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Das literarische Debüt von Anne Krüger, „Allee der Kosmonauten“, handelt von geplatzten Träumen, verpassten Chancen und verglühten Liebschaften einer Endzwanzigerin. Mit ihr mag sich der Leser verbrüdern und verzanken, wird sich von ihr unterhalten oder abschrecken lassen, begleitet sie mit Freuden oder möchte schreiend davon rennen. Wer sich dazu entschließt, mit Mathilda auf Reisen zu gehen, der sollte sich auf lange Wartezeiten, viel Regen und nostalgische Melancholie einstellen, denn diese Lebensgeschichte ist keine einfache und geht ihren ganz eigenen Weg – ohne Happy End, ohne Bilderbuchkatharsis, ohne Spannungskurven. Das hört sich zunächst äußerst leserunfreundlich an, ist tatsächlich aber faszinierend unkonventionell und dabei vor allem eines: erfrischend individuell.
Mathilda Unterwasser hat ihr Germanistikstudium abgebrochen und arbeitet nun seit längerem an der Kasse eines Supermarktes in ihrer Geburtsstadt Berlin. Je mehr sie in der Vergangenheit schwelgt, desto mehr fürchtet sie sich vor Veränderungen. Ihr phlegmatischer Charakter durchdringt all ihre Lebensbereiche und erstickt jede knospende Idee im Keim. Dadurch ist ihr Job trostlos, ihre Freundschaften oberflächlich, ihr Charakter depressiv, ihre Familie distanziert, ihre Liebe unerwidert, ihr Leben trist, ihr Wohnort grau – und es regnet. Anhaltend. Ach, was waren das noch Zeiten, in denen sie mit ihren Freundinnen durch die Heimatstraße gegurkt ist – durch die Allee der Kosmonauten – und der Traum, einmal wie Juri Gagarin duch den Weltraum zu schweben, noch nicht von ihrer Höhenangst zerschmettert worden war… So macht Mathilda ihrem Nachnamen tagein, tagaus alle Ehre und befindet sich im luftleeren Raum, gleichsam unter Wasser, und schwappt, sich selbst bemitleidend am dunklen Meeresgrund vor sich hin.
„Die Nässe jedoch kroch überall hin, in Schuhe, Kleidung, und Herzen.
[…] Graue Schleier verbargen den Himmel, den es irgendwo geben
musste.“ (S. 29)
Was sich unsympathisch und anstrengend anhört, wirkt auf den Leser faszinierend und – das vor allem – aufgrund der schleppenden Handlung und des anhaltenden Regens auf merkwürdige Weise tröstend. In knappen, aneinandergereihten Sätzen, schildert die Erzählerin ihr stagnierendes Leben. Dazwischen finden sich Gedankenfetzen aus Kindertagen oder Traumsequenzen, deren Inhalt immer wieder in kosmonautischen Höhen kreist. Charmante und abstoßende Persönlichkeiten kreuzen ihren Weg und teilen zeitweise ihr Bett. Kaum hat man als Leser Freundschaft geschlossen, kommt das Leben dazwischen – oder der Tod. Scheitern und Verlust, Krankheit und Geldsorgen – wer nach rosa Giltzerstaub oder rasanten Entwicklungen sucht, wartet vergebens. Mathilda ist keine Katniss Everdeen und keine Bella Swan – am Ende möchte niemand ihr Schicksal teilen und doch können alle von ihr etwas lernen: loslassen, innehalten, tagträumen. Banal – aber schwerer umzusetzen als gedacht. Schließlich kriegt Mathilda die Kurve und kommt aus sich heraus – ob mit Erfolg, bleibt allerdings – wie das Ende der Handlung – offen.
Bei aller Innovation ist der Roman nicht frei von Schwächen – die gleichzeitig seine größten Stärken sind. Durch eine alternde Antiheldin als Protagonistin (statt einer knackigen Lolita), durch realistische Entwicklungen (statt Happy Endings), durch tristen Alltag (statt magischer Fantasy), durch anhaltendes Scheitern (statt Erfolg) und vor allem durch auf-Konventionen-pfeifende und sich-Zeit-lassende, auch-das-kleinste-Detail-beschreibende Sprache, ist dieses Buch ein besonderes und sticht aus der Menge der ewig gleichen Jugendbücher heraus. Wenn auch nicht immer positiv. Etwas weniger Selbstmitleid hätten der Protagonistin gut getan und etwas weniger Seiten dem Lesevergnügen. Welche Wohnungsgegenstände beim Umzug behalten, welche weggebenen, welche wie aufgeteilt werden, treibt weder die Handlung noch die Leselust voran. Und dass sich wirklich niemand in Mathildas Bekannten- und Familienkreis findet, der glücklich, kommunikativ, geistig gesund oder zupackend ist, könnte auf einige Menschen aus dem Osten Berlins befremdlich wirken.
Fazit: Um hundert Seiten gekürzt und etwas Tristesse erleichtert, hätte die „Allee der Kosmonauten“ ein nostalgisch-melancholisches Highlight des noch jungen Jahres werden können. Bleibt zu hoffen, dass die junge Autorin ihren unkonventionellen Stil beibehält und demnächst eine regnerische Geschichte mit einem Flair von Behaglichkeit, einem Touch Humor oder einer selbstbewussten Protagonistin schreibt – sie könnte zur Literaturikone der Endzwanziger werden, die alle – mich eingeschlossen – auf eine brauchbare Jugendbuchwelle jenseits der Ersten Male warten.
„Allee der Kosmonauten“ von Anne Krüger
Verlag: Loewe / Script5
1. Auflage: 14. Januar 2015
Hardcover: 400 Seiten
ISBN: 978-3-8390-0172-1
Die ersten 100 Seiten habe ich genauso empfunden wie du es beschreibst. Der Stil sticht deutlich heraus. Sehr schöne Rezi 🙂 Ich bin gespannt wie es weiter geht!
LG
Danke! "Wie es weiter geht"? Ist denn eine Fortsetzung geplant? LG
Hahaaa! Ach das! Voll reingefallen, ich Depp!