Hallo, liebe Spukfreunde! Ein schauriges, lautes „BUH!“ zum Start unserer Halloweek. Eine Woche lang versorgen Kath, Krink und meine Wenigkeit (Lex) euch ab heute mit Hör- und Lesetipps für das unheimlichste Fest des Jahres. Zum Auftakt haben wir für euch aber erst einmal ein Interview mit dem Autor Frank Maria Reifenberg vorbereitet – ein Experte in Sachen Spuk, denn gerade ist der zweite Teil seiner Kinderbuch-Gruselserie „House of Ghosts“ erschienen, „House of Ghosts – Der aus der Kälte kam“.
Für uns ein prima Anlass, mal wieder unsere Rubrik „Nachgefragt bei…“ zu pflegen. Und für euch eine gute Gelegenheit, euch auf Halloween einzustimmen. Denn Frank Maria Reifenberg sprach mit uns nicht nur über seine Geisterhaus-Reihe, sondern allgemein über die Lust am Gruseln, seine ganz persönlichen Gänsehautmomente und wieso er seit kurzem im Dunkeln liest. Viel Spaß!
1. Lex: Lieber Frank M. Reifenberg, gerade ist der zweite Teil ihrer Kinder-Geisterreihe „House of Ghosts“ erschienen. In der Geschichte gibt es gute Geister, aber auch echte Bösewichte und ganz allgemein wird auch das Thema Jenseits thematisiert. Was meinen sie, muss man speziell bei der Konzeption eines Gruselbuches für Kinder beachten? Wie schafft man es, dass die Geschichte gruselig wird, aber nicht zu gruselig? Wie viel darf man Kindern da zumuten?
Frank M. Reifenberg: Das ist von Kind zu Kind sehr unterschiedlich, Zehnjähriger ist nicht gleich Zehnjähriger. Bei einem Gruselbuch braucht es Elemente, die wirklich gruselig sind, aber nicht schockieren oder tatsächlich Angst auslösen. Grusel ist zum größten Teil eine Frage der Fantasie, die dann von der Realität und dem Verstand wieder eingefangen werden sollte. Wenn man sich gruselt spielt man immer mit dem Gedanken, ob das tatsächlich passieren könnte, ob es diese Welt in der Welt vielleicht doch gibt und ob also vielleicht doch jemand unter dem Bett sitzt. In House of Ghosts wissen die Kinder meistens etwas mehr als die Protagonisten, sie können also auch Beobachter sein und innerlich rufen „Hui, sei vorsichtig!!“.
Außerdem gibt es immer wieder Phasen der „Erholung“, das sind die vielen kleinen komischen Dinge, die passieren. Wichtig ist, dass Kinder auch die Möglichkeit haben, Erwachsene zu fragen, mit ihnen über das Gelesene zu sprechen. Was man Kindern zumuten darf, müssen in erster Linie die Eltern entscheiden. Zutrauen kann man ihnen oft mehr als viele denken.
2. Lex: Gruseln sie sich eigentlich selbst gerne? Gibt es etwas, was ihnen so richtig Angst macht?
Frank M. Reifenberg: Wenn es wirklich gut gemacht ist, grusele ich mich auch gerne. Als Erwachsener verliert man das natürlich ein bisschen. Zuletzt habe ich mich so richtig doll und „echt“ in einem Film gegruselt, das war „I am legend“ mit Will Smith. Da geht er in ein Haus und findet im Keller eine ganze Gruppe der durch eine Virusinfektion verwandelten Zombies, die sich in einen Raum drängeln. Sie können noch nicht nach draußen, wegen des Tageslichts, drängen sich aneinander, sind hilflos und doch gefährlich und aggressiv. Ich wohnte damals in einem alten Haus mit zwei Tiefkellern, die mich sehr an dieses Setting erinnerten und es war ein mulmiges Gefühl durch das offene Treppenhaus am Kellerzugang vorbei nach oben zu gehen.
3. Lex: Die Neuverfilmung von „Es“ – nach einem Horrorbuch von Stephen King – ist zuletzt an die Spitze der Kinocharts geschossen. Was glauben sie, macht allgemein den Reiz an Schauergeschichten und die Freude am Gruseln für Menschen aus?
