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Let’s be honest: Eigentlich hätte ich Eva Siegmunds „Lúm“ nie gelesen. Es ist mir zunächst nicht einmal aufgefallen und als es mir dann über Umwege in die Hände gedrückt wurde, ließen mich meine Erfahrungen mit klischeehaften Jugenddystopien eher zurückhaltend bleiben: Über den Inhalt möchte ich an dieser Stelle nicht viel sagen, denn eine dreizeilige Zusammenfassung würde der komplexen Geschichte nicht gerecht werden; nur soviel: Fans von „Die Verratenen“, „Die Auswahl“, „Ashes“ und Co, werden auf ihre Kosten kommen.
Obwohl der Klappentext erfreulich wenig Versprechungen macht, bestätigten die vermeintlich exotischen, esoterisch angehauchten Namen und Bezeichnungen der dystopischen Welt („Nacht der Mantai“, „Kema“, „Meleike“) meine Vorurteile über blumige 0815-Geschichten mit viel Tamtam und wenig Inhalt – zumal das (zugegebenermaßen hübsche) Cover eine Collage aller erfolgreicher Jugendbuchreihen der letzten Jahre zu sein scheint.
Die Erwartungen waren also von Beginn an nicht hoch. Als ich dann erfuhr, dass es sich bei der Autorin um eine heimische und bei dem Roman um ein Debüt handelt, habe ich mich regelrecht überwinden müssen, diesem Buch den vielen anderen in meinem Regal den Vortritt zu lassen. Umso faszinierter war ich von dem Ergebnis! „Lúm“ bedient sich überraschend wenig an den gängigen Klischees. Tatsächlich gibt es einige Dinge, die die Autorin im Gegensatz zu vielen anderen richtig macht – und an denen sich nahezu alle, die nach Suzanne Collins kamen, ein Beispiel nehmen könnten.
Einer der größten Fehler zeitgenössischer Jugenddystopien ist, dass sie nahezu immer versuchen, es mit „Panem“ aufzunehmen. Ein Phänomen, dass genreübergreifend spätestens seit „Harry Potter“ bekannt ist. Da mit der Zeit aber doch immer wieder gigantisch erfolgreiche Bestseller-Reihen produziert werden, hofft natürlich jeder Autor, dass sein Roman dazu gehört, oder er zumindest als Trittbrettfahrer vom derzeitigen Boom profitieren kann. Ergebnis: Der Markt wird hoffnungslos mit Schrott überschwemmt, die Klappentexte können ihre Versprechungen selten halten und die Leserwelt wendet sich nach einiger Zeit anderen Genres zu.
„Lúm“ ist kein „Panem“ und hat meines Erachtens auch nicht den Anspruch, es zu sein. Erster Pluspunkt für Eva Siegmund!
Denn das Ergebnis hierbei ist ein eigenständiger und erfreulich erfrischender Zukunftsroman mit einem eigenen Flair. Die juristische Ausbildung der Autorin kommt ihr beim Schreiben zu Gute, denn der Roman ist strukturiert und sprachlich unverschnörkelt und die fiktive Welt durchdacht und gut recherchiert. Regierung und Gerichtswesen werden kritisch – aber glaubwürdig – geschildert, weswegen die Geschichte bereits zu Beginn sogar im Detail überzeugt. Zweiter Pluspunkt für Eva Siegmund: Die Autorin ist kompetent!
Natürlich kommt auch diese Geschichte nicht ohne Klischees aus (Arm gegen Reich, Mystik gegen Wissenschaft, Gut gegen Böse, Liebe über alles, ROTWERDEN …), dosiert diese aber einigermaßen erträglich, sodass insgesamt Spannung und Abenteuer über allzu schablonenhafte Passagen hinwegtrösten. Das größte Klischee hier betrifft die beiden Protagonisten, die sich nie vorher begegnet sind, aber natürlich beim ersten Blickkontakt die Liebe ihres Lebens gefunden haben und auf immer und ewig zusammengehören, weil es das Schicksal so will. Klingt schlimm – ist es aber nicht. Tatsächlich sind Meleike und Flynn (weil Lisa und Sebastian natürlich nicht exotisch genug klingt) sympathisch und insgesamt zu abgelenkt damit, die Welt zu retten, als dass sie den Leser mit Säuselei vergrätzen. Und auch hier hat Eva Siegmund einen Pluspunkt verdient: die stereotype Liebesbeziehung überzeugt schon allein deswegen, weil sie keine Dreiecksbeziehung ist! That’s a first, right?
Und zu guter Letzt schaffen es die meisten reizvollen Geschichten („Night School“, „Ashes“, „Zirkel“), ihre Leser spätestens beim zweiten, dritten oder siebten Band zu vergrätzen, weil sich Spannung, Glaubwürdigkeit oder charakterliche Entwicklung über mehrere Bände – und unter Zeit- und Quantitätsdruck – nicht aufrechterhalten lassen. Daher der letzte und wichtigste Pluspunkt: Kein Reihenband!
Jedenfalls deutet das Ende nicht auf eine Fortsetzung hin. So gern ich mich an Adeva und die Pekuu erinnere, so wenig möchte ich in eine weiterführende Geschichte über sie eintauchen. Dieser Roman ist rund und so soll er auch bleiben. Alle Zeichen stehen gut, dass auch der nächste aus der Feder dieser Autorin eine gewisse Qualität nicht unterschreiten wird: Eva Siegmund hat das Potenzial uns alle noch einmal zu überraschen – und darauf freue ich mich!
Lúm – Zwei wie Licht und Dunkel von Eva Siegmund
Hardcover mit Schutzumschlag: 512 Seiten
Erscheinungstermin: 29. September 2014
Verlag: cbt / Randomhouse
ISBN: 978-3-570-16307-8
Tolle Rezension! Ich liebe Dystopien, aber viele sind echt ähnlich mit Panem und das ist dann schade, weil die Geschichte ist vielleicht garnicht schlecht, aber man zieht immer vergleiche. Dieses Buch schaue ich mir mal näher an 🙂 Liebe Grüße Jessie <3
Ja, das hast du recht – das ist hier aber echt nicht der Fall, du wirst bestimmt auf deinen Geschmack kommen. 🙂 LG
Uiuiuiuiui, deine Rezi hat mir nun den Gnadenstoß gegeben: JAAA, ich will es lesen. Eigentlich hatte ich Angst vor den fantastischen Elementen, nun bin ich aber neugierig und freue mich auf den eher dystopischen Touch.
Vielen Dank für deine überaus gelungene Rezi! Das Lesen hat sehr viel Spaß gemacht!
Danke für dein Feedback! Die Fantasy-Elemente sind wirklich dezent. Das Ende ist eventuell etwas zu "fantastisch" geraten, aber das verzeiht man gern bei dem guten Gesamtpaket. Ich drück' die Daumen, dass du dir bald selbst ein Bild machen kannst und bin gespannt auf deine Einschätzung!