifft, Johnny. Weil der kurz vor der Wiedervereinigung seiner
„Leute“ im Krankenhaus landet, schenkt er Lana seine Einladung. Sie nimmt an – vielleicht
aus Neugier, was aus ihren Idolen von einst geworden ist oder, weil sie noch
nie irgendwo dazugehört hat und der „Court“ für sie der Inbegriff von Freundschaft
und Zusammenhalt ist.
Weit
gefehlt, wie Lana in Karlsbad merkt: Die Stimmung unter den früheren Freunden
ist distanziert, aufgeladen, geradezu giftig. Der anonyme Initiator des Treffens
gibt sich nicht zu erkennen. Die Re-Union der Clique ist ein einziges
widersinniges Mysterium. Umso mehr als ihr unbekannter Gönner sie am nächsten
Tag zu einem Picknick in den Böhmerwald chauffieren lässt und sie samt eines
üppig gedeckten Tisches, hoch auf einem einsamen Plateau zurücklässt.
Kein Wagen, kein Handyempfang, keine geeignete
Wanderkleidung! Dann passiert das erste Unglück und bald wird klar, dass jemand
eine offene Rechnung mit der Clique hat. Wie das eben so ist in Märchen …
irgendwann tritt das Böse auf den Plan.
Das Setting ist faszinierend, die Umstände aber nicht
unbedingt neu. Eine handvoll isolierter Leute und ein Mörder – vom Kultfilm
„Eine Leiche zum Dessert“ bis jüngst zu Kirsty McKays genialem „Play2live“ hat
es das schon zigfach gegeben – funktioniert allerdings immer wieder
hervorragend, auch bei Elisabeth Herrmann, die die Geschichte mit Tempo
vorantreibt. In Null-Komma-Nix geht es von Berlin nach Karlsbad, in den
Böhmerwald bis zu einer einsamen Mühle, genau dorthin, wo der Mörder die Clique
haben will.
Mitten in dieser klammen Düsterkeit ist eine Heldin, die
eigentlich gar nicht dort sein sollte. Lana blickt von außen auf die Gruppe und
wird von den anderen mindestens ebenso kritisch beäugt. Zurecht – denn weshalb
jemand, der nicht eingeladen ist, trotzdem an Ort und Stelle aufschlägt, kann
die Autorin leider nicht glaubhaft vermitteln, zumal Lana ein bodenständiger und
reflektierter Charakter sein soll und größtenteils auch ist. Weil Lanas
Anwesenheit die Gruppe jedoch zweckmäßig verunsichert, habe ich diese Frage
bewusst ausgeklammert und mich ganz auf die Geschichte eingelassen, die durch
Lanas gleichzeitige Distanz und Eingebundenheit in die Ereignisse sowie ihren
feinen Sarkasmus ausgesprochen kurzweilig zu lesen ist.
Nicht warm geworden bin ich hingegen mit den übrigen
Figuren. Aufreißer, Zicke, Blender, Alkoholabhängige, Langweiler und Normalo –
auf diesen Nenner bringt die Autorin ihre ehemaligen Schulstars, womit ihr die
Charakterzeichnung leider schon abhandenkommt. Die Gruppe bleibt farblos, so
farblos, dass ich immer wieder irritiert war, wenn zwischendurch das ein oder
andere Detail über die Beziehungen der sechs untereinander erwähnt wird … da
hatte ich oft das Gefühl, etwas Entscheidendes nicht mitbekommen zu haben.
Lana führte mich zwar größtenteils
sehr gewandt durch das Dickicht der Stereotype, störte mich aber von Zeit zu
Zeit mit altklugen Andeutungen über die böse Wendung, die alles nimmt – denn
Lana erzählt aus der Retrospektive und weiß, wie die Geschichte endet (was kein
Grund sein muss, dies so häufig zu betonen).
Ansonsten
mausert sie sich zum Fixpunkt der Gruppe, indem sie versucht zu vermitteln, dem
Geheimnis, das die Clique offenbar hütet, auf die Spur zu kommen und von den
kleinen Streitigkeiten zurück zum Wichtigen zu lenken – der Flucht aus der
Mühle. Warum diese Überzeugungsarbeit überhaupt nötig ist, war für mich jedoch
ein weiterer Stolperstein. Da wird ein Haufen Leute im Wald ausgesetzt und
niemand kommt auf die Idee, dass es eine ernste Bedrohung gibt? Stattdessen
macht es sich das Grüppchen erst einmal bequem und isst ein Stück Kuchen. Hm …
Es hilft alles nichts. Man muss es so hinnehmen.
Überaus gelungen ist das Gefühl der namenlosen Bedrohung,
das die Autorin zum Greifen plastisch vermittelt – und das gar nicht einmal in
den wirklich brenzligen Situationen, sondern schon vorher, in dieser
angespannten Stimmung, in der man noch nicht weiß, was kommt, aber ahnt, d a s
s etwas kommt. Über viele Kapitel habe
ich nachgerade an den Seiten geklebt!
Deshalb wäre die
Härte, mit der die Geschichte sich schließlich entwickelt (Ich pfeife mal laut
durch die Zähne! Für ein Jugendbuch ist das starker Tobak!) gar nicht nötig
gewesen. Auge um Auge, Zahn um Zahn – so heißt es und Elisabeth Herrmann nimmt
das hier sehr wörtlich. Ein Jugendthriller? Nun ja. Streichen wir den ersten Teil
des Wortes!
Ich gehe insbesondere bei Krimis nicht gerne auf das Ende
ein, möchte aber trotzdem loswerden, dass ich das Finale bedauernswerterweise als
komplett überzogen empfand, beste Hollywoodmanier, noch dazu gespickt mit ein
paar ziemlichen Patzern einer bis dahin so patenten Heldin. Angesichts der prallen
Dramatik blieb für mich am Ende leider auch zu wenig Raum, um über die
hintergründigen Themen wie Schuld und Vergebung und ganz generell den Umgang
mit Unrecht nachzudenken.
Am Ende angekommen sieht es wohl so aus, als wäre ich bei
meiner Bewertung hin- und hergerissen. Trotzdem sollte Euch meine Kritik nicht davon
abhalten, das Buch zu lesen. Man betrachtet eine Geschichte – vor allem
Thriller – nach den letzten Seiten häufig diffiziler als mittendrin. Das Buch
hat mich über weite Strecken wirklich sehr gut unterhalten. Jugendliche, die
noch nicht ganz so „thrillerverseucht“ sind wie wir Erwachsene, werden „Die
Mühle“ bestimmt sehr spannend finden. Und in der Gesamtleistung ist die Story tatsächlich
mehr als solide. Daher … nach kurzem Zögern … Daumen hoch! Auch wenn das alles
für einen Jugendroman sehr sehr heftig ist.
WERBUNG
Folgende Links kennzeichne ich gemäß § 2 Nr. 5 TMG als Werbung
Die Mühle von Elisabeth Herrmann
Gebundene Ausgabe: 448 Seiten
Verlag: cbt
Erscheinungsdatum: 29. August 2016
ISBN: 978-3570164235
Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 14 Jahren