Frank M. Reifenberg: Gerade „Es“ thematisiert, um was es geht: Um Ängste, die in einem selbst schlummern. Um eine Schuld, die nicht abgetragen wurde. Um den Reiz am Verbotenen. Die Angst vorm Unbekannten, nicht Fassbaren bleibt immer, auch bei Erwachsenen. Julia Hoydis hat das Erzählmuster für Horror und Grusel in der Redaktion von boys & books sehr gut herausgearbeitet. Sie sagt, im Vordergrund stünden „… Nervenkitzel und Gänsehaut, als Reaktion auf die Begegnung mit Unbekanntem und Außergewöhnlichem, kurzum mit allem, was jenseits unseres Erfahrungs- und Erklärungshorizonts liegt.“* Bei Kindern gibt es davon sehr viel mehr, aber auch mit noch so viel Erfahrungen verliert man das nie vollständig.
4. Lex: Drei Bücher/Filme, die Ihnen in der Vergangenheit so richtig das Blut in den Adern haben gefrieren lassen und warum!
Frank M. Reifenberg: Ich war selbst nicht so sehr ein „Gruselleser“, aber tatsächlich sind es die Bücher von Stephen King, mit denen ich mich oft sehr schön gruseln konnte. Allerdings auch erst als Erwachsener.
5. Lex: Rund um ihre Reihe „House of Ghosts“ gab es eineungewöhnliche Veranstaltungsreihe. Gemeinsam mit Heiko Kunert vom Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg haben sie Dunkellesungen für Kinder initiiert. Können sie das Konzept und die Idee dahinter kurz erklären?
Frank M. Reifenberg: Ich habe im Sommer vor dem Erscheinungstermin zufällig in einen Radiobericht gehört, dass nur ein verschwindend geringer Prozentsatz aller Bücher auch in Braille-Schrift für blinde oder sehbehinderte Menschen zur Verfügung steht. Daraufhin habe ich dem Verlag vorgeschlagen, dies beim Erscheinen des Buches zum Thema zu machen, indem wir diese speziellen Lesungen anbieten. Heiko ist selbst blind und liest die im Dunkeln spielenden Passagen vor. Natürlich bei möglichst vollständiger Dunkelheit im Saal. Das bietet sich bei einer Geistergeschichte geradezu an. Im anschließenden Gespräch erklären wir diesen Hintergrund und die Kinder haben Gelegenheit, uns beide zu befragen. Das nutzen sie meistens sehr unbefangen. So tragen wir das Thema Barrierefreiheit und Inklusion in einem sehr spielerischen und vergnüglichen Rahmen unters Volk. Der Verlag arsEdition war sehr offen für diese Idee, lässt die Bücher auf eigene Kosten in Blindenschrift übertragen und finanziert auch die Auftritte von Heiko. Für Leseveranstalter entstehen natürlich deutlich höhere Kosten, das ist oft nicht im Budget enthalten.
6. Lex: Wie reagieren Kinder, wenn plötzlich das Licht ausgeht Ich kann mir vorstellen, dass dieser Überraschungsmoment und auch das Aushalten von Dunkelheit schon sehr unheimlich ist. Wird anschließend über das Erlebnis diskutiert?
Frank M. Reifenberg: Meistens wissen die Kinder vorher, dass es dunkel wird. Die Veranstalter werben mit dieser Besonderheit, das ist klar. Sie wissen allerdings nicht, dass Heiko blind ist. Das ahnen sie natürlich, aber ich beginne die Fragerunde am Ende immer mit der Frage, warum Heiko im Dunkeln lesen kann. Wenn wir nicht schnell genug das Licht ausmachen, motzen sie Kinder meistens. Die Dunkelheit ist eigentlich anschließend nicht das Thema. Im Vordergrund stehen die Fragen an Heiko. Wenn wir Zeit haben und nicht schon der nächste Vorleser in den Saal will, kommen da viele Fragen.
7. Lex: Es gibt viele Bücher, die speziell Mädchen oder speziell Jungs ansprechen. Machen Sie sich über ihre Zielgruppe Gedanken, wenn sie eine Geschichte zu schreiben beginnen?
