Copyright: Heyne fliegt |
Habt ihr eigentlich eine Wunschliste? All meine Wunschbücher würden niemals auf einer einzigen Liste Platz finden, sondern müssten einen Raum voller Regale und Aktenschränke einnehmen… ich habe also vielmehr einen Wunsch-Serverraum mit den Ausmaßen der Pariser Katakomben. Als meine liebe Blogkollegin Kathrineverdeen die Herbst-Neuerscheinungen präsentierte, sprang mir ein Titel vom Heyne Verlag direkt in meine Wunschlisten-Katakomben. Der Roman ist angesiedelt im CYA-Genre, Handlungsort ist USA, es geht um einen Road Trip… vielmehr muss ich dann auch gar nicht wissen, bevor ich mich schon „HIIEEERR!!“ schreien höre. „Auf und davon“ ist nach Erscheinen dann also auch gleich bei mir eingezogen und als Urlaubslektüre eingepackt worden. Als ich Kathrineverdeen von meiner neuesten Errungenschaft in Kenntnis setzte, warnte diese mich sogleich, dass dieses Buch nicht bei allen Lesern gut angekommen ist. Wer also besondere Kritikpunkte anzubringen hat, der möge mich bitte von diesen unterrichten, denn ich bin brennend an einer Diskussion interessiert – weil ich nämlich rein gar nichts Negatives am Inhalt anzumerken habe (am Titel schon, warum kann man den nicht einfach so lassen wie im Original?!), was bekanntlich äußerst selten vorkommt. Ob mein Kritikerblick wohl durch überfällige Urlaubstage getrübt wurde? Wer weiß… Aber nun erst einmal „auf und davon“ zur Buchbesprechung.
Mary Iris Malone, genannt Mim, hat die Nase gestrichen voll: Nach der Scheidung ihrer Eltern muss sie nicht nur die neue Geliebte ihres Vaters ertragen und sich dessen Kontrollsucht bezüglich der Behandlung ihrer vermeintlichen psychischen Krankheit beugen. Auch der Kontakt zu ihrer Mutter bricht auf mysteriöse Weise ab, sodass sie beschließt, mit dem Greyhound-Bus durch die USA von Jackson, Mississippi nach Cleveland, Ohio zu fahren, wo sich ihre alte Heimat – und ihre Mutter – befindet. Auf der Fahrt verfasst sie Briefe, in denen sie das Erlebte und das Kommende reflektiert und lernt jede Menge skurriler Zeitgenossen kennen.
Die Protagonistin wird dem Leser als selbstständige und schlagfertige Person präsentiert, die im Laufe der Handlung eine große Entwicklung durchmacht. Im Gegensatz zu jenen, anderer Jugendbücher dieser Art, ist sie weder ein „sterbender Schwan“ noch ein „Mauerblümchen“, sondern eine authentische Sechzehnjährige mit individuellen Stärken und Schwächen. Die Erzählperspektive und der Wechsel zwischen Briefform und erzählter Form ermöglichen Einsichtnahme in Mims Gedankenwelt und fördern zugleich immer mehr Stücke ihrer Vergangenheit zu Tage, sodass sich am Ende ein überraschendes Bild ergibt. Aber auch die Nebenfiguren (Arlene! Walt! Beck! Ahab!) wurden vom Autor mit viel Liebe entworfen und gewinnen ebenso wie die Protagonistin schnell das Leserherz. Während der Klappentext Mims Geschichte „mitreißend“ erzählt wissen will, beklagen sich kritische Stimmen über die „zähe Handlung“ und „zu wenig Action“. Von „Action“ (ist damit heutzutage bei Jugendbüchern eigentlich eine Dreiecksbeziehung gemeint?) bin ich tatsächlich nie ausgegangen und konnte also auch nicht enttäuscht werden. Die Kluft zwischen „mitreißend“ und „zäh“ kann ich allerdings schon eher erklären: Durch die Briefform und Mims sprunghafte Erzählweise spielt sich viel Handlung „zwischen den Zeilen“ ab. Wer also bei einen Road Trip eine Art Reiseführer erwartet – wie bei dem großartigen „Amy on the Summer Road“ beispielsweise – der wird mit „Auf und davon“ nicht viel anfangen können. Ich habe mich sehr an den Wortspielen und Gedankenkonstrukten der altklugen und ehrlichen, durchgeknallten und integeren Mim erfreut und habe jede Zeile als fesselnd empfunden. Die Freundschaft von Mim, Walt und Beck ist herzergreifend, surreal und sollte als das liebenswerteste literarische Trio des Jahres 2015 einen Preis verliehen bekommen.
Die kritische Leserschaft bemängelte außerdem fehlende Tiefe in der Behandlung der „schwierigen“ Themen, was mich insofern überrascht, als dass ich den ernsten Grundtenor ohne fehlendes Breittreten als äußerst angenehm empfunden habe. Ein weiteres Jugendbuch, das zwanghaft unter der Krankheits- und Todesflagge segelt und und ein „kein Auge bleibt trocken“ auf dem Klappentext androht, wäre mir nicht unter die Augen gekommen. Und auch eine Dreiecksgeschichte oder andere Klischees sucht man vergebens. David Arnold beschreibt eindringlich, sprachlich gewandt und ironisch die Lebensabschnittsgeschichte eines jungen Mädchens – und nimmt sich dabei Zeit. Bravo!
„Auf und davon“ könnte man als skurrile Version von Morgan Matsons „Amy on the Summer Road“ bezeichnen, das zwar geradliniger konzipiert erscheint, aber auch oberflächlicher wirkt als Arnolds Debutroman. Fast alle Kritiker sind sich einig: „Auf und davon“ ist ein ungewöhnliches Jugendbuch. Das kann ich bestätigen und möchte hinzufügen: Zum Glück!
„Auf und davon“ von David Arnold
Originaltitel (USA): Mosquitoland
Übersetzung: Astrid Finke
Altersempfehlung: ab 14 Jahren
Hardcover: 384 Seiten
Erscheinungstermin: 24. August 2015
Verlag: Randomhouse / Heyne fliegt
ISBN: 978-3-453-26983-5
Hallöchen 🙂
Das klingt doch echt mal so großartig, das das Buch in meine "Katakomben" wandert. Ich hab bisher alle Rezensionen gemieden, aber natürlich stolpert man trotzdem hin und wieder über eine Kurzmeinung und die gehen in der Tat total auseinander, weshalb ich mir bisher nicht sicher war, ob mich das Buch anspricht. Da wir in dem Genre aber ja schon gut auf einer Welle schwimmen, werd ichs jetzt dann demnächst doch mal wagen. Bin gespannt.
Liebe Grüße Ina
Hm… ich hoffe, dass es dir gefallen wird – du musst unbedingt berichten! 🙂
LG in die Bakery!