Stellt euch vor, ihr habt eine verstorbene Lieblingsautorin, deren Bestseller seit Jahrhunderten die (Mädchen-)Massen begeistern. Stellt euch vor, eine ihrer Geschichten adaptiert eine eurer Lieblingskrimiautorinnen und verlegt die Handlung in das CYA-Genre. Wer von euch würde da nicht hinter der Gardine lauern, um den Postboten abzufangen oder vor Buchhandlugnen campen gehen – vor allem, wenn es sich bei ersterer um, na klar, Jane Austen handelt und bei zweiterer um Val McDermid. Gegensätze ziehen sich an? Der Beweis ist endgültig vollbracht! Willkommen zum Krinkstag.
Die siebzehnjährige Pfarrerstochter Catherine Morland – genannt Cat – wird von ihren Nachbarn mitgenommen zum berühmten Kulturfestival ach Edinburgh. Dort begegnet sie bei den Tanzvorbereitungen zum großen Ball dem schnittigen Henry Tilney. Obwohl sie während des Festivals stets Ausschau nach ihm hält, sieht sie ihn zunächst nicht wieder – macht aber dafür Bekannschaft mit Bella Thorpe, die mit Catherines Bruder James anbändelt und Bellas Bruder Johnny Thorpe, der ein Auge auf Catherine wirft. Diese ist von dessen prahlerischem Gehabe schnell genervt und schließt Freundschaft mit Eleanor Tilney – der Schwester von Henry, die sie einlädt, mit ihr und ihrem Bruder Zeit auf ihrem Anwesen Northanger Abbey zu verbringen… Puh! Soweit – so gemäß der Vorlage. Was nun kommt, kann man sich entweder denken, oder sollte man selbst lesen, denn jedes weitere Wort wäre zuviel verraten.
Grandios ist die Adaption aus Feder McDermids natürlich vor allem, wenn man Jane Austens Original, entstanden etwa um 1798, kennt. Obwohl McDermid sich weitestgehend an den ursprünglichen Plot gehalten hat, lassen einige Neuerungen die Geschichte zeitgemäß(er) erscheinen (Edinburgh statt Bath) und sind dem Gebaren der heutigen Jugend nachempfunden (Twitter, Facebook, Handy, SMS, Sportwagen, Twilight-Romane). Das ist für Jane Austens-Fans ein erfreulicher Gewinn.
Andererseits werden McDermid-Fans genau deswegen etwas enttäuscht. Ich versprach mir von der Umsetzung der Krimiautorin, die in ihren Psychothrillern und Kriminalgeschichten nicht an Splatter, psychologischer Tiefe und unkonventioneller Besetzung spart, etwas Pfeffer in der Geschichte. Stattdessen wird ziemlich genau das erzählt, was auch Austen schon zu Papier gebracht hat. Dadurch wirken einige Handlungen der Protagonisten nicht immer nachvollziehbar (Sagt Cat vielleicht einfach mal ihre Meinung? Pfarrerstochter hin oder her!) oder stimmig (Ähm, da verloben sich Siebzehnjährige Mädels? WTF?). Die keuschen Handlungsmaximen der Protagonistinnen und die seichten Verwirrungen im typisch Austenschen Stil plätschern für heutige Verhältnisse – und erst recht für McDermidsche Verhältnisse! – vor sich hin. Dafür wird der Show Down und das Ende, obwohl hier endlich einmal ordentlich der Stempel McDermids aufgedrückt wird, verhältnismäßig kurz abgehandelt. Wunderbar sind allerdings die Stellen, in denen Val McDermid durch die Zeilen zum Leser spricht und nicht nur die literarische Qualität von Bram Stokers „Dracula“ erklärt, sondern diese Lektion auch noch in eine unvergessliche Oliven-Metapher bettet. Much appreciated!
Insgesamt kommt man als Fan und Kenner durchaus auf seine Kosten und auch für Austen-Laien könnte der Ausflug in die „moderne“ Welt des 19. Jahrhunderts amüsant sein. Schauerromantik, Buchliebe und Modernität bleiben aber leider etwas hinter den Ankündigungen zurück. Insgesamt hätte ein stärkerer McDermidscher Ton der Geschichte gut getan. Ich rechne ihr den Respekt vor dem Original hoch an – aber manchmal ist mutiger Abstand ergiebiger als devote Zurückhaltung. Die englische Serie „Sherlock“ beispielsweise hält sich im Gegensatz zu den vielen anderen Adaptionen erstaunlich wenig an das Original von Conan Doyle, hat aber bezeichnenderweise den größten Erfolg – und dass, ohne Respekt vor dem Original missen zu lassen. Vielleicht wäre eine Geschichte für Erwachsene die bessere Wahl gewesen – ich zumindest könnte mir lebhaft vorstellen, dass John Thorpe nach alter McDermid-Manier unter die Räder kommt… Und was die Liebeseinstellung von Cat betrifft: Warum eigentlich nicht Eleanor?
Hey =)
Sehr amüsant und gut geschrieben! Ich habe das Buch als nächstes vor mir. Ich kenne das Original leider überhaupt nicht, deshalb habe ich nun schon den Eindruck, dass ich da was verpasst habe und mir vielleicht die Grundlage für einen Vergleich fehlt.
Allerdings ist es auch mal ganz schön, unvoreingenommen an die Sache zu gehen =)
LG
Anja
Hey Anja,
einen schönen Avatar hast du! Danke – ich hoffe, es wird dir gefallen und bin gespannt auf deine Meinung! Ich glaube, dass man das Buch auch genießen kann, ohne das Original zu kennen. Austens Stil hört man auf jeden Fall heraus!
LG