Frank M. Reifenberg: Jungen und Mädchen lesen in bestimmten Phasen ihrer Entwicklung zu einem großen Teil sehr unterschiedliche Bücher, weil sie sich auch für sehr unterschiedliche Dinge interessieren. Die „Gender-Frage“ stellt sich also auch hier. Gerade Jungen grenzen sich dann massiv ab und wir müssen aufpassen, dass sie sich nicht ganz vom Lesen abwenden. Das ist ein sehr vielschichtiges Problem, mit dem ich mich in meinen Aktivitäten zur Leseförderung von Jungen intensiv beschäftige, als Lehrbeauftragter an der Uni Köln, im boys&books-Projekt (www.boysandbooks.de) oder als künstlerischer und didaktischer Leiter von kicken & lesen Köln (www.kickenundlesenkoeln.de). Es ist in dieser Phase wichtig, die passenden und aufs Lesen Lust machenden Bücher anzubieten, ohne zu sehr in alte rollenstereotype Kerben zu schlagen.
Als Autor schreibe ich die Geschichten, die mir Spaß machen, die mir in den Schoß fallen. Ich mache mir Gedanken, ob ich einen interessanten Protagonisten und eine packende Grundidee habe. Das Geschlecht der Hauptfigur ergibt sich dann von selbst, die Entscheidung fällt eher intuitiv. Anschließend prüfen meine Agentin, der Verlag und ich, welchen Programmplatz das Buch haben könnte, wer also die hauptsächlichen Leserinnen oder Leser sein könnten.
8. Lex: Wie ist die Idee zu „House of Ghosts“ entstanden? Gab es eine spezielle Inspiration?
Frank M. Reifenberg: Ich arbeite meistens nach dem Lustprinzip. Ich hatte einfach Lust auf eine Grusel- und Geistergeschichte. Und dann tauchte die Frage auf: Warum gibt es Geister? Sind sie ewig zu diesem Schicksal verdammt? Gibt es auch für verlorene Seelen eine zweite Chance?
9. Lex: Im ersten Teil der Serie zitieren sie aus dem „Handbuch für Spukerscheinungen“. Alles ausgedacht? Oder haben sie speziell dafür in Fachliteratur recherchiert?
Frank M. Reifenberg: Das „Handbuch der Spukerscheinungen“ aus dem Buch gibt es nicht, aber es gibt durchaus eine gar nicht so kleine Bewegung von Forschern, die sich mit paranormalen Erscheinungen beschäftigen – und das ganz ernst. Alleine meine Neugier treibt mich schon dazu, so etwas zu recherchieren, um es dann in eine neue Form zu gießen. Dabei lernt man beispielsweise auch, dass Schmetterlinge ein Symbol der Transformation und Seelenwanderung sind.
10. Lex: Wie viele Bände der Reihe werden erscheinen? Aufwie viele weitere Bücher dürfen wir uns freuen? Überlegen sie sich das im Vorfeld einer Serie überhaupt? Oder entscheiden sie von Buch zu Buch?
Frank M. Reifenberg: Es werden drei Bände, damit ist ein Bogen geschlagen, die wichtigsten Fäden sind verknüpft. Die Entscheidung für so etwas fällt bei mir meistens „unterwegs“. Der Verlag möchte natürlich wissen, ob es ein Einzeltitel oder ein Mehrteiler oder eine Serie wird. Manchmal planen wir das dann auch, aber am liebsten habe ich da Offenheit.
Vielen Dank, Herr Reifenberg!
SO ihr Lieben, ich hoffe, ihr fandet das Interview genauso spannend wie wir. Wer die Gelegenheit hat, eine von Frank Reifenbergs Dunkellesungen zu besuchen, sollte das unbedingt tun. Ich habe mich kürzlich unter’s Publikum gemischt und war sehr begeistert. Zurzeit steht allerdings leider keine Dunkellesung an. Einfach ab und zu mal reinschauen! Eine Rezension zum neuen Buch des Autors folgt übrigens in Kürze… es wird kalt und richtig gut!
Ein wirklkich großatiges Interview! Ich finde es klasse, dass man jetzt auch Bücher für blinde Kinder nachdruckt. Eine Lesung im Dunkeln würde ich auch gerne besuchen. 🙂
Ja, eine tolle Idee… ich war mit Sohn und Patenkind dort und muss sagen: Reifenberg und Kunert sind auch richtig richtig gute Sprecher. Die haben die Kinder wunderbar mitgezogen und die Lesung unheimlich witzig und interessant gestaltet. LG
Hach das klingt toll! Vielleicht verirren sich die beiden ja mal in den Norden:-)
Heiko Kunert lebt sogar in Hamburg. Also viiiiiieeleicht…. 😀
Ein klasse Interview, danke, Lex!!